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Ausgabe:

April/2007

Spalte:

407-409

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bechtoldt, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Jüdische deutsche Bibelübersetzungen. Vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 682 S. gr.8°. Geb. EUR 60,00. ISBN 3-17-018667-1.

Rezensent:

Hans-Martin Kirn

Die Arbeit, eine noch von G. Mayer betreute Mainzer Habilitationsschrift, bietet ein beachtlich vielseitiges Bild der Bibelübersetzungen jüdischer Autoren nach Mendelssohns Pentateuchübersetzung bis hin zur unvollendet gebliebenen Monu­mentalausgabe von L. Goldschmidt von 1921/1923. Sie kann als wichtige Quellenerschließung in Ergänzung zum älteren einschlägigen Werk von W. Staerk und A. Leitzmann von 1923 gelten, das bis zum Ende des 18. Jh.s führte. Vollständigkeit wird nicht beansprucht, wofür mit gutem Grund u. a. die enormen Bücherverluste in der Zeit des Na­tionalsozialismus namhaft gemacht werden. Auch der Um­stand, dass die übersetzerischen und exegetischen Ar­beiten jüdischer Gelehrter zu einzelnen biblischen Büchern schwer zu überschauen sind, sorgte für Einschränkungen. Hier dürfte noch viel zu er­schließen sein (vgl. die ersten Hinweise, 63, Anm. 58). Dankenswerterweise wurde, da das Quellenmaterial teilweise schlecht erhalten und schwer zugänglich ist, mit Zitaten nicht gespart.
Die Besprechung der einzelnen Arbeiten zeigt zunächst den starken Einfluss, der von Mendelssohns Pentateuchübersetzung ausging. Dies beginnt mit der frühen Ausgabe von drei Probekapiteln in Frakturschrift aus jener bekanntlich noch in hebräischen Buchstaben dargebotenen Übersetzung durch den Konvertiten Chr. G. Meyer, ergänzt durch reichhaltige Anmerkungen (1780). Ein variierender Nachdruck des gesamten Mendelssohnschen Werks in Frakturschrift erschien 1815, bearbeitet von D. Fränkel und M. H. Bock. Vom zweiten Jahrzehnt des 19. Jh.s an beschleunigten sich die bibelübersetzerischen Aktivitäten, meist von reformpädagogischen Interessen und der wachsenden Bereitschaft zur Aufnahme protestantischer historischer Bibelkritik im weiteren Gefolge der jüdischen Aufklärung (Haskala) und der jungen »Wissenschaft des Judentums« geprägt. Damit sollten für Haus, Schule und Synagoge genuin jüdische Alternativen zur verbreiteten Luther-Bibel geschaffen werden. Entsprechend nahm die Produktion von speziellen Anthologien und Lehrbüchern mit deutschen Bibeltexten für den Unterricht von Jungen und Mädchen zu. Auch christliche Leser sollten angesprochen werden, wie die unter der Redaktion von L. Zunz entstandene Gemeinschaftsarbeit der sog. »Zunz-Bibel« von 1837 zeigt. Noch in jüngster Zeit kam von dieser in zahlreichen Auflagen verbreiteten, dem Grundsatz wortgetreuer Übersetzung verpflichteten Bibel eine hebräisch-deutsche Neuausgabe auf den Markt. Auch die 1841 erschienene zweisprachige Pentateuchübersetzung aus der Hand des Landesrabbiners im Herzogtum Anhalt-Bernburg, S. Herxheimer, präsentierte sich als »wortgetreu«, doch verzichtete sie auf im Deutschen störende Hebraismen. Darüber hinaus bot sie einen homiletisch-didaktisch geprägten Kommentar, der einen Mittelweg zwischen rabbinischer Tradition und moderner Bibelwissenschaft suchte. Dies überzeugte sogar das liberal denkende protestantische Konsistorium in Anhalt-Bernburg, das die Herxheimer-Bibel für alle Pfarrer des Landes anschaffen ließ – was u. a. Hengstenbergs »Kirchenzeitung« zu heftigen Protesten veranlasste. Andere Reformer schufen speziell für Jugendliche in Schule und Familie geeignete Bibelausgaben, die neben wörtlichen Übersetzungen auch freie Nacherzählungen im Stil von J. P. Hebels »Biblischen Geschichten« enthielten, so die »Kleine Schul- und Hausbibel« des mit A. Geiger freundschaftlich verbundenen J. Auerbach (1854–1858). Die Übersetzungen mehr oder weniger reformorientierter Autoren stießen zunehmend auf orthodoxen Widerstand. So wurde L. Philippsons reich illustrierte und kommentierte Bibelübersetzung (1839–1854) als »unjüdisch« abgelehnt, da sie sich des protestantisch-rationalis­tischen »Seziermessers der Kritik« bediente. In Philippsons Gründung einer »israelitischen Bibelanstalt«, mit der er der Verbreitung von christlichen Missionsbibeln unter Juden entgegenwirken wollte, fürchteten (neo-)orthodoxe Kreise vor allem ein Instrument zur Verbreitung seiner eigenen Bibelübersetzung. Dies führte zur Errichtung der orthodox israelitischen Bibelanstalt, die 1873 eine Pentateuchausgabe herausbrachte. Für die Erneuerungskraft der Orthodoxie selbst steht naturgemäß S. R. Hirschs deutsch-hebräi sche Pentateuchausgabe (1867–1878), die erstmals die deutsche Übersetzung mit einem ausführlichen deutschen Kommentar verband, ohne sich auf die historische Kritik an biblischen und rabbinischen Traditionen einzulassen. Schließlich kommen neben einer »Kinderbibel« (1890) auch »Feldbibeln« (1914/1915) aus der Militärseelsorge zur Sprache.
Insgesamt liegt die Stärke der Arbeit m. E. in den reichhaltigen und, soweit erkennbar, sorgfältig versammelten Detailinformationen zu den verschiedenen Bibelausgaben. Auch sind die biographischen Abschnitte zu den Übersetzern und Herausgebern hilfreich. Die kontextuelle Verortung innerhalb der unterschiedlichen Richtungen des Judentums hätte hin und wieder deutlicher ausfallen können, der Begriff der Neologie bleibt vage. Es hilft nicht viel, in der Zusammenfassung (601) erstmals von drei Richtungen des Reformjudentums zu hören, wenn dies bis dahin keine erkenn­bare Rolle gespielt hat. Auch wird nochmals über die Frage nachzudenken sein, ob die unterschiedlichen Gattungen, denen die Übersetzungen zuzuordnen sind, nicht doch spezifischere Eingrenzungen, etwa im Blick auf die Schulbuchliteratur, sinnvoll machen. Der Umgang mit dem Phänomen des Übersetzens bleibt weithin technisch und äußerlich, hier hätte mehr Rücksicht auf (kultur-)hermeneutische Fragestellungen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verschaffen können – es bleibt zu wünschen, dass die Arbeit zu weiteren Forschungen in dieser Richtung ermutigt. Auch sollte eine Zusammenfassung ihren Namen verdienen und prägnanter ausfallen, Ludwig der Bayer und die mittelalterliche Kammerknechtschaft sind neben vielen anderen nachgereichten Information hier wirklich entbehrlich (625). Der Rezensent hätte sich für diese Arbeit mehr den Charakter eines Handbuchs gewünscht, etwa durch die Bündelung der »Kurzinformationen« am Ende – einschließlich der Standorte und Signaturen, die im Haupttext nichts zu suchen haben – und einer übersichtlicheren Gestaltung des Literaturverzeichnisses. Jedenfalls bleibt es merkwürdig, die besprochenen Werke, die doch den Kern des Buches ausmachen, unter »sonstiger Literatur« aufgezeichnet zu finden. Andere Details im insgesamt wenig ansprechenden Druckbild (der Verlag kann schönere Bücher machen) wie die fortlaufende Verwendung von Punkten zum Abschluss eines Titels mitten im Satz stören einfach. Dass schließlich ganze hebräische Titelteile der »Kurzbeschreibungen« bei der Drucklegung verschwanden, stimmt trotz Errata-Liste ebenfalls nicht fröhlich – man möchte gleich noch Fehler in der Beschreibung der Umschlagabbildung(en?) ergänzen.
Trotz dieser mehr formalen Kritikpunkte bleibt die Arbeit ein wichtiger Beitrag zur näheren Konturierung jüdischer Akkulturation im 19. Jh. und ihrer Relevanz für die Geschichte des jüdisch-christlichen Verhältnisses.