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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

462-463

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Breuer, Clemens

Titel/Untertitel:

Christliche Sozialethik und Moraltheologie. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen zweier Disziplinen und die Frage ihrer Eigenständigkeit.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2003. 393 S. gr.8° = Abhandlungen zur Sozialethik, 46. Kart. EUR 52,00. ISBN 3-506-70246-7.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Die Habilitationsschrift stellt die Ursprünge und die Geschichte der katholischen Soziallehre dar und diskutiert das Verhältnis zwischen Moraltheologie sowie Soziallehre innerhalb der katholischen Theologie. Zur Geschichte der Soziallehre werden detaillierte Informationen über die Zahl und die Besetzung von Lehrstühlen seit Franz Hitze im ausgehenden 19. Jh. (38 ff.) oder über Tagungsthemen in den zurückliegenden Jahren (48 ff.) aufgelistet. Eingehend werden gedankliche Entwicklungen in der Naturrechtslehre und Moraltheologie wiedergegeben. Darüber hinaus gelangen Diskursethik, die politische Theologie seit Carl Schmitt oder Konzeptionen der Wirtschaftsethik als Kontext der katholischen Soziallehre zur Sprache. Das Buch bildet einen Fundort für historische oder zeitgeschichtliche Informationen über Naturrecht und Soziallehre.
Ein positionelles Merkmal der Habilitation ist es, die lehramtskritische autonome Morallehre, die z. B. von Franz Böckle vertreten worden ist, nachdrücklich abzulehnen. Die Abweichungen katholischer Theologen vom kirchlichen Lehramt sind dem Vf. zufolge vor allem auf Einflüsse der Situationsethik zurückzuführen (129) – eine Einschätzung, über die man sicherlich geteilter Meinung sein kann. Auf Böckle trifft sie nicht zu. Die von Böckle und anderen lehramtskritischen Autoren vertretene Theorie ethischer Teleologie und Güterabwägung wird im Rahmen des Buches dann an anderer Stelle ein Stück weit diskutiert (158 ff.). Den Autonomiegedanken der neuzeitlichen Philosophie wertet das Buch in recht undifferenzierter Form ab (83 f.), um vor diesem Hintergrund einen Relevanzerweis des katholischen Naturrechts vorzutragen. Abgesehen davon, dass philosophische Positionen recht abschätzig erörtert werden, fällt auf, dass der Protestantismus – der ja ebenfalls eine Sozialethik entwickelte und hohe gesellschaftliche und kulturelle Prägekraft besaß – als Gegenüber der katholischen Ethik im vorliegenden Buch durchgängig ausgeblendet bleibt.
Die Motivation für die Entfaltung der katholischen Soziallehre, die die Habilitationsschrift vorträgt, ist innerkatholisch apologetisch. Eingerahmt wird das Buch von Überlegungen, die unterstreichen, dass eine Reduzierung von Lehrstühlen der christlichen Soziallehre in katholisch-theologischen Fakultäten nicht vertretbar sei (13.352 ff.). Auf diese Weise wird dem Vorschlag einer Kommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz von 1996 widersprochen, der zufolge sich das Fach Soziallehre gegebenenfalls – im Zusammenhang der Stellenkürzungen in Universitä­ten – von Moraltheologen mitversorgen lasse. Ob sich vor diesem Hin­ter­grund erklärt, dass die Moraltheologie ambivalent als »unruhige Wissenschaft« (127) bezeichnet und als kirchlicher »Unruheherd« (128) abgewertet wird? Seinerseits legt das vorliegende Buch jedenfalls auf die historische sowie kirchliche Bedeutung der Christlichen Soziallehre Wert, um dadurch die Eigenständigkeit bzw. den Besitzstand des Faches zu legitimieren.
Hierzu ist anzumerken, dass die Ausstattung katholisch-theologischer Fakultäten mit Lehrstühlen für Ethik (Moral- und Soziallehre) im Vergleich zur philosophischen oder protestantischen Ethik recht breit ist. Eine quantitativ und qualitativ gute Stellenausstattung kann auch von Außenstehenden nur begrüßt werden. Ob die historisch bedingte Aufspaltung zwischen Soziallehre und Moraltheologie den gegenwärtigen Problemstellungen der Ethik und dem veränderten Zuschnitt ethischer Themen z. B. in der Biomedizin und im Gesundheitswesen noch gerecht wird, ist eine andere Frage. Auf einem nochmals anderen Blatt stehen die Problematik der Kapazitätsauslastung theologischer Fakultäten sowie das Gebot des fairen Vergleichs mit der Ausstattung anderer Disziplinen, darunter unmittelbarer Nachbardisziplinen wie Soziologie, Politikwissenschaften, Medizinethik, praktische Philosophie. Die vorliegende Schrift orientiert sich an geschichtlichen Verdiensten der Christlichen Soziallehre – wobei sicherlich auch Relativierungen vonnöten wären –, ohne in breiterem Maß und in substantieller Form Zukunftsperspektiven zu entfalten. Dies dürfte seine Überzeugungskraft gegenüber Amtsvertretern der ka­tholischen Kirche, aber auch gegenüber Entscheidungsträgern in der Hochschulpolitik und der Wissenschaftsadministration beträchtlich schwächen.