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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

476-477

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hein, Detlef

Titel/Untertitel:

Spiritualität in Partnerschaft – Grundlagen und Perspektiven psychologischer Paarberatung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 328 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 25,00. ISBN 3-17-019019-9.

Rezensent:

Michael Klessmann

Ein anregendes und zugleich anspruchsvoll-schwieriges Buch ist hier vorzustellen. In acht Kapiteln durchmisst der Vf., der als Ehe- und Lebensberater, TZI-Gruppenleiter und Supervisor tätig ist, das komplexe Terrain eines interdisziplinären Zugangs zum Thema Spiritualität und Partnerschaft. Mit eigenen Worten beschreibt er seine Zielsetzung so: »Mein Anliegen ist ein doppeltes: liebende Frauen und Männer will ich anregen, in aufgeklärter Selbstbestimmung die spirituelle Dimension ihrer Liebe zu entdecken, auch und gerade da, wo ihr Weg sie durch schmerzhafte Erfahrungen von Bindung und Trennung führt. Fachlich ist mir gelegen am Miteinander verschiedener Wissenschaften im Kontext eines Menschenverständnisses, das persönliches Wachstum, Beziehungsfähigkeit mit spiritueller Reife verbindet, im Ursprung die Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe.« (10)
Die zweite Zielsetzung steht erst einmal im Vordergrund: In verschiedenen Anläufen geht es dem Vf. darum zu zeigen, dass mystische oder spirituelle Erfahrung inzwischen auch naturwissenschaftlich ernst genommen wird. Neueste Forschung aus Physik, Biologie und Hirnforschung werden zusammengetragen und diskutiert. Für den Vf. legen sie allesamt nahe, dass wir mit einer »umfassenden Wirklichkeit«, einem »inneren Jenseits der Wirklichkeit«, die letztlich relational strukturiert ist, rechnen müssen; spirituelle, mystische oder transpersonale Erfahrung nähert sich diesem letzten Grund, der Liebe. – Die grundlegende Relationalität der Wirklichkeit setzt sich bis in die Vorgänge des Körpers hinein fort: Energetisch fließende Beziehungen haben heilende, gesundheitsfördernde Wirkungen, das zeigen die Modelle der Salutogenese von Antonowski oder das der Selbstregulation von Grossarth-Maticek. Beziehung zum Sinn, Vertrauen in den Urgrund des Seins ist na­türlich Bestandteil dieser Beziehungshaftigkeit.
Im 4. Kapitel werden die Wurzeln der Liebe beschrieben, Funktion und Entwicklung der Sexualität, Beziehungsformen im Lauf der Geschichte, und dann, zentral, die spirituelle Dimension der Liebe. Paartherapeuten sprechen gelegentlich von einem »Paar-Selbst«, von einem »dritten Leib«, von einer »Paar-Aura«. Liebende Hingabe kann die Grenzen des Ich überschreiten und sich hin zu einem weiteren Horizont, »bis ins Göttliche« öffnen. Diese Perspektive ist Geschenk und Arbeit zugleich. »Von spiritueller Liebe wird da zu sprechen sein, wo sich Partner im Bewusstsein des Göttlichen, theistisch in Gott verbunden fühlen« (172). Wie allerdings Paarberatung, deren Methoden und Vorgehensweisen in diesem Zusammenhang vorgestellt werden, dabei hilfreich sein kann, bleibt weitgehend offen. Der Verweis auf die Weitergabe des Segens in einem Gottesdienst anlässlich der Eheschließung ist wichtig, geht aber über den Beratungskontext hinaus.
Was wird aus der spirituellen Dimension der Liebe angesichts von Trennung und Scheidung?, wird im 6. Kapitel gefragt (nach einem langen Anmarschweg zur Geschichte von Scheidung und den Phasen der Trennung). Die Verbindung mit dem Göttlichen muss über dem Schmerz der Trennung nicht abbrechen: »theistisch ausgedrückt: Gott trennt sich nicht, wenn ich mich trenne, er verlässt mich nicht, wenn ich verlassen werde« (228). Dasselbe gilt für das Chaos der Liebe, für Täuschung, Untreue, Dreiecksbeziehungen. In allen Irrungen bleibt die Utopie der Treue (die vom Gebot der Treue zu unterscheiden ist!) bestehen.
Das letzte Kapitel »Spiritualität in Partnerschaft« wendet sich nun konzentriert dem Thema Spiritualität zu, stellt Stufenmodelle spiritueller Entwicklung von Gebser, Wilber und Washburn vor und befasst sich dann mit der spirituellen Dimension in Therapie und Beratung (287 ff.): Gibt es »ein Drittes« im Übertragungsprozess, wo die Übertragung offen ist für das Göttliche?
Zwei Wege stehen sich sowohl im gesellschaftlichen Kontext als auch im Blick auf Paarbeziehungen gegenüber: entweder von der Selbsterhaltung über Selbststeigerung bis zur Selbstzerstörung oder von der Selbsterhaltung über Selbstverwirklichung (in Bezogenheit, hätte hier m. E. ergänzt werden müssen) zur Selbsttranszendenz. Der zweite Weg lebt vom Loslassen, Staunen, von Ergriffenheit, kurz: der mystischen Erfahrung. »Die Liebe sucht mit dem Du die Zweiheit und sehnt sich darin nach Einheit« (302). Zur mys­tischen Einheit gehört auch die Überwindung der Dualität von The­ismus und Atheismus auf einer höheren transtheistischen Ebene.
»Liebende haben es leichter, wenn sie einander erfahren können als einzigartig in der je eigenen Individualität, unterscheidbar als Paar von den umgebenden Anderen, und zutiefst als Teil eines um­fassenden Ganzen, des Universums, dessen tiefster Grund Liebe ist: als Ich getrennt, im Wir verbunden, im Sein geeint« (308).
Das Buch stellt, so habe ich es verstanden, eine breit angelegte Apologie mystischer Erfahrung und ihrer Bedeutung für Partnerschaft dar. Der Vf. trägt eine Fülle von Ansätzen und Konzepten zusammen, vor allem der Dialog zwischen Psychologie, Theologie, Hirnforschung und Evolutionsbiologie ist reizvoll. Stellenweise finde ich den Horizont zu weit ausgreifend (warum muss z. B. bei den Stichworten Ehe und Scheidung noch deren Geschichte skizziert werden?). Auch erscheint mir der Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen nicht immer stringent. Vor allem den Bezug auf Konzepte und Praxis der Paarberatung und der Rolle, die Spi­ritualität dabei spielt oder spielen kann – und das verspricht ja der Titel –, hätte ich mir intensiver gewünscht. Viele Seitenhiebe auf Kirche und (dialektische) Theologie sind berechtigt, aber die Schattenseiten der mystischen Erfahrung hätten vielleicht doch auch differenzierter bedacht werden müssen. Trotzdem: ein Buch, das an vielen Stellen neugierig macht und zum Weiterdenken anregt.