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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

471-473

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Albert-Zerlik, Annette

Titel/Untertitel:

Liturgie als Sterbebegleitung und Trauerhilfe. Spätmittelalterliches Erbe und pastorale Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Ordines von Castellani (1523) und Sanctorius (1602).

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2003. 297 S. m. Abb. u. Tab. gr.8° = Pietas Liturgica. Studia, 13. Geb. EUR 54,00. ISBN 3-7720-3272-9.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Diese Untersuchung, die vom Fachbereich Katholische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2001 als Dissertation angenommen worden ist, geht der Frage nach, wie sich das christliche Verständnis von Sterben und Tod vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart geändert hat. Der Untersuchungsgegenstand sind die Sterbe- und Begräbnisliturgien, die Auskunft geben über mentalitätsgeschichtliche und theologische Veränderungen. Das Ziel ist, die anthropologischen und theologischen Bedeutungen der Texte und Riten herauszuarbeiten.
Es wurden fünf repräsentative Quellen der römischen Sterbe- und Begräbnisliturgien ausgewählt: das Pontifikale der römischen Kurie (13. Jh.); das Sacerdotale Romanum von Alberto Castellani (ca. 1450–1537), der es 1519–1520 verfasste und für den Gebrauch des einfachen Priesters erarbeitete. Er erhielt die kirchliche Druckerlaubnis und Papst Leo X. verpflichtete die Priester sogar zumindest in Bezug auf die Sakramentenspendung auf dieses Sacerdotale, das 16 Auflagen bis 1597 erlebte. Dagegen wurde die dritte Quelle, das Rituale Romanum von Julius Antonius Sanctorius (1584–1602), zwar gedruckt, aber nie richtig veröffentlicht, weil es mit 712 Seiten zu umfangreich war. Sanctorius, der als Kardinal die Beschlüsse des Trienter Konzils durchführen wollte, plante im Anschluss an das Konzil, ein vereinheitlichtes Rituale zu schaffen, sammelte viele Quellen und versuchte, sie anzugleichen – über einen Zeitraum von 27 Jahren hin. Das nicht handhabbare Buch, das aber wegen seiner Quellensammlung bedeutend ist, ging ein in das Rituale Romanum (1614), das in nur einem Jahr geschaffen wurde (die vierte Quelle der Vfn.). Es galt fast unverändert, bis nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil das Römische Rituale (die fünfte Quelle der Vfn.) geschaffen wurde, das drei Bücher umfasst: die Liturgie für das Begräbnis (1969), die Sterbebegleitung (1972) und ein Ordo für die von Laien gespendete Wegzehrung (1973). Die für das deutsche Sprachgebiet erfolgten Adaptionen sind die Begräbnisfeier von 1972 und die Feier der Krankensakramente von 1975.
Die Vfn. stellt die Riten dieser fünf Quellen synoptisch zusammen, bei der Analyse werden auch Texte verglichen und im Blick auf das Ziel dieser Untersuchung bearbeitet. Einen Hauptteil bilden die Texte von Castellani und Sanctorius und ihre Analyse. Dabei stellt sich heraus, dass zwar der Begräbnisritus fast unverändert blieb, wie es im Pontifikale vorgesehen war, aber die Sterbeliturgie umfängliche Ausmaße annahm. Das lag am erhöhten Bedarf der Seelsorge. Immerhin ging man davon aus, dass sich in der Sterbestunde das Schicksal der Seele entscheidet, da Engel und Dämonen um die Seele kämpfen. Der Seelsorger hatte den Sterbenden zu unterstützen, beim Glauben zu bleiben. Insofern war eine entsprechende seelsorgerliche Begleitung durch Lesungen und Gebete vonnöten, die die Ritualien bereitstellten. Das Rituale Romanum von 1614 zeigt deutliche Züge der Neuzeit: die Texte sind kürzer, die Rubriken übersichtlicher, der Priester erhält mehr Spielraum, um die Texte und Handlungen der Situation des Sterbenden anpassen zu können. Auch wird auf mythologisch-apotropäische Motive verzichtet, überschwängliche Emotionalität weicht einer nüchternen Sprache. Allerdings tritt nun der Bußcharakter der Gebete und Le­sungen stärker hervor, bei Castellani und Sanctorius waren auch Gebete und Lesungen von österlichem Charakter anzutreffen. Die neuen Ritualien nach dem Zweiten Vatikanum haben nun das österliche Motiv so sehr in den Vordergrund gerückt, dass manchmal – so kritisiert die Vfn. – beim Sterberitus die existentiellen Nöte des Sterbenden und auch der Trauernden nur unzureichend in den Blick kommen. Sie greift hier auf die Texte von Sanctorius zurück, der für die Sterbepastoral nüchterne und klare Hinweise gibt und die existentielle Situation des Sterbenden mit entsprechenden Ge­betstexten aufnimmt. Wenn darüber hinaus gefragt wird, welches spätmittelalterliche Erbe – also jene Texte, die in dieser Zeit inhaltlich und als entsprechende Gattung neu entstanden sind – in heutigen Ordnungen anzutreffen ist, dann sind es die Pastoralen Einführungen und die Kurzgebete. Die Pastoralen Einführungen er­klären die Ordnungen und geben Hinweise für den Priester, wie er sie verwenden soll und worauf zu achten ist. Solche Vorbemerkungen finden sich mittlerweile, sogar in weit größerem Umfang als im Mittelalter, in allen Agenden. Auch die Kurzgebete sind bis heute tradiert: Sie gehen sehr auf die Situation der Sterbenden ein. Kurze Gebete kann der Sterbende noch selbst sprechen, und sie fassen – wenn der Priester sie an seiner Statt spricht – die Not und die Angst kurz und bündig zusammen, sei es als Klage, als Bitte oder Dank. Diese Gebetstexte finden sich auch in Gesangbüchern; die Vfn. untersucht sie nicht nur anhand des katholischen Gotteslobes für Deutschland und die Schweiz, sondern auch anhand des Evangelischen Gesangbuches (1993) und des Gesangbuches für die Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (1998).
Die Vfn. betont zu Beginn ihrer Untersuchung, dass die Texte der hier angegebenen Quellen untersucht, die zeitbedingten Um­stände, die geschichtlichen Aspekte, die Mentalitäten der jeweiligen Zeit und Epoche anhand dieser Quellen aufgezeigt und in ihnen gleichsam wie in einem Spiegel gelesen werden. Das ist wohl geschehen – dennoch bleibt der Eindruck zurück, dass auch and­ere, nichtliturgische Texte wichtig wären, um zu zeigen, welche Aspekte, insbesondere in anthropologischer und mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht, in die offiziellen Ritualien aufgenommen oder eben nicht aufgenommen wurden. Eine Einordnung der anthropologischen und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte in ihrem um­fassenden Kontext, so wie sie für die theologischen Aspekte vorgenommen worden ist, kommt auf diese Weise etwas zu kurz.