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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

85 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Krause, Helmut

Titel/Untertitel:

Theologie, Physik und Philosophie im Weltbild Karl Heims. Das Absolute in Physik und Philosophie in theologischer Interpretation.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 260 S. 8° = Kontexte, 16. Kart. DM 79,­. ISBN 3-631-48644-8.

Rezensent:

Sigurd Martin Daecke

Der interdisziplinäre Dialog, das Gespräch der Theologie mit den Naturwissenschaften, wird immer wichtiger in unserer durch Naturwissenschaft und Technik bestimmten Zeit. Aber trotzdem ist derjenige Theologe, der dieses Gespräch so intensiv und so extensiv wie kein anderer vor und nach ihm geführt hat, heute so gut wie vergessen. Zu seiner Zeit übte Karl Heim ­ zumindest in der Öffentlichkeit ­ eine Wirkung aus, die derjenigen seiner Zeitgenossen wie Barth, Bultmann und Gogarten kaum nachstand. Aber heute spielt er in der Theologie und selbst in der Theologiegeschichte fast keine Rolle mehr. Sogar für das Gespräch mit der Naturwissenschaft hat er nicht im entferntesten eine Bedeutung wie Pierre Teilhard de Chardin aus derselben, das Denken unseres Jahrhunderts prägenden Generation.

Was sind die Ursachen für diese Entwicklung? Wird Karl Heim heute zu Recht nicht mehr beachtet? Oder könnte er uns zumindest beim Gespräch mit den Naturwissenschaften noch helfen? Und ­ wer war Karl Heim eigentlich, und was wollte er mit seinem Werk?

Antworten auf diese Fragen erhalten wir, direkt oder indirekt, in der wichtigen Untersuchung von Helmut Krause über Heims Weltbild. Fast 40 Jahre nach Heims Tod gibt es nun endlich ein Buch, das sich ebenso kompetent wie kritisch mit Heims komplexem Werk in seiner ganzen Breite befaßt. Da K. als Gymnasiallehrer nicht nur Theologie, sondern auch Philosophie, Mathematik und Physik studiert hat, besitzt er den notwendigen Sachverstand, um auch die philosophischen und physikalischen Aussagen beurteilen zu können, die einen großen Teil von Heims Werk ausmachen. Und obwohl die Arbeit eine Dissertation (bei E. Wölfel und W. Nethöfel in Marburg) mit den für diese Gattung typischen Merkmalen ist, ist sie gut lesbar geschrieben.

Das gilt vor allem auch für das einleitende biographische Kapitel, das besonders wertvoll ist, weil es wichtige Erklärungen für Heims Außenseiterstellung gibt, die man später in den Kapiteln über sein wissenschaftliches Werk vermißt. Fast nur hier erfährt man etwas über Heims Existenz in der Spannung zwischen Pietismus und Philosophie, zwischen erwecklichem Glauben und naturwissenschaftlichem Denken.

Im gesamten Hauptteil des Buches, der sich mit Heims wissenschaftlichem Werk befaßt, wird dann die pietistische Prägung seiner Theologie kaum noch deutlich. Es geht dort nur noch um seinen Weg "von der Theologie zu Physik und Philosophie" (Kap. 2), d. h. um die Themen "Säkularismus", Transzendenz und Apologetik, sowie um Heims theologische Interpretation von Physik und Philosophie (Kap. 3): etwa um die Begriffe des Absoluten und des Relativen, die "Weltformel", "Raum und Zeit", um Materievorstellungen und Weltbilder der Physik. Das alles wird von K. mit großem sowohl theologisch-philosophischem als auch physikalischem Sachverstand und Kenntnis der neueren interdisziplinären Literatur dargestellt und erörtert.

Doch der Titel des Buches heißt ja nicht nur "Physik und Philosophie im Weltbild Karl Heims", sondern an erster Stelle steht hier "Theologie". Und auch wenn es thematisch um Heims "Weltbild" geht, so müßten unter theologischem Aspekt doch sein Gottes- und Christusbild eine größere Rolle spielen. Aber über seinen Gottesbegriff folgen in einem kurzen 4. Kapitel ­ neben den Themen Wunder und Satan ­ nur noch wenige Seiten, und die Christologie wird gar nicht erwähnt. Dabei könnte in Heims eigentlicher Theologie und Christologie gerade der Schlüssel für die Frage liegen, warum dieses so umfangreiche und tiefgreifende Gespräch mit der Physik ­ über das K. vorzüglich, zugleich verständnisvoll und kritisch, informiert ­ sowohl von der Theologie als auch von der Naturwissenschaft so wenig beachtet wurde, ja ohne ernsthafte naturwissenschaftliche Antwort blieb und heute so in Vergessenheit geraten ist, daß ein Buch wie das von K. ein Ereignis darstellt.

Die fehlende theologische wie auch naturwissenschaftliche Resonanz auf Heims Werk könnte begründet sein in seinem programmatischen Dualismus, der in K.s Ausführungen etwa zu den Themen "Transzendenz", "überpolarer Raum" und "Säkularismus" deutlich wird. Sein dualistisches Weltbild machte es Heim möglich, zugleich in pietistischer Frömmigkeit zu glauben und naturwissenschaftlich-philosophisch zu denken. Teilhard de Chardin hat eine solche Haltung jedoch als "Schizophrenie" bezeichnet. Heims theologische Voraussetzungen, sein Glaubens- und sein Gottesverständnis, und auch die Struktur seiner Frömmigkeit haben seinen Vermittlungsversuch wohl von vornherein zum Scheitern verurteilt und dazu geführt, daß er sich zwischen die Stühle von Theologie und Naturwissenschaft gesetzt hat.