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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

440-442

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Inowlocki, Sabrina

Titel/Untertitel:

Eusebius and the Jewish Authors. His Citation Technique in an Apologetic Contect.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. XX, 337 S. gr.8° = Ancient Judaism and Early Christianity, 64. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-14990-8.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Sabrina Inowlocki zeigt in ihrer leicht überarbeiteten Brüsseler Dissertation, wie sehr die kleinteilige Analyse von Texten nicht nur mehr oder minder brauchbare Details zu Tage zu fördern, sondern an philologisch und theologisch wichtigen Punkten die Forschungslandschaft behutsam zu verändern vermag.
Die Arbeit fügt sich in eine Reihe neuerer Untersuchungen zu Eusebs apologetischem Doppelwerk praeparatio evangelica und demonstratio evangelica ein, das wegen seiner offensichtlichen Zugangsunfreundlichkeit lange Zeit nicht Gegenstand von wissenschaftlichen Bemühungen zu Methode und Intention des Werkes selbst gewesen ist. Die Vfn. fragt konkret nach der Funktion der Zitate aus Texten jüdischer Autoren im apologetischen Doppelwerk. Die Frage ist relevant, weil die Juden im Werk Eusebs in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle spielen, im expliziten Vergleich mit den »Griechen« wie auch mit der christlich-»hebräischen« Tradition. Wie steht es aber dann mit der Verwendung ihrer Texte in praeparatio und demonstratio?
Die Vfn. unternimmt es zunächst, den Kontext ihrer Untersuchung zu erheben, und bietet zu diesem Zwecke eine kurze Einführung in das Problem der Quellenzitierung in der Antike insgesamt (33–47), die freilich oberflächlich bleibt. Zwischen den unterschiedlichen gelehrten Positionen von Stanley (relative Texttreue) und Lenfant (freie Wiedergabe) zur Frage empfiehlt die Vfn. einen Mittelweg, der der Verschiedenheit der (spät)antiken Praktiken Rechnung trage (47). Genaueres wird zu Tage gefördert, sobald es um Euseb selbst geht, dessen Zitiertechnik die Vfn. am ehesten bei Flavius Josephus vorgezeichnet findet (51 f.): Die apologetisch motivierte Benutzung der Quellen bei Euseb hat ihre Pointe darin, dass sie den Wahrheitsanspruch der eigenen Position gerade durch größtmögliche Akkuratesse beim Zitieren bekräftigen will. Eusebs virtuoses »Spiel mit den Autoritäten« (62–65) funktioniert nur, wenn die in Anspruch genommenen Texte als sichere Basis gelten können. Freilich ist auch zu konstatieren, dass Euseb, da er sämt­liches Material seiner apologetischen Gesamtintention dienstbar macht, bei aller Texttreue doch an einigen Stellen offensichtliche theologische Interpretamente in die Texte paganer Autoren (z. B. Platon) einträgt (87.102).
In der Folge werden nun die Zitate (nichtbiblischer) jüdischer Autoren einer genauen Untersuchung zugeführt (105 ff.139 ff.). Dabei weist die Vfn. zunächst zu Recht daraufhin, dass die jüdischen Autoren bei Euseb nicht isoliert, sondern als Gruppe wahrgenommen werden. Sie (Josephus, Philo, Eupolemus, Aristobul, Demetrius) zählen zu den »berühmten Männern unter den Juden«. Das immer wieder beobachtete Phänomen, dass Eusebius diese Gruppe auch als »Hebräer« bezeichnet, erlaubt es, – trotz von der Vfn. herausgehobener Inkonsistenzen in der Begriffswahl – ihr einen besonderen Stellenwert im Gesamtgefüge des vom Logos beherrschten Weltlaufs und ihren Texten eine Dignität beizumessen. Die Auswahl der zitierten jüdischen Autoren und Texte bei Euseb ist von Clemens Alexandrinus und Origenes, aber wohl auch von Porphyrius und Anatolius von Laodicaea inspiriert: Dass man derlei Texte auch in Sammlungen anderer – christlicher wie nichtchristlicher – Verfasser finden und sekundär zitieren konnte, zeigt ihre hohe Bedeutung in den theologischen Kontroversen der ersten Jahrhunderte. Eusebius dürfte freilich bei vielen Texten (Josephus, Philo) die »Originale« eingesehen haben, die in der Bibliothek von Caesaraea leicht greifbar waren (Carriker), bzw. sich für die weniger wichtigen auf Alexander Polyhistor gestützt (148) oder (möglicherweise in seinem eigenen Umfeld entstandene) Florilegien benutzt haben.
Die Vfn. behandelt sodann in äußerst kleinteiliger Analyse zunächst die philologische Technik des Zitierens jüdischer Autoren im apologetischen Doppelwerk sowie den Gebrauch der zitierten Textstellen für die Argumentationslinie des Werks (139–288). Im Grunde bestätigt sich die Annahme einer großen Texttreue Eusebs, auch wenn man hin und wieder mit wenigen erläuternden oder glättenden Änderungen rechnen muss (wobei die immer wieder vertretene These einer kompletten Fälschung des Testimonium Flavianum durch Euseb wohl eher nicht in Frage kommt, so die Vfn. mit Recht, 206 ff.). Interessant ist der schwer zu deutende Befund, dass in der demonstratio evangelica sowohl die Texttreue als auch die Genauigkeit der Angaben zur Herkunft der Zitate im Vergleich zur praeparatio evangelica signifikant nachlassen: Die Vfn. vermutet, dass Euseb, sobald er sich unmittelbar mit dem Christentum beschäftigt, möglicherweise stärker zu absichtlichen Modifizierungen an jüdischen Texten neige (221.288); eher scheint mir, dass Euseb, der in der demonstratio ja die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Judentum beweisen will, dies mit Hilfe jüdischer Texte nicht immer tun konnte, ohne in dieselben einzugreifen – anders als bei der praeparatio, in der es ihm ja auf die gemeinsame Überlegenheit der hebräisch-jüdisch-christlichen Tra­dition gegenüber weiten Teilen der paganen ankam.
Die eigentliche Inanspruchnahme der jüdischen Autoren für Eusebs apologetische Gesamtintention (223 ff.) erfolgt jedoch gerade nicht durch philologische Eingriffe in die Texte, sondern durch ein ganzes Arsenal elaborierter literarische Verfahrensweisen: Mit geschickten Abgrenzungen, gut gewählten Auszügen, pointierten Auslassungen, mit Zitatkombinationen und Zitatenarrangements, aber auch durch interpretierende und kommentierende Sätze zur Einleitung oder zum Abschluss der Zitate integriert Euseb »seine« jüdischen Autoren in sein Gesamtkonzept, das letztlich nur eines zeigen soll: dass nämlich auch die jüdischen Autoren immer schon die interpretatio Christiana der Weltgeschichte wissentlich oder unwissentlich bezeugt haben. Sie werden so zu unfreiwilligen Zeugen für den theologischen Gedanken, dass das Christentum als dritter Weg zwischen Heidentum und Judentum den logosgemäßen Wandel der alten Hebräer gemeinsam mit den Juden für sich beanspruchen kann und dass es diesen Wandel im Unterschied zu den Juden auch zur Zeit Eusebs voll repräsentiert.
Worin sind die wichtigsten Erträge dieses Buches zu sehen? Für den Bereich philologischer und editorischer Bemühungen um Eusebius’ bzw. die (nur) bei ihm überlieferten paganen und jüdischen Texte ergibt sich ein vorsichtiges Warnzeichen, das die apologetischen Interessen in praeparatio und demonstratio wieder etwas stärker zu gewichten empfiehlt. Für die Frage nach der apologetischen Methode Eusebs ergibt sich eine sensiblere Wahrnehmung der präzisen Funktion von Zitaten, namentlich von Zitaten jüdischer Autoren. Für die Frage nach der Bedeutung Eusebs ergibt sich eine neue Sicht auf den Bischof von Caesarea als eigenständigen Autor statt als Fundgrube für ansonsten nicht erhaltene Texte. Damit erfährt das inzwischen überholte Bild von Euseb als einem eher unoriginellen Archivar eine Modifizierung, die sich als wichtiger Mosaikstein anderen neueren Forschungsergebnissen gleicher Tendenz (Hollerich, Strutwolf u. a.) beigesellt. Für die Frage nach dem Stellenwert des Judentums bei Euseb ergibt sich ein ambivalenter Befund zwischen Wertschätzung und Funktionalisierung (296), der sich in ersterem Punkt von manchen zeitgenössischen christlichen Äußerungen unterscheidet.
Insgesamt handelt es sich um ein Buch, das nicht weniger ist als das, was eine Dissertation sein sollte – ein guter Forschungsbeitrag. Als solcher ist die Arbeit zu begrüßen.