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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

466-467

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

König, Andrea

Titel/Untertitel:

Medienethik aus theologischer Perspektive. Medien und Protestantismus – Chancen, Risiken, Herausforderungen und Handlungskonzepte.

Verlag:

Marburg: Tectum 2006. 436 S. m. Abb. u. Tab. 8°. Geb. EUR 34,90. ISBN 3-8288-8996-4.

Rezensent:

Wolfgang Nethöfel

In drei großen Teilen (Vergangenheit, Gegenwart, Ausblick) entfaltet das Buch zunächst »Das Verhältnis von Protestantismus und Medien in historischer Perspektive«. In gedrängter Darstellung geht es über die Vorgeschichte in Christentum und Antike zu Luther, Francke, Wichern, hin zur modernen Entwicklung bis zum im Jahre 2000 gegründeten ökumenischen »Netzwerk Medienethik« (netzwerk-medienethik.de). Die Darstellung ist gut lesbar; für Leser ohne Spezialkenntnisse wird etwa die von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit hinein wirksame Gestalt August Hermann Hinderers (1877–1945) im Gedächtnis haften bleiben. Sie verkörpert die Kreativität und die Gefährdung des Protestantismus im Umgang mit jeweils neuen Medien.
Die Kapitel des Hauptteils kündigen die »Begriffliche Orientierung und theoretische Positionierung« an, stellen »Medien und Protestantismus in der gegenwärtigen Mediengesellschaft aus ethischer Perspektive« dar und sollen schließlich unter dem Motto »Von der Medienkritik zur Medienkompetenz« »Medienethische Orientierung unter dem Anspruch protestantischen Glaubens« bieten. Hier zeigen sich allerdings zunehmend Überforderungssymptome, und die Bemühung der Vfn. um schlichte Darstellung erweist sich als hinderlich. Eine konsistente Medientheorie wird nicht einmal im Ansatz entfaltet. Die Vfn. entscheidet sich zwar für »technische Mittel zur Verbreitung von Aussagen« (34), kann von »Massenmedien« reden, unterscheidet aber nicht zwischen Mitteilungs-, Verbreitungs- und Leitmedien. Wenn sie von »Jesus als Medium Mensch« (26 ff.) oder vom »Christentum als Medium« (28ff.) spricht, weiß man nicht, ob das Metaphern sind oder Resultate ihres für später angekündigten medienethischen und theo­logischen Theorieentwurfs vorwegnehmen soll.
Aber die Erweiterung, eigentlich: die Verschiebung der Verantwortung auf den »Rezipienten als aktiven Medienteilnehmer«, auf den die entsprechenden Partien hinauslaufen (343 ff.), ist weniger das Ergebnis einer stringenten Argumentation als der Zielpunkt einer fremde Positionen reihenden Darstellung. Diese selbst wird man partienweise wiederum mit Gewinn lesen. Im Zusammenhang mit der Selbstgewissheit der Urteilsbildung und der fast schroffen Beschränkung auf den Medienhorizont des deutschen Protestantismus wirkt das Buch allerdings im Ganzen eigentümlich rückständig.
Der Ausblick am Schluss hebt das nur noch einmal hervor. Der Medienkonsument orientiert sich heute in globalisierten Netzen, die ihm fragmentierte Traditionselemente in ständig wechselnden Medienkonstellationen präsentieren. Regulierende Eingriffe sind unterhalb europäischer Regulierungen nicht sinnvoll denkbar, ein weltweiter Kapitalmarkt erfasst Inhalte über Verwertungsrechte; Gegenmächte professionalisieren sich als NGOs. Die katholische Weltkirche hat dem in ihren Verlautbarungen längst Rechnung getragen. Theologie und Kirche würden mit der hier vorgetragenen Medienethik in einem deutsch-protestantischen (»öffentlich-rechtlichen«?) Provinzialismus verharren.
Bedenkt man das immerhin Geleistete, kann man auch sagen: Das Buch blickt zurück auf eine Epoche, in der die elektronischen Medien noch als Irritationen betrachtet werden konnten, nicht als wirkliche Herausforderung der wissenschaftlichen und kirchlichen Institutionen des deutschen Protestantismus zum Umdenken und zur institutionellen Reform. Mit Respekt, aber auch mit einer gewissen Irritation nimmt man wahr, dass die umfangreiche Darstellung eine Dissertation ist. Die Betreuer hätten das Feld begrenzen – in jedem Fall aber auf einer intensiven Bearbeitung bestehen sollen. Vielleicht wären so auch institutionelle Alternativen deutlicher herausgetreten. Nachlässigkeiten und Wiederholungen zeigen auch: Die Arbeit hätte konsequenter korrigiert, spätestens lektoriert werden müssen.
Das unvorsichtig dem Buch vorangestellte Motto von Umberto Eco erweist sich als prophetisch: »Es waren einmal die Massenmedien, sie waren böse, man weiß, und es gab einen Schuldigen. Ferner gab es die Tugendhaften, die ihre Verbrechen anklagten. … Wir müssen noch einmal ganz von vorn anfangen, uns zu fragen, was läuft« (Über Gott und die Welt, 1985).