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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

518-521

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schwesig, Paul-Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Rolle der Tag-JHWHs-Dichtungen im Dodekapropheton.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2006. IX, 347 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 366. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-11-019017-5.

Rezensent:

Stefan Beyerle

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Wöhrle, Jakob: Die frühen Sammlungen des Zwölf-Prophetenbuches. Entstehung und Komposition. Berlin-New York: de Gruyter 2006. XII, 499 S. m. Tab. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 360. Lw. EUR 118,00. ISBN 978-3-11-018996-4.


Die Prophetenforschung hat in jüngerer Zeit gleich mehrere Um­orientierungen hervorgebracht. Ein wesentlicher Neuansatz verbindet sich mit der Analyse schriftenübergreifender Komposi­tionen und Redaktionen im Zwölfprophetenbuch. Die beiden Ar­beiten von Sch. (ursprünglich Diss. Halle-Wittenberg) und W. (ur­sprünglich Diss. Münster) tragen dieser neuen Tendenz Rechnung, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Während Sch. die Tag-JHWHs-Texte diachron und synchron, je in sich und in ihren Be­zugnahmen, untersucht und dabei die Einsicht einer inhaltlich-kompositorisch gewollten Struktur beim Zwölfprophetenbuch be­reits voraussetzt, fragt W. erst noch, ob und welcher Art ein Produkt bewusster kompositorischer Gestaltung vorliegt. Während Sch. die Entwicklung einer Motivkonstellation aufdeckt, die eingebunden ist in die textgenetischen Stadien eines Vier-, Sechs- und Zehnprophetenbuches (in Anlehnung vor allem an A. Schart), lehnt W. den thematischen Zugang bei seiner Erhebung eines redaktionsgeschichtlichen Modells gerade ab.
Beim Blick auf die Durchführung der Argumente ist es sinnvoll mit W. zu beginnen: Zwar setzt die Arbeit bei dem immer deutlicheren Konsens eines ursprünglichen Vierprophetenbuches (Hos, Am, Mi, Zef; so auch Sch.) an. Doch geht W. methodisch von einer redaktionsgeschichtlichen Analyse der einzelnen Bücher aus. Nach einer pointiert-kritischen Darstellung der Forschung und dem Ausweis eines kompositionskritisch nur begrenzt aussagekräftigen Befundes zu den Einleitungen und Überschriften bietet das III. Kapitel vollständige redaktionskritische Analysen der Einzeltexte des »exilischen Vierprophetenbuches«: Am, Mi, Zef – Hos wird auf Grund seiner Sonderstellung nur knapp im Zusammenhang der dtr Überarbeitungen exegesiert. W. analysiert die Texte äußerst akribisch und scharfsinnig. Die für die Ringkomposition in Am 5,1–17 er­mittelte Grundschicht (V. 1–3.7.10.12b.16–17a.18–20) zeigt bereits Signifikanz. Denn die Fokussierung auf die Oberschicht und die damit verbundene Sozialkritik durchzieht die Grundschicht des ganzen Buches und zeichnet den Propheten noch nicht als Sprachrohr Gottes (3,8 gehört zur »ersten Überarbeitung«). Außerdem werden die Abschnitte zur Gottessuche (5,4 f.; vgl. V. 6.14 f.16) wie insgesamt die Kultkritik (3,13 f.; 4,4 f.) gegen die Mehrheitsmeinung (jedoch mit R. G. Kratz) als sekundär qualifiziert. Insgesamt biete die nach Jerobeam II. zu datierende älteste literarische Schicht in Am Sozialkritik ohne Heils- und Umkehrperspek­tive. Buchkompositorisch ist jene spätere kultkritische Redaktion (spätvorexilisch) deshalb bedeutend, weil sie mit der Rahmung durch den ältesten Bestand der Fremdvölkersprüche (1,3–8.13–15; 2,1–3.6–8.13–16) und der Visionen (7,1–8; 8,1–2) auf eine Vorform des kanonischen Am verweist. Beide Rahmenteile dürften zwar auf ältere Traditionsstücke zurückgehen, wollen aber auf der literarischen Ebene die Frage beantworten, wie es zu dem in Am 8,2 benannten Ende Israels kommen konnte. Wesentlich für die insgesamt neun von W. ermittelten Bearbeitungen in Am sind zwei Beobachtungen: Einmal identifiziert die Am-Analyse Schichten, die auch in den anderen Prophe­tenbüchern begegnen und damit auf der redaktionsgeschichtlichen Ebene kompositorische Bedeutung haben. Dabei ist zum anderen die dtr Redaktion wesentlich, da sie eine bereits vorgefundene Komposition des Am lediglich ergänzt hat.
Die dtr Überarbeitungen der analysierten Prophetenbücher be­sitzen buchübergreifende Signifikanz, insofern hier das Vierprophetenbuch und seine Träger lokalisiert werden. Und auch in Mi und Zef weist die dtr Redaktion Scharnierstellen aus, die u. a. von der Nordreich- zur Südreich-Prophetie überleiten (vgl. vor allem Mi 1,5b–7; Zef 1,4). Da nun die Stichwortverbindungen zwischen Am und Hos zur Hypothese eines Zweiprophetenbuches nicht hinreichen (anders J. Jeremias, A. Schart u. Sch.) und auch ein Dreiprophetenbuch unter Einschluss von Mi keine Plausibilität besitzt, existierte nach W. keine vor-dtr Komposition. Umso prägnanter stellt W. den literarischen und sachlichen Zusammenhang des dtr Vierprophetenbuches heraus: Sowohl in den einzelnen Büchern als auch im buchübergreifenden Zusammenhang der Redaktion ergeben sich durchdachte, strukturierte Kompositionen, die dtr durch ringförmige Nachträge ergänzt werden. Eine wesentliche Orientierung erhielten die wohl nach 550 v. Chr. von »Israel« aus wirkenden Trägerkreise in den prophetischen Traditionen des Hoseabuches. Motive sind: Kult- und Sozialkritik, Gottessuche, Reinigungsgericht, Nichtigkeitsfluch sowie der Exodus. Schließlich verweist W. auf die inhaltlichen und terminologischen Bezüge des Vierprophetenbuches zum DtrG, sieht aber in der Relativierung der Kult- durch die Sozialkritik, der Gültigkeit des Gerichts für Nord- und Südreich und der Abkehr von vorexilischen Verhältnissen (davi­disches Königtum) die Aspekte eines bewussten theologischen Ge­genentwurfs zum DtrG.
In Kapitel IV analysiert W. Hag und Sach 1–8, wobei die Redaktionen erweisen, dass zwar durch die Datierungen in beiden Büchern ein Zusammenhang hergestellt wird, der aber nicht auf eine buchübergreifende Redaktion schließen lässt. Die wesentlich inhaltlich in Sach eingreifende »Wort-Redaktion« (Sach 1,2–7.14ab–17aa; 2,10–14; 4,9b; 6,15; 7,1.7.9–14; 8,1–5.7–8.14–17.19b) konditioniert die Heilsbotschaft der Nachtgesichte und damit auch Hag. Das V. Kapitel wendet schließlich den Blick zurück in die Komposition des Vierprophetenbuches. Schon die Position des Joelbuches und die Gleichförmigkeit der Überschriften in (Hos,) Jl, Am, Mi, Zef ( dabar-Muster) legen eine redaktionsgeschichtliche Präzisierung nahe. Die Grundschicht in Jl 1–2* verbindet die Tag-JHWHs-Motivik mit der Dürrenot. Da sich aber nur aus den redaktionellen Passagen des Jl heraus Verbindungen zum Zwölfprophetenbuch ergeben, könnte bereits eine literarische Vorstufe des Jl zum exilischen Vierprophetenbuch gehört haben. Mit dieser Hinzufügung sei dann Hos vom Vierprophetenbuch abgetrennt worden. Zuletzt ergibt sich eine theologische Gemeinsamkeit: Hag-Sach- und Jl-Korpus bieten je eine Synthese aus ethischen Ermahnungen der Gerichts- und Verheißungen der Heilsprophetie. Kapitel VI enthält eine knappe Zusammenfassung sowie einen Ausblick.
Sch. setzt mit seiner Analyse der Tag-JHWHs-Dichtungen zwar wie W. beim Konsens eines Vierprophetenbuches an, entwickelt jedoch kein eigenständiges literarisches Modell. Vielmehr exegesiert die Arbeit die recht klar abgrenzbaren Texteinheiten zum Motiv in Am 5; Zef 1; Obd; Jl; Sach 14 und Mal 3 diachron und synchron. Allerdings erweisen schon Prominenz und Verteilung der Motiv-Einheiten im Zwölfprophetenbuch, aber auch die Diskussion der unterschiedlichen Konzeptionen des jom jhwh unter kompositorischen Vorzeichen, die literar-historische und kompositionskritische Bedeutung der Untersuchung. So erhellt Sch. etwa zum ältesten Beleg in Am 5,18–20 den beim Propheten Amos (!) be­absichtigten Wechsel im Verständnis des JHWH-Tags vom Heils- zum Unheilstag mit Hilfe einer kompositorischen Beobachtung: Im Kontext von Visionen und Fremdvölkersprüchen wurde der Prophet vom JHWH- zum Todesboten und Israel zum Gottesleugner, wobei die Löwenmetapher (Am 5,19b) in 3,4.8.12 die Un­ent­rinnbarkeit der Bedrohung und 3,2.14 mit dem hoseanischen Leitwort »heimsuchen« ( pqd; Hos 1,4; 2,15; 4,9.14 u. ö.) ihre Begründung, eingebunden im Zweiprophetenbuch (Hos, Am; anders W.!), prädizieren. Auch zu Zef 1* untersucht Sch. zunächst die litera­rische Gestaltung, bestimmt das thematische Profil, um dann auch die Komposition in Zef 1,7–16* mit Am 5,18–20 ins Gespräch zu bringen: Trotz enger literarischer Verbindung geht Zef 1* mit der betonten Aktualität des JHWH-Tages (V. 7[.14]: qarob jom jhwh) als »Zornestag« (V. 15) und der Fokussierung auf die Heimsuchung der Jerusalemer Oberschicht (V. 8 f.12) über Am hinaus. Die anschließende kompositionskritische Analyse im Vier-, Sechs- (mit Nah, Hab) und Achtprophetenbuch (mit Hag, Sach) spürt den Modifi­kationen des JHWH-Tages nach, von der inhaltlichen Profilierung durch die »Gottessuche« zur schöpfungstheologischen Universalisierung. Mit der Einfügung von Jl, Obd, Sach 9–13 u. 14 ist die vorletzte Redaktionsstufe im Zwölfprophetenbuch (»Zehnprophetenbuch«, Prophetie ist »Schriftprophetie«) erreicht. Die Tag-JHWHs-Konzeption verbindet hier die Gerichtsankündigung gegen Edom (Obd 1–9) mit der Heilsverheißung für Israel (Obd 16–21), literarisch orientiert an Am 9,1–10 bzw. V. 11–15. Der Tag-JHWHs wird zum Tag der Wiederherstellung des Gottesvolkes und der Durchsetzung des Gottkönigtums. Der jom jhwh ist das eigentliche Thema im Joelbuch. Da hier jegliche Begründung für den mit militärischen und kosmologischen Motiven angereicherten jom jhwh fehlt, wird diese in der Komposition des vorangestellten Hos* identifiziert (anders W.). Zudem übernimmt das Joelbuch im Dienste der Motivik die Funktion einer »Leseanweisung« (ähnlich W.). Sach 14 liefert schließlich keinen neuen Aspekt, sondern will »aspektivisch« die JHWH-Tag-Motive zusammenfassen.
Zuletzt profiliert Sch. zu Mal 3 die Funktionalisierung der Motivik bei der Trennung von »Gerechten« und »Frevlern«. Zugleich akzentuiert die Analyse zu den Mal-Nachträgen 3,22 und V. 23 f. die kanonischen Funktionen jener spätesten Belege. Eine Gesamtschau unter diachronen und synchronen Gesichtspunkten schließt die Studie ab.
Auch wenn man in Einzelfragen an vielen Stellen abweichender Auffassung sein kann und trotz der starken Divergenzen im Ansatz beider Studien, lässt sich für die Arbeiten doch festhalten, dass sie die Diskussion um die Komposition und Redaktion des Zwölfprophetenbuches erheblich vorangetrieben haben.