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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

94–96

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch. Band 1.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. 719 S., 1 Farbtaf. 8° = de Gruyter Lehrbuch. Kart. DM 68,­. ISBN 3-11-015239-8.

Rezensent:

Torleiv Austad

Es ist wieder die Zeit für Gesamtdarstellungen der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche gekommen. Darstellungen dieser Art erschienen in den vierziger Jahren (E. Schlink), in den fünfziger Jahren (F. Brunstäd) und in den sechziger Jahren (H. Fagerberg). Mit Ausnahme von F. Mildenbergs "Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften" (1983) ist seitdem keine umfassende Analyse der Theologie des Konkordienbuches veröffentlicht worden. Das Jahr 1996 scheint da Wendepunkt zu sein, indem gleich zwei solcher Darstellungen herausgegeben worden sind. ­ Im Zeitalter des Ökumenismus stehen wir vor der Frage: Wie schreibt man eine Theologie der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften nach Vaticanum II und mitten in bilateralen und multilateralen Dialogen zwischen den Kirchen? In seiner Antwort geht der Münchener Systematiker Gunther Wenz (geb. 1949) davon aus, daß der Weg zur ökumenischen Verantwortlichkeit durch die Traditionen der einzelnen Konfessionskirchen läuft. Nach seiner Ansicht gilt es vor allem, das Motiv des Gemeinchristlichen im eigenen konfessionellen Kirchentum zu entdecken, ohne die eigene kirchliche Identität mit dem konstitutiven Einheitsgrund der Kirche gleichzusetzen. Aus einer solchen Entdeckung ergeben sich ökumenische Öffnung und Aufgeschlossenheit. W. beschreibt diese Methode als "eine ökumenische Hermeneutik der Selbstunterscheidung" (D. Korsch).

Bei W. liegt der theologischen Beschäftigung mit den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften nicht nur eine ökumenische Intention zugrunde. Die Arbeit selbst will als genuin ökumenisches Anliegen verstanden werden. Damit kann W. "gesteigerte Selbstdurchsichtigkeit" zur zentralen These seiner Studie machen. Das geschieht durch eine tiefgreifende Untersuchung der lutherischen Identität auf der Basis der Theologie des Konkordienbuches. Ständig wird betont, daß die Wittenberger Reformation auf eine gesamtkirchliche Reform zielte, nicht auf eine konfessionskirchliche Etablierung. Die Reformation wollte nicht eine neue Kirche schaffen, sondern die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche nach Maßstab des wiederentdeckten Evangeliums von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen erneuern.

Die Arbeit von W. ist sowohl eine historische als auch eine systematische Einführung in das Konkordienbuch ­ ein riesiges Projekt in zwei Bänden. Der erste Band zählt 719 Seiten. Diese umfangreiche Darstellung fängt ­ nach Einführung und Einleitung ­ mit einem Kapitel über Lucas Cranach d. Ä. als Maler der Wittenberger Reformation an. Das illustriert die Breite der Geschichtsschreibung von W. Er beschränkt sich nicht auf eine enge Einführung in die reformatorische Theologiegeschichte, sondern beschreibt den politischen, kulturellen und kirchlichen Kontext der Entstehung und der Ausformung der evangelisch-lutherischen Theologie der Bekenntnisschriften. Teilweise ist die Darstellung sehr detailliert, jedenfalls für nicht-deutsche Leser. Man kann die Frage stellen, ob dieses Werk auch für die meisten deutschen Theologiestudenten zu breit und umfangreich ist. Unter allen Umständen ist es eine Goldgrube für alle diejenigen, die die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche eingehend studieren wollen.

Das Werk ist in vier Hauptteile untergliedert. Zuerst kommt eine Analyse des Konkordienbuches unter dem Gesichtspunkt "Christliches Zeugnis als Schriftauslegung in der Kontinuität der altkirchlichen Symbole". Im zweiten Hauptteil behandelt W. den Kleinen und den Großen Katechismus. Hauptteil III ist der umfangreichste. Er besteht aus einer historischen und systematischen Untersuchung vom evangelischen Glauben des Augsburger Bekenntnisses, der Apologie der Confessio Augustana, der Schmalkaldischen Artikel und des Traktates von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes. Der erste Band endet mit einem Kapitel über den dreieinigen Gott und die Vermittlung des Heils. Im zweiten Band geht es weiter mit der Lehre der Rechtfertigung des Sünders und den anderen zentralen Punkten des evangelischen Glaubens. Nach der Voranzeige zum Inhalt des zweiten Bandes folgt hier der vierte Hauptteil des Werkes, der die Konkordienformel behandelt.

Im Vorwort räumt W. ein, daß die Darstellungsperspektive von spezifisch deutschen Verhältnissen geprägt ist. Das liegt selbstverständlich am Gegenstand der Arbeit und seiner Geschichte. Auch die zahlreichen Literaturhinweise im Text und in den Fußnoten stammen hauptsächlich aus dem deutschen Raum. Es gibt jedoch wesentliche Beiträge zum Thema Theologie des Konkordienbuches in englischer Sprache, die mindestens erwähnt werden sollten. Man kann auch die Frage stellen, inwieweit diese großartige und gelehrte Arbeit wirklich "ökumenisch produktiv" ist. Unter der Voraussetzung, daß diese Arbeit als erste Stufe in einem ökumenischen Prozeß zu betrachten ist, möchte ich ohne Zögern die Frage bejahen. W. hat recht, wenn er andeutet, daß Fortschritte im ökumenischen Dialog zwischen den Kirchen nur durch ein offenes und sachgemäßes Bewußtsein eigener Konfessionalität erreicht werden können. Deshalb brauchen wir dringend diese neue und tiefgreifende "gesteigerte Selbstdurchsichtigkeit" in der evangelisch-lutherischen Theologie und Kirche.