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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

467-468

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Suda, Max Josef

Titel/Untertitel:

Die Ethik Martin Luthers.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 221 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 108. Geb. EUR 46,90. ISBN 3-525-56337-X.

Rezensent:

Georg Nicolaus

Wer eine leicht lesbare Einführung in Grundgedanken der Theologie und Ethik Martin Luthers sucht, ist mit S.s Darstellung gut bedient. Der auf Vorlesungen basierende Text wendet sich dezidiert an ein Publikum, das mit Luther und mit ethischen Denkmodellen gleichermaßen wenig vertraut ist. Begriffe wie »Ethik«, »goldene Regel« oder »linker Flügel der Reformation« werden nicht als bekannt vorausgesetzt, sondern erklärt, sämtliche lateinischen Worte und Wendungen sind übersetzt. Im konsequent durchgehaltenen Ich-Stil und in gelegentlichen Einwürfen wie »Weit ge­fehlt!« (60) oder »Am besten gewöhnen wir uns bei der Lektüre Luthers jedoch ab, hören zu wollen, was wir erwarten …« (82), dokumentiert sich S.s Bemühen, seinen Hörern bzw. Lesern in Luthers Denken eine fremde, aber trotzdem wichtige und bedenkenswerte Sicht nahezubringen; an jeder Stelle ist zu spüren, dass S. Luthers Theologie nicht nur an sich, sondern auch für die Gegenwart von Bedeutung zu sein scheint.
Ausgangspunkt der Darstellung sind die von S. als wesentlich angesehenen Grundkoordinaten von Luthers Denken (vgl. 18 ff.). In zwölf leicht fasslichen Kapiteln analysiert S. jeweils einen zentralen Begriff bzw. Aspekt der Theologie Luthers: In einer bis auf die etwas verspätet behandelte Sündenlehre sinnvollen Reihenfolge werden Meditation, Rechtfertigung, Gesetz und Evangelium, Glaube, Sünde, Zwei-Reiche-Lehre und der Berufs- bzw. Standesbegriff mit seiner Auffächerung in ökonomischen, politischen und kirchlichen Stand zum Thema der Darstellung. Dabei erfährt man viel Grundlegendes. S. stellt mit Martin Nicol die Bedeutung der Schriftmeditation für Luthers theologisches Denken heraus. Er informiert glei­chermaßen über die Grundprobleme der Rechtfertigungslehre Luthers mit ihren forensischen und effektiven Aspekten wie über sein Verständnis von Glauben und Sünde. Im An­schluss an Gerhard Ebeling betont er Luthers Kunst der Unterscheidung, namentlich diejenige von Gesetz und Evangelium und dem zweifachen Ge­brauch des Gesetzes. Etwa die Hälfte seines Buches widmet S. diesen grundsätzlichen Klärungen und schiebt vor den im engeren Sinne ethischen Überlegungen noch ein Kapitel über die dunklen Seiten Luthers ein, d. h. seine Wahrnehmung des Teufels in konkreten Personen und den daraus resultierenden Papst- und Judenhass. Die Darstellung der grundlegenden ethischen Begriffe ist dann eher kurz geraten: die Zwei-Reiche-Lehre wird auf knapp 20 Seiten abgehandelt, Luthers Verständnis von Ehe, Obrigkeit und kirchlichem Stand ist jeweils nach sechs bis neun Seiten geklärt.
Als Einstieg in die Beschäftigung mit Luthers Denken ist S.s Darstellung ohne Frage nützlich. Die Balance zwischen klassischen Belegstellen aus Luthers Werken und wichtigen, aber selten zitierten Texten ist ausgewogen. Die reichhaltigen Zitate auch aus den lateinischen Schriften laden zum Nachvollzug von Luthers Überlegungen ein. Der Rezensent hat, was den Umgang mit den Quellen angeht, lediglich ein paar Beispiele aus Luthers Briefen vermisst, in denen sich reiches Anschauungsmaterial für konkrete ethische Entscheidungen Luthers findet, die im Einzelfall (man denke an die Ehe Philipps von Hessen!) noch einmal ein anderes Bild zeigen als die theoretischen Konzepte, auf die sich S. konzentriert.
Schwieriger ist die von S. immer wieder vollzogene Übertragung von Luthers Überlegungen auf die Gegenwart und seine Auseinandersetzung mit anderen ethischen und philosophischen Konzeptionen. Denn so eingehend S. Luthers Denken erklärt und darstellt, diskutiert werden die Auffassungen des Reformators kaum, sondern entweder diskussionslos für gut oder – vor allem im Falle des Papst- und Judenhasses – für schlecht befunden. Weshalb soll Lu­thers Ansatz aber einem an Aristoteles oder Kant orientierten Denken vorzuziehen sein? An welchen Punkten unterscheidet sich Luthers Ethik von der anderer Denker? Angesichts des vorausgesetzten geringen Kenntnisstandes der Leser ist der knappe Vergleich von Luthers Ansatz mit Gesetzes-, Tugend-, Güter- und Pflichtenethik (52–56), bei dem etwa Kants ethischer Ansatz in sieben Zeilen erklärt wird, kaum als ausreichend anzusehen. Hier wären Basisinformationen sinnvoll und notwendig gewesen. Welche Möglichkeiten einer Aktualisierung von Luthers Ethik es zudem jenseits des von S. häufig beschworenen und kritisierten Neuprotestantismus gibt und welche von ihnen S. für tragfähig hält, bleibt im Unklaren. Die Auseinandersetzung mit der zu Beginn jedes Kapitels reichhaltig genannten Literatur findet leider nur in Ansätzen statt.
Es handelt sich also ad bonam partem um ein Lehrbuch, das in Theologie und Ethik Martin Luthers anhand der Quellen einführt, dessen Schwächen aber in der allzu knapp geratenen Diskussion und kritischen Einordnung von Luthers Überlegungen liegen.