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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

103 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Suche nach eigenem Glauben. Einführung in die Religionspädagogik des Jugendalters.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlaghaus 1996. 250 S. 8°. Kar. DM 38,­. ISBN 3-579-01756-X.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Nach der Untersuchung über "die Religion des Kindes" von 1992 komplettiert Schweitzer seinen religionspädagogischen und religionspsychologischen Durchgang durch die Entwicklung des jungen Menschen mit diesem neuen Band über das Jugendalter. Ihn leitet die Frage, "was Glaube und Religion für Jugendliche heute bedeuten". Das "Warum und Wozu" dieses Unternehmens kommentiert der Autor selbst damit, daß üblicherweise Erwachsene nach den Jugendlichen fragen, die Perspektive damit also die des Erwachsenen bleibt, auch wenn er sich am Jugendlichen orientiert, während er bei den Jugendlichen selbst ansetzt, die ihrerseits Religionspädagogik, Kirche und Religionsunterricht in den Blick bekommen. Darum kommen Jugendliche (oder junge Erwachsene) reichlich unmittelbar zu Wort ­ Sch. spricht von einem Perspektivenwechsel, der weniger durch die wissenschaftliche Entwicklung bedingt ist, als durch die Lebensprobleme der Jugend selbst. Jugendliche sind auf der Suche nach (religiös oder nichtreligiös verstandenem) Sinn, der religiöse Horizont der Jugend ist wesentlich weiter zu sehen als der kirchliche.

Das Buch ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Praxis, Ausbildung und Theorie hin durchstrukturiert. Es ist demgemäß in drei Teile gegliedert. Zunächst wird eine phänomenologische Beschreibung von Jugend, Kirche und Religion gegeben: Was ist "Jugend"? Wie verhalten sich Jugend und Kirche, Jugend und Religion zueinander? Genereller Synkretismus oder synkretistisch-individuelles Auswahlverhalten? Lebensgeschichte als Ort von Religion.

Im zweiten Teil werden die theoretischen Deutungsansätze (psychologisch, soziologisch, historisch und zeitgeschichtlich, biographisch, theologisch) einschließlich einiger problemgeschichtlicher Rückblenden dargestellt und im dritten schließlich die Handlungsfelder einer Religionspädagogik des Jugendalters, Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht, Jugendarbeit, Jugendseelsorge behandelt, wobei der Vf. die Vernetzung der Engagements propagiert.

Der genannte Aufbau des Buches ist durchsichtig und hilfreich. Originalstimmen kommen reichlich zu Wort, die Phänomene sprechen für sich. Durch Teilzusammenfassungen und jeweilige Literaturhinweise zur Vertiefung wird der Zugang erleichtert, so daß die Arbeit mit dem Buch gleichermaßen anregend und angenehm ist. Der Theorie-Teil gibt die gegenwärtige Diskussionslage zur Adoleszenz-Forschung mehrdimensional wieder. Psychoanalyse und kognitiv-struktuelle Psychologie werden in eine konstruktive Beziehung zueinander gesetzt. Aspekte der geschlechtsspezifischen religiösen Entwicklung werden vorgestellt.

Unter soziologischem Vorzeichen wird gefragt, ob von Säkularisierung oder aber nicht eher von Individualisierung von Religion zu sprechen sei, ob Kirchendistanz der Jugendlichen als lebenszyklisches Moratorium oder als epochaler Abbruch zu verstehen sei. Das harmonische Menschenbild der psychologischen Ansätze wird ebenso hinterfragt wie die an der Postmoderne ausgerichteten Jugenduntersuchungen, ihre ethischen und anthropologischen Voraussetzungen bislang noch nicht ausreichend formuliert haben.

Es wird deutlich, daß Religionspädagogik sich nicht auf eine Deutungsmöglichkeit beschränken darf, sondern ein mehrperspektivisches Modell zu entwickeln hat. Ebenso kann es nicht um Religionsdidaktik im engeren Sinn gehen, sondern ist die Fragestellung auf alle auf Jugend bezogene Handlungsfelder und (im Anschluß an D. Rössler) auf alle Erscheinungsformen neuzeitlichen Christentums ­ das kirchliche, das gesellschaftliche und das individuelle ­ zu erweitern. Die praxisbezogenen Ausführungen bleiben allerdings eher allgemein: Religionsunterricht hat die Aufgabe biographischer Begleitung und der "Bildung in der Pluralität". Notwendig ist ein "verstärkter Lebens- und Erfahrungsbezug" durch "Praktisches Lernen durch Elementarisierung". Als neue Lernaufgaben ergeben sich interkulturelles, ökumenisches, interreligiöses Lernen usw.

Mit diesen Hinweisen ist dann auch die Grenze des Buches signalisiert. Die Fragen nach weiterführenden, über die gegenwärtige Diskussion hinausweisenden Impulsen, die sich dem Leser stellen, bleiben weitgehend unbeantwortet. ­ Wie kommt es wohl zu dem synkretistischen Verhältnis zur Religion bei Jugendlichen (36)? Worin mögen die unterschiedlichen Haltungen der Jugendlichen im Osten und im Westen Deutschlands begründet sein (48)? Geschlechtsspezifische Ausprägungen in der religiösen Sozialisation werden registriert (77 f.), aber nicht auf ihre möglichen Ursachen und Zusammenhänge hin befragt. Religiöse Urteilsfähigkeit ist gefordert (173), aber setzt das interkulturelle Lernen nun Identität voraus, oder führt es seinerseits erst zur Identitätsfindung? Dieses Register an Fragen ließe sich fortsetzen. So führt das Buch in einer didaktisch einladenden Weise einmal mehr an die heutigen Fragestellungen heran ­ es führt aber nicht über sie hinaus.