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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

73–75

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Behr, Wilfried

Titel/Untertitel:

Politischer Liberalismus und kirchliches Christentum. Studien zum Zusammenhang von Theologie und Politik bei Johann Christian Konrad von Hofmann (1810-1877).

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1995. VIII, 335 S. gr.8° = Calwer Theologische Monographien, Reihe B, 12. Kart. DM 98,­. ISBN 3-7668-3344-8.

Rezensent:

Traugott Jähnichen

Die zu besprechende Göttinger Dissertation über den Erlanger Theologen Johann von Hofmann (= H.), den Karl Barth ­ so zustimmend vom Vf. zitiert ­ als eine der "eindruckvollsten Gestalten der Theologiegeschichte" des 19. Jh.s bezeichnet hatte, stellt sich die Aufgabe, ein neues Verständnis dieses Theologen zu entwickeln, um damit auch "einen Beitrag zur differenzierteren Wahrnehmung des Luthertums im 19. Jahrhundert" (1) zu leisten. Im Unterschied zu dem pauschalisierenden Urteil, das Luthertum sei ein wesentliches Element der Kräfte der Restauration gewesen, gehörte H. als lutherischer Theologe zu den politisch Liberalen in Bayern. Während in der bisherigen Forschungsgeschichte dieser Aspekt des Werkes H.s oft ausgeblendet worden ist, will die vorliegende Arbeit durch "die Einbeziehung der politischen Seite seines theologischen Werkes und der Betrachtung seiner persönlichen Stellung sowohl in der Fortschrittspartei als auch unter seinen Erlanger Kollegen" (12) die besondere Position H.s herausarbeiten. Dementsprechend wird zunächst die Theologie H.s in ihrer inneren Struktur herausgearbeitet, wobei jeweils Verbindungslinien zum politischen Liberalismus aufgezeigt werden, bevor unter dem Gesichtspunkt der Ethik des Politischen der Zusammenhang von Theologie und Politik explizit thematisiert wird. Die Arbeit wird abgeschlossen durch einen autobiographisch geprägten Überblick über H. als Mitglied der liberalen Fortschrittspartei in Bayern und über seine Stellung innerhalb der Erlanger theologischen Fakultät.

In seinem ersten Kapital skizziert der Vf. H.s systematische Methode, die durch eine subjektivitätstheoretische Begründung ­ die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses des Christen ­ und eine historische Vergewisserung in der Heiligen Schrift und in der Geschichte der Kirche gekennzeichnet ist. Dabei wird von Behr kritisch herausgestellt, daß die Bekenntnisbindung der Theologie und in gewisser Weise auch der Rückbezug auf die Heilige Schrift gegenüber der subjektivitätstheoretischen Begründung "zu einem untergeordneten Moment gerät" (42). Dieser Ansatz wird vom Vf. scharf kritisiert als eine Verfehlung "grundlegender reformatorischer Erkenntnisse" (60), da die Gewißheit des Glaubens "im Wort der Verheißung und nicht in der Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses" (ebd.) gründet. Das zweite Kapitel untersucht anhand der Lehrstücke von H.s theologischer Hauptschrift, "Der Schriftbeweis. Ein theologischer Versuch (1-2,2)", die heilsgeschichtliche Entfaltung seiner Theologie. Im Mittelpunkt steht hier der geschichtlich interpretierte Gott ­ "der im Werden, in der Geschichte seiner selbst Seiende" ­ dessen Wille auf das "Werden des Menschen" (81) zielt. Dieser Prozeß ist durch die Sünde ­ die widergöttliche Selbstbestimmung des Menschen ­ gestört und wird durch den neuen Anfang, den Jesus Christus als Mitte der Geschichte setzt, im Sinn einer neuen Heilsgemeinschaft wieder in Gang gesetzt.

Das theologische Geschichtsverständnis H.s wird vom Vf. als die entscheidende Brücke zu seinem politischen Liberalismus interpretiert. Im Blick auf den Liberalismus dieser Zeit in Deutschland unterscheidet der Vf. im Anschluß an Böckenförde grundlegend zwei Richtungen: Die Liberalen der historischen Rechtsschule, die eine organische Staatsauffassung mit der Ausbildung eines nationalen konstitutionellen Verfassungsideals verbunden haben einerseits sowie die auf dem Boden der vernunftrechtlichen Staatstheorie argumentierenden Vertreter eines individualistischen Freiheitsbegriffs und einer dementsprechenden Staatsvertragslehre andererseits. H. gehört laut Behr "eindeutig der ersteren, der geschichtsbezogenen Richtung des Liberalismus an" (117). In diesem Sinn kann der Vf. durch Verweise auf die ältere historische Rechtsschule das geschichtliche Denken dieses Liberalismus sowie die zahlreichen Analogien in H.s theologischem Geschichtskonzept herausarbeiten: "Nahezu alle theologisch zentralen Ausdrücke (bei H.) sind im politischen Kontext in eigener oder ähnlicher Bedeutung wiederzufinden" (120). Diese Analogien werden insbesondere im Blick auf die Vorstellung der Geschichte als Fortschrittsprozeß aufgewiesen. In Entsprechung zu dem liberalen Gedanken des Kulturfortschrittes findet sich bei H. eine heilsgeschichtliche Deutung des Geschichtsverlaufs, wobei er jedoch "durch seinen eschatologisch geschärften Blick die Ambivalenz auch der eigenen politischen Verheißungen kritischer wahrnehmen konnte, als dies bei den anderen nachmärzlichen Liberalen der Fall war" (132).

H.s theologisch fundiertes Geschichtsverständnis begründet nicht zuletzt die ethische Ausrichtung seiner Theologie. Wie die Wirklichkeit des Menschen noch im Werden begriffen ist, so ist es auch das dem Willen Gottes entsprechende Verhalten des Christen, welches sich in den drei Dimensionen des Gottes-, des Selbst- und des Weltverhältnisses explizieren läßt. Dieses Handeln stellt sich nach H. in den vier grundlegenden sittlichen Gemeinschaften ­ Kirche, Familie, Staat und Menschheit ­ dar. Bedeutsam ist, daß H. im Blick auf diese Institutionen ein "Verständnis von Ordnung als eines dem Menschen von Gott Vorgegebenen und Gesetzten" ablehnt, da seine "Institutionenlehre... ja gerade die Bewegung der Geschichte bedenken" (161) will. Es kommt darauf an, den ursprünglichen Sinn dieser Institutionen, der in ihrer Verankerung im Handeln Gottes ruht, zu erkennen und dementsprechend zu handeln. In diesem Sinn vermag H. eine Brücke zwischen christlichem Verhalten und allgemeiner Sittlichkeit zu schlagen, indem er den allgemeinen sittlichen und kulturellen Fortschritt auf das Christentum rückbezieht und dementsprechend jede Förderung der Humanität vom christlichen Standpunkt aus positiv zu würdigen weiß.

Diese Konzeption präzisiert der Vf., indem er das Staatsverständnis H.s exemplarisch darstellt. Der Staat zählt bei H., wie bereits aufgeführt, zu den vier sittlichen Gemeinschaften und wird dementsprechend in Bezug zu den anderen Größen dargelegt, wobei insbesondere eine Vielzahl von Analogien zur Kirche aufweisbar ist. Trotz dieser Analogien geht H. von einer grundsätzlichen Unterscheidung von weltlichem und kirchlichem Bereich aus, so daß er im 19. Jh. zu einem der schärfsten Kritiker der Stahlschen Vorstellung eines "Christlichen Staates" geworden ist. Gegen alle Irrwege einer Verbindung von Staat und Kirche plädiert H. strikt für die religiöse Neutralität des Staates.

In diesem Kontext entwickelt er positiv den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit, der sich "einmal auf die deutliche Unterscheidung von Religion und Politik und dann auf die Forderung der Rechtsgleichheit" (187) gründet. Dementsprechend vertritt H. eine liberale Konzeption des Rechtsstaates, wobei er sich konkret für eine konstitutionelle Monarchie mit einer weitgehenden staatlichen Selbstverwaltung und Beteiligung der Bürger ausgesprochen hat, ohne dabei jedoch eine demokratische Position vertreten zu haben (206 ff.). Mit dieser Haltung steht er in einer engen Nähe vor allem zu dem liberalen Staatsrechtler Bluntschli, wie der Vf. überzeugend nachweisen kann (211 ff.). Neben dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit ist das Streben nach nationaler Einheit im kleindeutschen Rahmen für die politische Konzeption H.s grundlegend gewesen. Dieses nationale Engagement markiert nicht zufällig den Beginn seiner politischen Laufbahn (242 ff.).

Vor dem Hintergrund der von ihm theologisch begründeten Vermittlung von allgemeiner und christlicher Sittlichkeit sowie seiner rechtsstaatlichen und nationalen politischen Konzeption führt H.s Weg konsequent in die liberale Fortschrittspartei in Bayern, wobei er lediglich in schulpolitischen Fragen als Vertreter des Prinzips der Konfessionsschulen eine andere Haltung als große Teile der Basis seiner Partei vertreten hat. Innerhalb der Erlanger Theologischen Fakultät ist er aufgrund seines politischen Engagements, aber auch aufgrund theologischer Konflikte sicherlich eine exponierte Gestalt, die nicht zuletzt mit der subjektivitätstheoretischen Begründung seiner Theologie engere Beziehungen zum Neuprotestantismus aufweist, gehört jedoch sowohl sachlich ­ aufgrund wichtiger theologischer wie auch kirchenpolitischer Gemeinsamkeiten ­ und persönlich unzweideutig zu den Vertretern eines konfessionsbewußten Luthertums dieser Fakultät.

Dem Vf. ist es gelungen, eine eng an den Quellen ­ dies gilt sowohl für die Darstellung H.s wie auch für die zahlreichen zeitgeschichtlichen Verweise ­ orientierte Darstellung der Theologie und des Lebensweges H.s zu erarbeiten, wobei die Verankerung des politischen Liberalismus in dessen Theologie überzeugend aufgewiesen worden ist. Die Position H.s wie auch die seiner theologischen und politischen Freunde und Gegner werden sehr präzise dargestellt. Ein wenig enttäuschend ist jedoch der Schlußteil dieser Arbeit, in dem der Vf. seine Gesamteinschätzung entwickelt. Wie bereits angedeutet, unterzieht er von einer reformatorischen Position her insbesondere den theologischen Ansatz H.s einer deutlichen Kritik.

Demgegenüber werden die Leistungen H.s jedoch zu wenig gewürdigt. Der alleinige Verweis auf die Unterscheidung von weltlich und kirchlich sowie die Würdigung der Sensibilität H.s für politische und theologische Aufgaben bleibt recht blaß. Zwar wird man ­ wie der Vf. zu Recht feststellt ­ H. "nicht als einen Vorläufer einer theologischen Bejahung der modernen Demokratie bezeichnen können" (317), dennoch dürften seine Kritik der Ordnungstheologie sowie seine theologisch begründete Option für Rechtsstaatlichkeit und staatliche Selbstverwaltung zumindest für das 19. Jh. wegweisend gewesen sein. In diesem Sinn ist die Bedeutung H.s für eine theologische Ethik des Politischen noch deutlicher herauszustellen, als es dem Vf. in dieser trotz der genannten Kritik sehr verdienstvollen Studie gelingt.