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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

473-475

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Becker, Hansjakob, Fugger, Dominik, Pritzkat, Joachim, u. Katja Süß [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgie im Angesicht des Todes. Reformato­rische und katholische Traditionen der Neuzeit. 2 Teile. Hrsg. un­ter Mitarb. v. M. Fischer.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2004.Teil I: Reformatorische Traditionen. XVIII, 566, *XXXI S. gr.8° = Pietas Liturgica, 13. Geb. EUR 89,00. ISBN 3-7720-3029-7. Teil II: Katholische Traditionen. XVIII, S. 567–1246, *XXXI S. m. Abb. gr.8° = Pietas Liturgica, 14. Geb. EUR 89,00. ISBN 3-7720-3030-0.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die beiden Bände sind der dritte und vierte Band eines auf sechs Bände angelegten Werkes, das die christlichen Sterbe- und Begräbnisliturgien als Quellentexte zugänglich machen will. Traditionelle und gegenwärtige Formen und Inhalte werden diachron und synchron durchleuchtet, damit das Verständnis und der Umgang mit dem Tod in Geschichte und Gegenwart deutlich werden. Denn immer dann, wenn sich das Verständnis und der Umgang mit Sterben und Tod gesellschaftlich verändern, sind auch Veränderungen des Lebens und seines Verständnisses festzustellen. Das schlägt sich in den Liturgien nieder. Die Publikation dieser Riten und Liturgien ist auch nötig, damit das interdisziplinäre Gespräch inner- wie auch außertheologisch gefördert wird – eine Intention, die sich die Reihe Pietas Liturgica zur Aufgabe gemacht hat.
Innerhalb dieser Reihe erscheint das auf sechs Bände angelegte Werk ›Liturgie im Angesicht des Todes‹, wobei die ersten beiden Bände (Bände 9 und 10 dieser Reihe) bereits 1997 erschienen sind und von Hansjakob Becker und Hermann Ühlein herausgegeben wurden; sie enthalten die Traditionen des Judentums und die vielfältigen Riten der Ostkirche. Die noch ausstehenden Bände werden die lateinischen Traditionen der Westkirche von der Spätantike über das Mittelalter bis zum Rituale Romanum von 1614 vorlegen.
Die hier zu rezensierenden Bände widmen sich der Neuzeit: der 13. Band den reformatorischen, der 14. Band den rö­misch-katholischen Traditionen. In beiden Bänden werden die Quellentexte eingeleitet, dann abgedruckt und anschließend kommentiert.
Für die reformatorischen Traditionen wurden die lutherische, die reformierte und die anglikanische Tradition aufgenommen. Ottfried Jordahn beginnt die Textauswahl und die damit verbundene Kommentierung für die lutherische Sterbegleitung mit Martin Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben von 1519 und für das Begräbnis mit Luthers Vorrede zur Sammlung der Begräbnislieder von 1542. Dann folgen die entsprechenden Auszüge aus den Kirchenordnungen für die Sterbebegleitung und das Begräbnis mit Kommentierung. Für das Zeitalter der Aufklärung und Restauration werden auch Privatagenden herangezogen; für die Gegenwart stehen die Agende ›Dienst an Kranken‹ (1994) und das ›Lutheran Book of Worship‹ (1978). Dann folgt eine stattliche Zahl von Sterbe- und Begräbnisliedern mit kurzen Kommentaren. Für die reformierte Tradition in deutscher und französischer Sprache hat Bruno Bürki folgende Texte zusammengestellt und kommentiert: Kirchenordnung in der Kurpfalz (1563), Zweites Helvetisches Be­kenntnis (1566), La Discipline des Églises réformées de France (1562), Kirchenordnung Zürich (1529? und 1535). Für das 20. Jh. stehen für die Sterbebegleitung ›Livret pour l’accompagnement des malades‹ (1991) und für das Begräbnis die ›Reformierte Liturgie‹ (1999) und ›Der Bestattungsgottesdienst nach der Liturgie der Evangelisch-reformierten Kirchen in der deutschsprachigen Schweiz‹ (2000). Für die anglikanische Tradition hat Paul P. J. Sheppy Texte aus vielen anglikanischen Kirchenprovinzen zusammengetragen: für die Church of England das Book of Common Prayer (1662) und das Alternative Service Book (1980), dann auch entsprechende Texte aus der Gegenwart der Scottish Episcopal Church und der Church of Ireland, der Episcopal Church of America und der Anglican Church of Canada, der Church of the Province of Southern Africa, der Church of the Province of New Zealand, der Church of England in Australia und der Anglican Church of Papua New Guinea. Hier kommen vielfältige Einflüsse in einer großen Tradition zum Vorschein. Zum Abschluss des Bandes bietet Ottfried Jordahn Texte ausgewählter Funeralkompositionen von H. Schütz, J. S. Bach, J. Brahms und R. v. Oertzen mit Kommentierung an.
So kann man nur anerkennend feststellen, dass durch diese An­sammlung von Texten und kundigen Kommentierungen, auch durch das Würdigen der Lieder, die ja eine nicht zu unterschätzende Bedeutung sowohl für die Seelsorge als auch für das Erkennen des Verständnisses von Sterben und Tod und seiner Wandlungen haben, ein Einblick in ein reformatorisches Verständnis von Sterben und Tod gegeben wurde, das geeignet ist, wissenschaftlich und damit auch interdisziplinär auftreten und sachkundig in ein Gespräch eintreten zu können. Dasselbe gilt auch für die römisch-katholischen Traditionen: Beatrix Türmer hat das ›Catholisch Pfarbuch‹ (1578) von Johann Leisentrit ediert und kommentiert, Jean Evenou hat sich der Sterbe- und Begräbnisriten in den französischen Diözesanliturgien vom 17. bis zum 19. Jh. an­genommen, Be­nedikt Kranemann und Manfred Probst haben zahlreiche Texte des Aufklärungskatholizismus für Sterben und Be­gräbnis erarbeitet, der mittlerweile verstorbene Balthasar Fischer hat die Collectio Rituum pro omnibus Germaniae dioecesibus (1950) ediert und kommentiert und Andreas Heinz die dazugehörigen volkssprachlichen Begräbnisgesänge. Dominik Fugger hat unter der Überschrift ›Liturgie im Werden‹ das Schema der Sterbe- und Begräbnisliturgie dargestellt, wie es das Zweite Vatikanische Konzil vorgesehen hat. Matthias Kliegel und Patrick Schödl haben die Texte der Sterbe- und Begräbnisliturgie ediert und kommentiert. Michael Fischer hat Entwicklungslinien des Requiems zwischen 1700 und 2000 aufgezeigt und entsprechend zum reformatorischen Teil auch die musikalische Dimension dieser Kasualie gewürdigt.
Zum Abschluss beider Bände fragt Ansgar Franz nach den »Letzten Worten« angesichts gesellschaftlicher Wandlungen an der Schwelle zum 21. Jh. als Herausforderung für die christliche Be­gräbnisliturgie.
So gelungen die beiden Bücher auch sind, so kritisch fällt doch das Urteil über den liturgischen Umgang mit Sterben und Begräbnis selbst aus, was die Zukunft betrifft. Ansgar Franz resümiert, dass die Kirche ihr Ritenmonopol verloren hat, die Kirchen nun in Konkurrenz zu weltlichen Bestattern agieren müssen. Auch ist eine beunruhigende Veränderung der Bestattungskultur zu beobachten, die sich zugleich im nicht immer humanen Umgang mit den Lebenden widerspiegelt. Für die Liturgiewissenschaft sieht Ansgar Franz drei Schritte: Sie muss die eigene Tradition kennen und re­flektieren, die gegenwärtigen kulturellen, gesellschaftlichen und spirituellen Kontexte wahrnehmen und den Prozess kritisch be­gleiten, wenn die Tradition notwendigerweise unter ge­wandelten Bedingungen neu formuliert, neue Gestalten gefunden werden müssen. Die Liturgiewissenschaft ist also an das interdisziplinäre Gespräch gewiesen.
Dass für den ersten Schritt – die Liturgiewissenschaft muss ihre eigene Tradition kennen und reflektieren – mit diesen beiden Bänden ein außerordentlich wichtiger Beitrag geleistet wurde, kann nicht mehr bezweifelt werden. Mögen sie dazu verhelfen, dass auch die anderen beiden Schritte getan werden.