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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

480-481

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schatull, Nicole

Titel/Untertitel:

Die Liturgie in der Herrnhuter Brüdergemeine Zinzendorfs.

Verlag:

Tübingen: Francke 2005. 263 S. gr.8° = Mainzer Hymnologische Studien, 14. Kart. EUR 48,00. ISBN 3-7720-8062-6.

Rezensent:

Konrad Klek

Die Herrnhuter Brüdergemeine ist als wesentlich liturgisches Phänomen gemeinhin bekannt, als solches bis dato aber noch nie Thema einer monographischen Abhandlung gewesen. Das reichhaltige, mit vielen spontanen Elementen durchsetzte liturgische Leben schien sich einer methodisch hinreichenden Erschließung zu wi­dersetzen und wurde lediglich als freikirchliche Stilblüte goutiert. Nun beförderte das Mainzer Graduiertenkolleg Hymnologie diese umfassende, noch von Rainer Volp angeregte Untersuchung, welche nicht nur die ergiebige hymnologische Dimension, sondern das gesamte Spektrum von Liturgie – deren Begriff, ihre Ausformungen und ihre schriftlich niedergelegten Regeln (in Agen­den, Liturgiebüchlein genannt) – in den Blick nimmt. Methodisch sinnvoll ist die zeitliche und lokale Eingrenzung auf die Entwick­lungen zu Lebzeiten Zinzendorfs im Zentrum Herrnhuts, was den Stoff überschaubar macht, das gerade in der Anfangszeit aufbrechende Spezifische benennen lässt und quellenmäßig im Herrn­huter Universitätsarchiv gut fassbar ist.
Nach knappem »historischem Einblick« und Beschreibung der Quellentexte erschließt der Vf. in drei Schritten das mit »liturgischer Kosmos« stimmig benannte Gesamtphänomen. Allerdings werden zunächst über 50 Seiten »Bedeutungsaspekte« der Herrnhuter Li­turgie erhoben, also der spezifische »Begriff« von Liturgie bei Zinzendorf diskutiert, 70 Seiten sind der Darstellung der liturgischen Praxis in ihrer Vielfalt und Vitalität gewidmet, über weitere 70 Seiten werden die gedruckten Gesang- und Liturgienbücher in ihrer Komplementarität und Interdependenz vorgestellt, wozu auch gut 20 Seiten Anhang mit neu erschlossenen Quellentexten gehören. Gerade die hier erstmals vorgenommene Zusammenschau von Gesang- und Liturgienbüchern macht deutlich, wie in­dividuelle Frömmigkeit und gemeinsam vollzogener Gottesdienst, spontane Variabilität aus einem großen Sprachfundus heraus und Regelhaftigkeit der Liturgie bei den Herrnhutern aufeinander be­zogen sind und in dieser Komplementarität den faszinierenden »liturgischen Kosmos« ermöglichen.
Die liturgischen Versammlungsformen werden mit großer Um­sicht, sachgemäß und klar strukturiert im zweiten Kapitel präsentiert. Die in der Außensicht verwirrenden Differenzierungen der Veranstaltungen im Tagesablauf, an Sonntagen, in Gesamtgemeinde und »Chören«, bei Kasualien, bei besonderen Festtagen im Kirchenjahr oder im speziell brüderischen Gedenkkalender werden so in ihrer jeweiligen Funktion und Zuordnung transparent und ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Dazu gehört der Aufweis, dass entgegen der landläufigen Meinung die »musikalisch-gesanglichen Veranstaltungen« kein Übergewicht hatten gegenüber »Re­deversammlungen«.
Nicht überzeugend ist für den Rezensenten der vom Vf. eingeschlagene Weg, im ersten Kapitel eine wortreiche Begriffsdefinition zu unternehmen, um damit nachzuweisen, dass die fast schon sprichwörtliche liturgische Spontaneität der Herrnhuter nicht »un­planmäßig oder unsystematisch«, sondern »bewußt strukturiert« gewesen sei (31). Das Begriffsproblem, dass bei Zinzendorf das ganze Leben dezidiert »Liturgie« ist und dann im speziellen Sinne bei gottesdienstlichen Vollzügen von Liturgie zu sprechen ist, löst der Vf. mit einem zu hohen Aufwand an verschachtelter Begrifflichkeit auf der Basis der in der hermeneutischen Diskussion längst überholten Unterscheidung von Grund und Ausdruck.
Einen »li­turgischen Kosmos« kann man begrifflich nicht fassen wollen. Ge­nügt hätte das in der Überschrift angezeigte Benennen von »Bedeutungsaspekten«, sachlich plausibler aber erst nach der Präsentation jenes Kosmos platziert. So aber wird zudem bei jedem der Abschnitte »Ertrag und Diskussion« das Theoriegebäude von Kapitel I mit den Leser strapazierenden Redundanzen erneut aufgebaut und in seiner (vermeintlichen) Evidenz bestätigt. Im Stil schwer erträglich ist auch die sachlich durchaus gerechtfertigte, aber penetrant und gleichfalls redundant vorgetragene Zurechtweisung der bisherigen Forschung. Etwas peinlich wird das dadurch, dass offensichtlich bei der Redaktion der Druckfassung die Forschungsüberblicke bei den einzelnen Kapiteln nach hinten gewandert sind und die Kapitelzählung modifiziert wurde, dies im darauf bezogenen, laufenden Text aber nicht korrigiert wurde.
Schade, dass etwas so Erquickliches und Anregendes wie der »liturgische Kosmos« der Herrnhuter in einer solch gestelzten Verpackung präsentiert wird und so das in der Einleitung formulierte Ziel, »zu einem vertieften Liturgieverständnis und damit zu einer lebendigeren Gottesdienstpraxis beizutragen« (11), wohl kaum er­reicht wird.