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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

99–101

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hanisch, Helmut

Titel/Untertitel:

Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen. Eine empirische Vergleichsuntersuchung mit religiös und nicht-religiös Erzogenen im Alter von 7-18 Jahren.

Verlag:

Stuttgart: Calwer; Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1996. 240 S. m. zahlr. Abb. z. T. farb. gr.8°. ISBN 3-7668-3464-9 u. 3-374-01587-5.

Rezensent:

Roland Biewald

Der Leipziger Religionspädagoge legt eine empirische Studie vor, die in mehrfacher Hinsicht auf großes Interesse bei Fachkollegen und bei allen, die praktisch mit Religions- und Gemeindepädagogik befaßt sind, stoßen dürfte. Zum einen ist es der Umstand, daß hier Schüler aus zwei verschiedenen kirchlich-gesellschaftlichen Kontexten einbezogen wurden, wodurch eine Vergleichsstudie hinsichtlich der Entwicklung des Gottesbildes möglich wird, die die kontextualen Einflußfaktoren herausarbeiten kann. Zum anderen thematisiert der Vf. die zentrale Frage der Theologie und der Religionspädagogik, nämlich die Frage nach Gott, die letztlich dem Religionsunterricht seine Identität gibt. Schließlich wird in der Untersuchung empirisch gesichertes Material geliefert, das die in der Religionspädagogik seit fast 20 Jahren diskutierten Theorien der religiösen Entwicklung modifizieren könnte.

Zwei Ausgangsfragen bestimmen die Studie: einmal die Frage nach Entwicklungstendenzen der Gottesbilder von Kindern und Jugendlichen, andererseits die Frage nach Einflußfaktoren auf die zeichnerische Gestaltung des Gottesbildes (13). In zwei Stichproben wurden 1471 Zeichnungen von 7- bis 16jährigen Schülern aus dem Kirchenbezirk Heidenheim (religiös erzogen) und 1187 Zeichnungen von gleichaltrigen Schülern aus Leipzig, Dresden und Zwickau (ohne religiöse Erziehung) ausgewertet. Es ist damit gleichzeitig eine Ost-West-Studie, die die Auswirkungen der stark entkirchlichten Situation und der a- bis antireligiösen Erziehung in Ostdeutschland hinsichtlich von Gottesvorstellungen reflektiert. Die Erforschung von Gottesvorstellungen bei areligiös Erzogenen erfolgt im deutschen Sprachraum erstmalig. Vergleichbares gibt es nur in den USA (Pitts 1977; vgl. die Darstellung des Vf.s 116 f.).

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten und zweiten Teil werden die empirischen Studien vom methodischen Ansatz über die Ergebnisse bis hin zu religionspädagogischen Schlußfolgerungen für die jeweilige Gruppe und Situation dargelegt. Der dritte Teil enthält einen Vergleich beider Untersuchungen. Nach einer knappen Darstellung der wesentlichsten Ergebnisse vorangehender Studien zum gleichen Thema (Harms 1944, Siegenthaler 1980, Bucher 1991; für die Ost-Stichprobe Pitts 1977) werden offene Fragen benannt (29 bzw. 117), auf deren Grundlage Hypothesen für die Untersuchung formuliert werden (31 bzw. 119). Die Studie führt damit die genannten Arbeiten weiter.

Die Forschungsmethode ist einleuchtend und gut nachvollziehbar. Die Zeichnungen der Schüler werden auf Bildzeichen hin untersucht, die eine Zuordnung der Gottesdarstellung zu "anthropomorphen" oder "symbolischen" Gottesbildern zuläßt. Vermischungen beider werden eigens betrachtet. Schließlich werden die Gottesbilder, differenziert nach inhaltlichen Charakteristika in Beziehung zu den Altersstufen gesetzt. Die statistischen Ergebnisse sind anschaulich in Diagrammen dargestellt. 60 Bildbeispiele sowie abgedruckte Schüleräußerungen, die zu den Bildern gemacht wurden, erlauben es dem Leser/der Leserin, die Interpretationen nachzuvollziehen oder auch zu ergänzen. Damit läßt sich das Buch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Religions- und Gemeindepädagogen hervorragend einsetzen.

Hervorzuheben ist auch die Klarheit, in der die Hypothesen diskutiert werden. Verifizierung bzw. Falsifizierung werden differenziert vorgenommen, wobei auch die methodischen Grenzen der Untersuchung genannt werden, z. B. daß die kognitive Entwicklung der Probanden nicht erhoben werden konnte und daher eine empirische Überprüfung der Entwicklung von anthropomorphen zu symbolischen Gottesbildern noch aussteht (94 f.).

Der Vergleich der beiden Studien beginnt mit der Legitimationsfrage für den Religionsunterricht: "Was leistet religiöse Erziehung?" (213). Die Antwort darauf wird in Form von sechs Aussagen gegeben, die mit dem erhobenen Datenmaterial begründet werden. Gesichert erscheint die Erkenntnis, daß das Abnehmen anthropomorpher Gottesbilder zugunsten von symbolischen Vor- und Darstellungen ursächlich mit religiöser Erziehung zu tun hat. Die Gruppe der areligiös erzogenen Schüler hielt auch mit zunehmendem Alter deutlich an anthropomorphen Darstellungen fest.

Bemerkenswert ist auch das Ergebnis, daß es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt: Mädchen zeichnen mehr symbolische Gottesbilder, neigen also stärker zur Reflexion (95 f. und 201). Nachgewiesen wurde auch die Kontextabhängigkeit der Darstellungen, die z. B. darin bestehen kann, ob jemand sein kritisches Gottesbild rechtfertigen muß (religiös Erzogene) oder umgekehrt (224).

Die Ergebnisse dieser Studie legitimieren den Religionsunterricht nicht nur fachimmanent, also als didaktisches Mittel zur Entwicklung und Reflexion des Gottesbildes, sondern sie machen auch auf dessen bildende Wirkung aufmerksam. Es wurde herausgearbeitet, daß auch a-religiös erzogene Kinder ein Gottesbild entwickeln, das freilich im Märchenhaften und an anthropomorphe Bilder geknüpft bleibt. Mit diesem Gottesbild verbinden sich jedoch Wünsche, Sehnsüchte, Ängste, Grenzerfahrungen, Ich-Reflexionen der Kinder, die für die menschliche Entwicklung insgesamt wichtig sind. Wenn religiöse Erziehung dazu verhilft, diese Erfahrungen zu reflektieren, ihnen Sprache und Symbolik zu verleihen, sie mit Sinnsystemen zu verknüpfen, dann hat die religiöse Erziehung eine (allgemein-)bildende Funktion. Das ist insbesondere für die Situation in Ostdeutschland ein wichtiges Argument, gilt aber auch für die allgemein abnehmende Reflexionsfähigkeit religiöser Sachverhalte, die letztlich immer in die Gottesfrage münden. Weiterhin wird die Forderung für die Religionspädagogik deutlich, frühkindliche Gottesvorstellungen tatsächlich weiterzuentwickeln, die Reflexionsfähigkeit religiöser Fragen zu stimulieren. Das bedeutet keineswegs eine vorschnelle Kritik und "Theologisierung" der vorhandenen Gottesbilder, sondern daß sie zunächst in ihrer Originalität erstgenommen werden (vgl. 101 ff.).

Es ist diesem gelungenen Buch zu wünschen, daß es viele Leserinnen und Leser findet, die sich von den Ergebnissen und Interpretationen anregen lassen, Religionspädagogik als "Entwicklungshilfe" so zu treiben, daß junge Menschen nicht nur zur Gottesfrage, sondern auch zu Gott selbst eine Beziehung entwickeln.