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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

684–688

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Albert

Titel/Untertitel:

Reich Gottes und Christentum.

Verlag:

Hrsg. v. U. Luz, U. Neuenschwander (†) u. J. Zürcher. München: Beck 1995. 507 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 59,90. ISBN 3-406-39131-1.

Rezensent:

Klaus Otte

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schweitzer, Albert: Geschichte des chinesischen Denkens. Hrsg. v. B. Kaempf u. J. Zürcher. M. e. Nachwort v. H. Roetz. München: Beck 2002. 360 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 44,90. ISBN 3-406-48181-7.
Schweitzer, Albert: Kultur und Ethik in den Weltreligionen. Hrsg. v. U. Körtner u. J. Zürcher. München: Beck 2001. 467 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 59,90. ISBN 3-406-47782-8.
Schweitzer, Albert: Straßburger Vorlesungen. Hrsg. v. E. Gräßer u. J. Zürcher. München: Beck 1998. 759 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 72,00. ISBN 3-406-41171-1.
Schweitzer, Albert: Theologischer und philosophischer Briefwechsel 1900–1965. Hrsg. W. Zager in Verbindung m. E. Gräßer, unter Mitarbeit v. M. Aellig, C. Frey, R. Wolf u. D. Zager. München: Beck 2006. 941 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-406-54900-7.
Schweitzer, Albert: Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze. Hrsg. v. C. Günzler, U. Luz, u. J. Zürcher. München: Beck 2003. 421 S. gr.8° = Albert Schweitzer Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 58,00. ISBN 3-406-50165-6.
Schweitzer, Albert: Wir Epigonen. Kultur und Kulturstaat. Hrsg. v. U. Körtner u. J. Zürcher. München: Beck 2005. 416 S. gr.8° = Werke aus dem Nachlaß. Lw. EUR 59,90. ISBN 3-406-52765-5.


Der Nachlass Albert Schweitzers liegt in sieben seit 1995 edierten ansprechenden Bänden aus dem C. H. Beck Verlag vor. Sowohl die längere Erscheinungsdauer als auch die beachtlichen Editionsarbeiten scheinen nicht nur zwei Herausgeberkreise, sondern auch die Zeitspanne erfordert zu haben, welche das nun vorliegende Werk für uns »Epigonen« einer fast vergessenen universalen Epoche, aber dennoch den ihr innewohnenden großen Genius Sch. wieder vergegenwärtigen kann.
Philosophische samt theologische Erfahrung und Reflexion des fast scheu auftretenden Universalgenies und Humanpioniers aus dem Elsass und aus Afrika liegen uns Lesern in einer oft menschenverachtenden Gegenwart leuchtend vor Augen, verbinden uns mit der bekannten Ausstrahlung des Urwaldarztes und regen gleichzeitig zur ontologischen Vertiefung solcher von ihm damals zeit­gemäß geprägten Denknormen an. Sie rufen uns auf die heutige globale Brücke interkultureller und interreligiöser Aktion in Dialog und Verstehen, die anscheinend schon lange vor unserer brenzligen Terrorpanik geistig entworfen war und in weitgehender in­ternationaler musischer Erfahrung immer schon trug.
Wegen vermeintlich schon für ausreichend gehaltener Veröffentlichungen ›in musicis‹ haben die Herausgeber jedoch auf die Publikation des musikalischen Nachlasses verzichtet. Musik scheint allgemein eher ein künstlerischer Luxus als eine deutende Lebenserfahrung zu sein.
Sch. indessen hat als interpretierender und improvisierender Orgelvirtuose aber immerhin einen solchen Namen bekommen, der einer musikontologischen Existenzinterpretation und einer eigenen Edition zweifelsohne würdig wäre. Aber vielleicht zeugen hier Tondokumente in Form damaliger Schallplatten mehr als ein Nachlass auf bedrucktem Papier. Glücklicherweise gibt es ja noch Tonaufnahmen von den genialen Improvisationen und klassischen Orgelkonzerten jenes künstlerischen und musikwissenschaftlichen Interpreten unserer auch musischen Existenz. Wie das gesamte Nachlass-Werk jenes begnadeten Universalisten aus dem Dreiländereck ist auch das Gesamte nur aus der empirisch-wissenschaftlichen Einheit des elsässisch-alemannischen Lebensraums zu begreifen.
Das umfängliche literarische Vermächtnis Sch.s hingegen beansprucht nicht nur eine aufnahmebereite Leserschaft, sondern hat auch die Herausgeber des Nachlasswerkes in besonderer Weise herausgefordert, zumal sie aus den unterschiedlichsten Regionen der Schweiz, Frankreichs, Österreichs, Deutschlands und sogar der USA stammen. Zwei Herausgeberkreise, einer von 1974 und ein anderer von 1991, durften sich der sensiblen Editionsarbeit erfolgreich widmen: Hans Walter Bähr aus Tübingen, Hermann Bauer aus Basel, Erwin E. Jacobi aus Zürich († 1980), Ulrich Neuenschwander aus Bern († 1977), Rhena Schweitzer-Miller aus Lavonia, USA, Lothar Stiem aus Heidelberg, Gustav Woytt aus Strasbourg († 1993) und Johann Zürcher aus Bern gehörten zum ersten Herausgeberkreis. Dem zweiten Kreis von Richard Brüllmann aus Thun, Erich Grässer aus Bonn, Claus Günzler aus Karlsruhe, Bernard Kaempf aus Strasbourg, Ulrich Körtner aus Wien, Ulrich Luz aus Laupen und dem schon genannten Johann Zürcher gelang die Vollendung beim alten Schweitzer-Verlag C. H. Beck in München.
Das ›theologische Finale« Sch.s, »Reich Gottes und Christentum«, schließt im Grunde die in der Wissenschaft bekannte »Ge­schichte der Leben Jesu Forschung« und die »Mystik des Apostels Paulus« wie eine Realisierung gläubiger Existenz ab und öffnet diese weltweit diskutabel für ›Freigeist‹ und ›Weltoffenheit‹. Was schon nach dem biblisch dokumentierten Zeugnis jüdisch-christlichen Glaubensgeschehens in den damaligen Anfängen dieser Tradition als reale Religionsbegegnung geschehen ist, ereignet sich in der gegenwärtigen Welt weiter, wie die späteren Untersuchungen zeigen werden. »Geist Gottes, Liebe und Freiheit« werden die Schlüsselbegriffe für ein universales Zusammenleben der menschlichen Kultur- und Glaubenswelt sein.
U. Luz nimmt sich der Nachwehen dieses Erkenntnisprozesses an. Er hat die Asienerfahrung, die für die späteren Bände vonnöten ist, durch eine längere Leitertätigkeit im ›Haus der Begegnung‹ und durch Universitätstätigkeit im japanischen Kyoto erworben. Grandios wusste er die erhaltenen Nachlassdokumente zu ordnen. Das Mysterium Sch.scher Erkenntnis blieb dabei aber teilweise ontologisch noch unenthüllt und wartet auf die Erhellung in den nachkommenden Ausführungen.
Die 1998 von E. Gräßer und J. Zürcher edierten »Straßburger Vorlesungen« atmen sachlich den Geist der »Geschichte der Leben-Jesu-Forschung« und der »Mystik des Apostels Paulus« und beweisen die Souveränität Sch.s, mit welcher er neben Vikariat, Medizinstudium und Organistendienst die theologische Quintessenz gläubiger Existenz zu eruieren wusste. Als verantwortlicher Christ zu leben, bedeutete für ihn weit mehr, als ein Fachgelehrter auf einem Spezialgebiet zu sein. Der Reichtum Gottes in Raum und Zeit dieser Welt entlädt sich grenzübersteigend und findet in den Sakramenten Taufe und Abendmahl eine zeitbedingte symbolische Ma­nifestation. Indessen zwingt die »Enteschatologisierung« christlichen Glaubensvollzugs zu weiterführenden Auffassungen und Einsichten. Fort vom Urchristentum zur vom Dogma verführten großkirchlichen Macht ist die Odyssee des realen Seinsverlusts des Glaubens gegangen.
10 Jahre aus Praxis und Theorie gespeister Forschung zu christlich-sakramentalen Vollzügen wie Taufe und Abendmahl, zu exegetischen Fragen des Neuen Testaments und schließlich zu sys­tematisch-theologiegeschichtlichen Erörterungen wie etwa von Reimarus zur historisch-kritischen Gegenwart treten verlebendigend vor uns hin. Beate Alenfelder und Olaf Waßmuth haben ein hilfreiches Register dazu erstellt, das manchem noch unkundigen Lernenden der Gegenwart die Augen für diese für uns wegbereitende Glaubensepoche öffnen und dem aktuellen, oft flachen Fundamentalismus zu seinen wahrhaft tragenden Gründen verhelfen dürfte.
In der von Ulrich Körtner und Johann Zürcher 2001 herausgegebenen »Kultur und Ethik in den Weltreligionen« kommt Sch. immer mehr zu seinem eigenen ›wahren Selbst‹. Theologische Exis­tenz kann sich nicht im heimeligen Raum europäischer Wirkungsgeschichte ansiedeln, sondern ist selbst bedingt durch eine globale Welt der Religionsanschauungen und Ideologien. Was Sch. als von außen beeinflusst erfährt, muss religionsontologische Forschung der Zukunft als konstitutive dynamische Wechselbeziehung entdecken. Gute Hermeneutik des interreligiösen Dialogs kann diese ›steile‹ Behauptung zu begreifen und anzuwenden helfen.
Kultur und Ethik, Mensch und Kreatur gilt es für Sch. zunächst positionell etwa in Indien und China zu realisieren. Sofort kommen aber etwa Zarathus­tra, Judentum und antike europäische Kulturbildungen mit ins Spiel. Die Grundprobleme Glaube, Ethik und Kultur breiten sich aus. Die Terminologie »Weltreligionen« gerät insofern auf den Prüfstand, als eigentliche ›Religion‹ vor allen Religionsinstitutionen das Wort hat. Ein überreicher Anhang tastender Versuche zur Sache aus Sch.s Feder und Mund erscheint. Man könnte diesen Band zum ›Schlüssel heutigen Dialogs‹ ernennen.
China wird nach gegenwärtigen Prognosen unsere globale Zukunft (mit-) bestimmen. Und so erstaunt die »Geschichte des chinesischen Denkens« von 2002 aus der Feder des »Urwalddoktors und Universalgenies« aus dem 19. Jh. nicht. Bernard Kaempf und Johann Zürcher haben dieses Werk mit Hinweisen auf die auch sonst bekannten Editionsschwierigkeiten herausgegeben. Beeindruckend haben sie sich sogar dem Thema »Geschichte des indischen und chinesischen Denkens« gestellt, um ihr ›Editionskind‹ in einen globalgeschichtlichen Rahmen zu stellen. Der auftauchende Horizont zwingt uns indessen zu einer noch viel umfassenderen Erforschung dieser Zusammenhänge.
Flankierend greifen indessen die 2003 von Claus Günzler, Ulrich Luz und Johann Zürcher veröffentlichten »Vorträge, Vorlesungen und Aufsätze Albert Schweitzers« in unseren Gedankenfluss ein. Die philosophischen Vorbedingungen Sch.schen Verstehens und Denkens erwachsen manchmal aus Gedanken der Zeit. So geht es nicht nur um ›Philosophie und allgemeine Bildung‹, sondern etwa auch um die ethische Problematik in der Falknerei, die neben Sch. Werner Bergengruen in seinen »Die drei Falken« so genial beschrieben hat. Es geht um Rudolf Steiner und die Kunde von Gewaltlosigkeit aus Indien, um Mahatma Gandhi. ›Protestantismus und theologische Wissenschaft‹ bestimmen die Atmosphäre. Aktualität wird nicht aus künstlichen Synthesen gewonnen, sondern aus dem praktischen und geistigen Tagesgeschehen.

Aus einer in Sch.s Ohr trefflichen Bemerkung während einer Diskussion im Hause Curtius 1899 in Berlin, »Wir sind ja doch alle nur Epigonen« in fast allen wichtigen Existenzbezügen, entsprang der Band »Wir Epigonen«, den J. Zürcher und U. Körtner 2005 edierten. »Als würde manches Wertvolle der geistigen Überlieferung bei uns wohl noch mitgeführt, aber käme nicht mehr so zu seinem Recht wie früher« (19), war Sch.s Eindruck. Allein braucht dieser Eindruck nicht auf den Kulturphilosophen schwarz auf weiß beschränkt zu bleiben, sondern könnte sich auch auf unsere gegenwärtige Situation beziehen, wenn die reiche Universalität Sch.s vor uns hintritt. Der Band ist also nicht nur Dokument, sondern in gewisser Weise auch Daseinsanalyse unserer Gegenwart und Stimulanz für uns.
Gründe und Manifestationen eines kulturellen Niedergangs rufen in eins nach einer möglichen Regeneration der geistigen und spirituellen Welt. Wirtschaft und Staat sind Orte solchen Geschehens. Zeitgemäß weitet sich der suchende Blick natürlich in die Zustände in den damaligen Kolonien: »Die Beziehungen zwischen den weißen und farbigen Rassen«. Noch aktueller ist der abgedruckte Pressebericht über Sch.s Vortrag »Menschenrechte in den Colonien«. Sch. fordert für »die Primitiven und Halbprimitiven in den Kolonien« Recht auf Wohnsitz, auf freien Verkehr, Bodenrecht und Recht auf Arbeit, Erziehung und Rechtsprechung vor Gericht. Was in den heutigen globalen Diskussionen an den Rand gerät, wird von Sch. unnachgiebig angemahnt.
Der 2006 von Werner Zager in Verbindung mit Erich Grässer unter Mitarbeit von Markus Aellig, Clemens Frey, Roland Wolf und Dorothea Zager herausgegebene Band »Theologischer und philosophischer Briefwechsel 1900–1965« ist nicht nur irgendein historisches Dokument, sondern gleicht einem sensiblen Audiozugang zu Sch., in dem sich die lebendige Zwiesprache des verborgenen Meis­ters der Universalität Gehör verschafft. Echte Briefe sind wie verlautbarte Harmonie und Ton tief aus der Seele der Betroffenen. Wer sie zu vernehmen weiß, begegnet Sch. nicht allein historisch, sondern wesentlich und existentiell.
Der vom Wechsel zwischen akademischer Vornehmheit zur tiefen Freundschaft gekennzeichnete Briefwechsel zwischen Sch. und Hans Walter Bähr verrät nicht nur Einblicke in die damalige universitäre Prominenz Tübingens und ihre Hochachtung vor dem Vortrag des prominenten Urwalddoktors in der Universitätsstadt, sondern legt die Botschaft von der »Ehrfurcht vor dem Leben« in einer atomar bedrohten Zeit offen dar. Nun darf sich der Botschafter nicht nur über die Akzeptanz seiner Arbeiten über Jesus und Paulus freuen, sondern die Genugtuung über die Aufnahme seiner Friedensbotschaft in einer zwischen Natur und Gnade gespaltenen kirchlichen Atmosphäre zuinnerst genießen. Der Weg der Symphonie schließt in einem »lange vorbereiteten ruhigen Dur«, meint Sch. selbst (29). Dieser atmosphärische Horizont habe aber längst Indien und China einbezogen, wie die Denker dieser Länder rück­gemeldet hätten, schreibt Sch. an Bähr. Sonst kaum anderenorts so durchsichtige Existenzzusammenhänge aus Leben und Wissenschaft des Lambarene-Doktors werden aus dem ausdrücklich als »ganz persönlich« deklarierten Briefwechsel mit Bähr gelesen werden können. Bis in die letzten Lebenstage Sch.s 1965 führt dieser Briefwechsel.
In alphabetischer Reihenfolge kommen die Briefpartner nun weiter zur Sprache. Karl Barth mit seiner Offenbarungstheologie und bekannten Kritik an der »saftigen Werkgerechtigkeit« der weitsichtigen Wirklichkeitsschau Sch.s fühlt sich am Ende diesem in manchem doch näher, als es scheinen mochte. Mit Rudolf Bultmann wird über die Leben-Jesu-Forschung korrespondiert, bis Helene Bultmann dem Warner vor dem Atomkrieg in letzter Stunde Sch. für viele Frauen und Mütter dankt.
Dazwischen schreiben der Frankfurter Hochstiftler Ernst Beutler, der um die Barth-Nachfolge besorgte Basler Willy Bremi, der in Sachen Kierkegaard vom Briefpartner gemaßregelte Martin Buber, der Marburger Karl Budde und Carl Jacob Burckhardt, der postum für den Orden »Pour le mérite« bewegende Gedenkworte im Rückblick auf Sch. spricht. Friedrich Curtius, in dessen Haus die Idee der »Wir Epigonen« geboren wurde, Adolf Deissmann, der wissenschaftliche Ökumeniker in früher Zeit, Albert Einstein, dessen Ruf in ›Ap­pell an die Menschheit‹ und ›Friede oder Atomkrieg‹ Sch.s nachklang, Rudolf Grabs, der Teilnehmer an dem bedeutsamen »Albert Schweitzer Ge­spräch Basel« 1967, und sogar Adolf von Harnack, jener »glänzendste Vertreter der liberalen Theologie in der Wilhelminischen Ära« (273), melden sich brieflich zu Wort.
Schließlich durften Werner Hartke, Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Günter Haufe, »ein kritisch-konstruktiv denkender und handelnder Zeitgenosse« (299), und der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss und seine Frau Elly Heuss Knapp, welche Sch. traute, in der Briefsammlung nicht fehlen. Adolf Jülicher, der erblindete und dessen Ansichten Schweitzer widersprechen musste, John F. Kennedy, dessen Atomtesthaltung ihm alle Ehre macht und dessen »als Vater von zwei Kindern teile ich Ihre Besorgnis« (422) unvergessen ist, der 1936 nach USA emigrierte Philosophiegeschichtler Werner Jaeger und der später in Basel residierende medizinische und philosophische Fachkollege Karl Jaspers nicht fehlen.
In Auswahl wird die Korrespondenz mit dem Philosophen Oskar Kraus, der gesamte Briefwechsel mit Ulrich Neuenschwander und dem großen kritischen Kirchenmann und ehemaligen U-Bootkommandanten Martin Niemöller veröffentlicht. Linus Pauling, der Kampfgenosse Sch.s gegen die atomare Entwicklung, der wirkliche Freund Sch.s Oskar Pfister – über fast 50 Seiten –, und der hochdekorierte Max Planck finden als Briefpartner ihren Platz. Der Briefwechsel zwischen Martin Rade, dem Mitbegründer der ›Christlichen Welt‹ und Sch. zeigt eher das Selbstbewusstsein damaliger kirchlicher Professorenschaft als wirkliches Problembewusstsein, wohingegen die Korrespondenzen mit Nathan Söderblom und dem ehemaligen Konfirmanden Herbert Spiegelberg tiefe menschliche Wärme verraten.
Der Briefwechsel Sch. – Eduard Spranger erreicht selbstverständlich wieder andere und dennoch bekannte Dimensionen, wie die Anrede Sprangers »Ehrfürchtig geliebter, treuer Freund« verrät. »Lieber, grosser Freund, es bleibt mir nur in Gedanken bei dir zu sein … Dein Albert Schweitzer«. Was im Gemisch der Töne Sch. – Spranger unklar blieb, schälte sich im Briefwechsel mit Georg Wehrung heraus: Tief persönliche Erfahrungen und Bindungen bestimmen das Leben und die geistige Möglichkeit. Der umfangreiche abschließende Briefwechsel mit Martin Werner legt dafür auch beredtes Zeugnis ab. Fritz Buri, mein Freund und Lehrer, Hermann Baur, mein Nachbar in der Pilgerstraße zu Basel, haben mir die Wahrheit der Berner theologischen Ethik bezeugt, die von Sch. zu mir in entscheidender Lebensphase hinüberkam. In unserem Garten des jüdischen Arzthauses in der Pilgerstraße stand damals das bronzene Reh als Leihgabe der Familie Heuss, welches uns mit einer großen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte und mit dem Genius Sch. nicht nur historisch, sondern seinsmäßig verband.

Der Nachlass Sch.s ist nicht allein einer geschichtlichen Aufarbeitung, sondern der aktualisierenden Vergegenwärtigung in Theorie und Praxis wert.