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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

454-456

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Caputo, John D.

Titel/Untertitel:

The Weakness of God. A Theology of the Event.

Verlag:

Bloomington-Indianapolis: Indiana University Press 2006. XV, 357 S. gr.8° = Indiana Series in the Philosophy of Religion. Kart. US$ 65,00. ISBN 0-253-21828-4.

Rezensent:

Jochen B. Schmidt

In seinem Buch The Weakness of God. A Theology of the Event bündelt der nordamerikanische Philosoph John D. Caputo (Syracuse University, NY) religionstheoretische Überlegungen seiner vorherigen Arbeiten zu Hermeneutik, Dekonstruktion und Religionsphilosophie und stellt diese nun entschieden in den Horizont einer Theologie. Darin könnte man einen Kurswechsel im Denken C.s sehen, hatte er in der im angelsächsischen Sprachraum sehr breit rezipierten Studie The Prayers and Tears of Jacques Derrida (1997) zur Theologie doch vormals eine deutliche Distanz bewahrt (vgl. 1.272.301, Anm. 1), da ihm diese zu unzulässigen Verobjektivierungen zu neigen schien: »If all theology means is to treat God as the subject matter of an objectifying discourse, then theology is not possible.« (285) Das nun erschienene Buch unternimmt es daher, Theologie gleichsam unter ›Abstinenz‹ gegenüber propositionaler (118) und objektivierender Rede zu betreiben; die Vorgehensweise ist »phänomenologisch«, jedoch in entschiedener Abgrenzung von einer Husserlschen Betrachtung von »essences« (121), dagegen im Anschluss an Kierkegaard existentiell engagiert und suggestiv.
C.s Buch The Weakness of God wird im Untertitel als A Theology of the Event ausgewiesen. »Event« erfährt keine systematische Definition (wenngleich eine Art Eigenschaftslehre des ›Ereignisses‹ vorgetragen wird, 2 ff.); C. verweist auf die entsprechenden Abhandlungen in seinen vorherigen Arbeiten (Against Ethics [1993], 93 ff.) sowie auf Gilles Deleuzes Logik des Sinns (301, Anm. 5). Leitend für die Bestimmung von ›Ereignis‹ ist Derridas Gedanke der mit jeder Ökonomie brechenden »Gabe«: »An event is an irruption, an excess, an overflow, a gift beyond economy, which tears open the closed circle of economics.« (4; vgl. 111 u. a.) Im Horizont des so aufgefass­ten Theorems ›Ereignis‹ entwickelt C. seine Rede von Gott (»Part One. The Weakness of God«, 23–97); im Anschluss an ein Interludium (»Hermeneutical Interludium: Two Keys to the Kingdom«, 101–124), in dem die in seiner Studie zur Anwendung kommende Methode profiliert wird, trägt C. eine Skizze des Reiches Gottes, näherhin der diesem entsprechenden Lebensweise, vor (»Part Two. The Kingdom of God: Sketches of a Sacred Anarchy«).
Der erste Hauptteil beginnt mit einer ausführlichen Ortsbestimmung von C.s Projekt, das sich in die Traditionslinie der Propheten, Pauli, Kierkegaards und Derridas (32) stellt und als theologia crucis firmiert (41 ff.). Vor diesem Hintergrund werden dogmatische loci beleuchtet, z. B. die Lehre von der Schöpfung, die als »riskantes« Unterfangen dargestellt wird (55 ff.). Das Motto, unter das C. das entsprechende Kapitel stellt, kann als theologisch-an­thropologisches Integral seines gesamten Werkes aufgefasst werden: »Twenty-six attempts preceded the present genesis, all of which were destined to fail. The world of man has arisen out of the chaotic heart of the preceding debris; he too is exposed to the risk of failure, and the return to failure, and the return to nothing. ›Let us hope it works‹ (Halway Sheyaamod), exclaimed God as he created the world, and this hope, which has accompanied the subsequent history of the world and mankind, has emphasized right from the outset that this history is branded with the mark of radical uncertainty. (Talmud)« (55)
Hinsichtlich der Eigenschaftslehre argumentiert C. (erwartungsgemäß) gegen »Allmacht« als Gottesprädikat. Gottes schwache Kraft (93 ff.) ist als ›schwache messianische Kraft‹ (Walter Benjamin, 7.94 ff.) aufzufassen, deren Kommen z. B. als Gerechtigkeit (Jacques Derrida, 96 f.) erwartet und ersehnt wird, jedoch vollständig ungewiss bleibt. C.s Reflektionen zum »Reich Gottes« (125 ff.) konzentrieren sich auf Fragen der Lebensführung. Der Orientierung für das Leben im Reich Gottes dient die Theorie der »Metanoetics« (127 ff.), die auf einer Deutung von metanoia als einem Geschehen aufruht, in dem der Mensch derart neu gestimmt (»retuned«) wird, dass er sich dem Anderen (und seinem Leiden) gegenüber öffnet (Emmanuel Levinas, vgl. 144 u. a.). Überraschenderweise mit An­klängen an den Stil einer scholastischen Disputation (182) führt C. ein Gespräch mit Petrus Damiani über die Frage, ob Gott die Vergangenheit, insbesondere das gewesene Böse, ungeschehen ma­chen könne (182 ff.).
Einige Aspekte dieser Überlegungen werden in einer Meditation über Vergebung und Wiedergeburt zusammengeführt: Vergebung ist keine Annullierung der Vergangenheit, sondern eine Erneuerung, in welcher eine befreiende Diskontinuität zwischen der Person und den Taten ihrer Vergangenheit ge­schaffen wird (208 ff.); Wiedergeburt ist keine Flucht vor der Zeit, sondern ein Geschehen, in dem Zeit verwandelt wird (236 ff.). Das abschließende Kapitel zur Gastfreundschaft (259 ff.) bietet eine Würdigung von Grundgedanken der Religionsphilosophie Emmanuel Levinas’, dem die gesamte Studie viel verdankt. (Die prinzipiellen Vorbehalte gegen die Philosophie Levinas’, mit denen C. in seiner früheren Studie Against Ethics (1993) gerungen hatte, finden nunmehr lediglich en passant Erwähnung, vgl. 111.) C.s Buch klingt mit einem literarischen Appendix (279 ff.) und einem ›ab­schließenden Gebet‹ (283 ff.) aus, die eindringlich um das Kommen Gottes bitten: »May the event of your coming … break out upon us and wash over us like water over the land.« (282)
Je nach Perspektive wird man die Stärke oder die Schwäche von C.s Buch darin sehen, dass eine funktionale Zuordnung von phänomenologischen Rekursen auf den topos ›Ereignis‹ und dem konstruktiven Entwurf einer dekonstruktivistischen (Kreuzes)theologie programmatisch unterbleibt. So resümiert C. denn auch: »Is God the incognito of the event, or is the event the incognito of God? … A theology of the event arises from the confession that it is not possible to arrest this play, that this weak theology is unable to decide between these two, to resolve this fluctuation from on high in some final and decisive way.« (298) Diese Verweigerung einer Entscheidung führt jedoch in C.s Werk nicht zu einer Glorifizierung oder gar Divinisierung eines chaotischen Zustands, sondern im Gegenteil zu dem emphatisch vorgetragenen Appell, man möge sich unter den Bedingungen irreduzibler Ungewissheit der Forderung des Anderen, der Gabe, der Gerechtigkeit öffnen. Radikale Unentscheidbarkeit und Ungewissheit nötigen entgegen dem ersten An­schein zur Entscheidung. Durch diese innere Spannung hebt sich C.s Werk sehr vorteilhaft von einer Vielzahl »postmoderner« theologischer Entwürfe ab, die vollständig in der durch die Unabschließbarkeit von Bedeutungsprozessen generierten Negativität aufgehen.
Die Spannung von Skepsis und Affirmativität ist auch der Hintergrund, vor dem sich weitere Besonderheiten d(ies)es Werkes C.s sinnvoll erörtern lassen. C.s bildhafter, »poetischer« Stil entspricht seiner distanzierten Haltung gegenüber objektivierender Rede, näherhin seiner Überzeugung, dass seine Zusammenschaltung von Dekonstruktion und Theologie ein riskantes, von Leidenschaft getragenes (104) Unternehmen bleiben muss, dessen Erfolg ungewiss bleibt (und sich nicht mittels diskursiver Stringenz er­zwingen lässt): »I wire the coming of the kingdom together with the in-coming of the tout autre or the out-coming of the event of deconstruction. Then I run for cover to find a safe place from which to view the sparks this gives off.« (110) Die Methode und der Stil einer solchen Hybridisierung sind ihrerseits von »postmoderner« Theoriebildung geprägt, deren Prämissen in The Weakness of God nur bedingt argumentativ eingeholt werden (vgl. allerdings 24 ff. sowie C.s frühere Arbeiten, besonders Radical Hermeneutics [1987] und More Radical Hermeneutics [2000]). Ist man jedoch bereit einzuräumen, dass ein Entwurf auch dann Einsichten vermitteln kann, wenn im Einzelnen Begründungsfragen offen bleiben, dann wird man in C.s Werk neben einer Vielzahl von erhellenden Detailstudien ein zugleich emphatisches und ungeachtet der genannten Grenzen äußerst problembewusstes und differenziertes Plädoyer für eine weitere Vertiefung des Dialogs zwischen Dekonstruktion und Theologie finden.