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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

65–69

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Andreae, Johann Valentin

Titel/Untertitel:

Gesammelte Schriften. 7: Veri Christianismi Solidaeque Philosophiae Libertas. 2: Nachrufe, Autobiographische Schriften, Cosmoxenus. Bearb., übers. u. kommentiert von F. Böhling u. a.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann 1994/95. 419 u. 577 S. 8°. Lw. DM 155,­ u. 210,­. ISBN 3-7728-1433-6 u. 3-7728-1428-X.

Rezensent:

Christian Peters

Daß der so vielseitig begabte Theologe und Schriftsteller Johann Valentin Andreae (1586-1654) eine wichtige, ja, vielleicht sogar die [!] intellektuelle Schlüsselfigur (R. W. Evans) seiner Zeit gewesen ist, hat sich in der Forschung der letzten Jahrzehnte immer deutlicher herausgestellt. Während die Kirchen- und Theologiehistoriker Andreae vor allem als einen bedeutenden Vertreter der frommen Orthodoxie (M. Brecht) begreifen, sehen einige Sozial- und Kulturhistoriker in ihm sogar den Prototyp des deutschen Pfarrers, späthumanistischen Gelehrten und satirischen Schriftstellers in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges überhaupt (R. van Dülmen). Um so bedauerlicher ist es gewesen, daß es bislang keine kritische Ausgabe seiner Schriften gegeben hat. Diesem Mißstand wird nun endlich abgeholfen.

Der vorliegende Band ist der erste einer auf 20 Bände angelegten Edition der wichtigsten Schriften Andreaes. Diese sollen hier nicht nur eingeleitet und kommentiert, sondern (weil in ihrer überwiegenden Mehrzahl in Latein verfaßt) auch zusammen mit einer deutschen Übersetzung dargeboten werden. Geplant sind ­ nach Ausweis des Conspectus (415-419) ­ folgende Bände:

[1] Autobiographie (gedruckt 1849), [2 ­ hier vorliegend] Nachrufe, Autobiographische Schriften, Cosmoxenus (1607-1642), [3] Rosenkreuzerschriften (1614-1616), [4] Geistliche Schriften (1615), [5] Theca gladii Spiritus (1616), [6] Schriften zur christlichen Reform (1617-1628), [7 ­ hier vorliegend] Veri Christianismi Solidaeque Philosophiae Libertas (1618), [8] Turbo, sive moleste et frustra per cuncta divigans Ingenium (1616), [9] Menippus, sive Dialogorum Satyricorum centuria (1617), [10] Mythologia Christiana, sive Virtutum et Vitiorum vitae humanae imaginum libri tres (1618), [11] Peregrini in Patria Errores (1618), [12] Civis Christianus, sive Peregrini quondam errantis Restitutiones (1619), [13] Turris Babel, sive judiciorum de Fraternitate Rosaceae Crucis chaos (1619) ­ De curiositatis Pernicie syntagma (1620), [14] Reipublicae Christianopolitanae descriptio (1619) ­ Christenburg Das ist: ein schön geistlich Gedicht (1626), [15] Geistliche Kurtzweil J. V. A. (1619) ­ Kleinere Gelegenheitsgedichte, [16] Theophilus, sive de Christianae Religione sanctius colenda (1622/49), [17] Pädagogische, polemische und pastorale Schriften (1621-1633), [18] Threni Calvenses (1635) ­ Incendii Vahingensi (1617/1618), [19] Collectanea Mathematica (1614) und [20] Register: 1. Gesamtverzeichnis der in der Ausgabe abgedruckten Werke. 2. Zeittafel. 3. Bibliographie der Werke Andreaes mit Verzeichnis der Handschriften und Briefe. 4. Gesamtregister der Personen und Orte.

Band 7 vorangestellt ist ein ausführlicher Einleitungsessay (7-48). Er ist kenntnisreich und instruktiv, in seiner Gedankenführung für den Leser aber nicht immer leicht zu verfolgen. Hier wirkt sich aus, daß dieser Essay nicht nur in den vorliegenden Band, sondern in die gesamte Edition einzuführen hat (vgl. dazu vor allem die Abschnitte 1. Aspekte des andreaeschen Werkes [7-17] und 3. Bedingungen einer "christlichen Gesellschafft" ­ Sozietätsprojekte [22-31]). Die "Freiheitsschriften" selbst, eine Addition mehrerer relativ selbständiger Bestandteile [18], rücken daher auch erst vergleichsweise spät in den Blick (Textgrundlage und Inhaltsübersicht [17-22]). Die Ausleuchtung ihres entstehungsgeschichtlich-historischen, theologisch-philosophischen und literarisch-allegorischen Hintergrundes erfolgt dann allerdings detailliert und über weite Strecken hinweg auch anschaulich. Untersucht werden das Verhältnis der "Freiheitsschriften" zum Reformationsjubiläum von 1617 (Die hundertjährige Reformation [31-35]), der Libertas-Begriff Andreaes (35-39) und die von diesem vorgenommene Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Christentum (39-42) sowie das komplexe Problemfeld von Simile, Emblem und Mystifikation (43-48). Lediglich angemerkt sei an dieser Stelle, daß die Forschung zum Freiheitsverständnis Andreaes und dessen Verhältnis zu älteren Konzeptionen (Luther, Melanchthon, Chemnitz, Hutter, Hafenreffer etc.) auch in der Zwischenzeit nicht stehengeblieben ist (vgl. dazu zuletzt Brecht, Martin: Die Rezeption von Luthers Freiheitsverständnis in der frühen Neuzeit, in: Lutherjahrbuch 62 [1995] 121-151, hier bes. 134-140).

Die Edition selbst (49-414) ist dann sehr ansprechend und leserfreundlich gestaltet (handliches Kleinformat, Paralleldruck von Originaltext und Übersetzung auf gegenüberliegenden Seiten, Zeilenzählung, separater Anmerkungsteil mit eigenem Lesebändchen). Allerdings wäre ein eigener Apparat für die (keineswegs vollständig ausgewiesenen) Schriftstellen sinnvoll gewesen. Dies hätte später auch den Anmerkungsteil (373-414) entlastet. Geboten wird der bis auf einige, einzeln nachgewiesene Konjekturen unveränderte Text der Ausgabe: Veri Christianismi Solidaeque Philosophiae Libertas Ac Oppositum ei mundi Servitium. Item, Theologiae Encomium Jesu Nazareno Sacrum & Bonae Causae Fiducia. Argentorati, Impensis haeredum Lazari Zetzneri Anno M.DC.XVIII. (einziger bekannter Druck). Die deutsche Übersetzung ist fast immer präzise und gut lesbar. Sie soll es, so der Bearbeiter, "erleichtern ..., sich in Andreaes kunstvollen, aber oft unübersichtlich gebauten Perioden zu-rechtzufinden" (17). Hier leistet sie dann auch tatsächlich Beachtliches. Der Anmerkungsteil ist vor allem deshalb wertvoll, weil er erstmals präziser aufdeckt, wie vielfältig die literarischen, theologischen und philosophischen Einflüsse gewesen sind, die sich in Andreaes "Freiheitsschriften" niedergeschlagen haben (klassische Antike, Kirchenväter, Bernhard von Clairvaux, Sebastian Brant, Erasmus von Rotterdam, Paracelsus, Sebastian Franck, Philipp Melanchthon, Matthias Flacius Illyricus, Valentin Weigel, Philipp Nicolai, Johann Arndt etc.).

Nicht von ungefähr steht Andreaes Freiheitsverständnis dann auch in einer deutlichen Spannung zur reformatorischen Konzeption der christlichen Freiheit. War diese personal bestimmt, so geht es Andreae vor allem um einen idealen gemeinschaftlichen Zustand. Dabei beschreibt er zwar ungleich präziser, was alles unfrei macht; er tut dies aber auch weniger grundsätzlich. Freiheit wird bei ihm nicht mehr nur zugesprochen; sie entsteht vielmehr durch Weisheitslehre und Erkenntnis. Diese befähigen den Einzelnen dazu, sich der ihn unterjochenden Macht der Menschenwelt zu widersetzen. Damit werden zugleich auch die Verhältnisse korrigierbar. Der Mensch hat einen Spielraum zur Verwirklichung seiner Freiheit. Ethik und Moral gewinnen eine große Bedeutung. Das wirkt modern, hat aber seinen Preis: Die höhere Anschaulichkeit wird nämlich durch Unschärfen in der Anthropologie und der Rechtfertigungslehre erkauft. Was Andreae über die Vergebung der Sünden und die Befreiung vom strafenden Gesetz zu sagen hat, wirkt merkwürdig blaß. Ihn interessiert vor allem das neue, am Vorbild Jesu Christi orientierte Handeln des Menschen. Damit wird hier unverkennbar bereits im Blick auf eine kleine Schar "wahrer Christen" gedacht.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die mit Band 7 eröffnete kritische Edition der wichtigsten Schriften Johann Valentin Andreaes beendet nicht nur einen für die Andreae-Forschung prekären "Textnotstand". Sie stellt auch den übrigen Historikern der Frühen Neuzeit (d. h. vor allem den Kirchen- und Theologie-, aber auch den Kultur- und Sozialhistorikern) eine Fülle bislang weithin unausgeschöpften Materials zur Verfügung und ist deshalb unbedingt zu begrüßen. Dazu kommt die erfreuliche Gestaltung der Ausgabe (Kleinformat, Zweisprachigkeit, ausführliche Einleitung und kenntnisreiche Kommentierung). Hier wird mit Sicherheit der richtige Weg beschritten. Die aufgeführten Monenda sollten daher auch lediglich in der Rubrik "Startschwierigkeiten" verbucht werden.

Nach den in Band 7 gebotenen "Freiheitsschriften" werden in dem ein Jahr später erschienenen Band 2 dieser Ausgabe 6 Texte zur Biographie Andreaes abgedruckt (11-351. 521-556 und 449-515. 571-577). Sie bilden ein eindrückliches, in sich geschlossenes Corpus, dem hier aber überraschend die ­ als ein zweiter Teil (7) begriffene ­ allegorische Reformschrift De Christiani Cosmoxeni Genitura Judicium (1615) eingegliedert wird (353-447. 556-571). Daß dies eine glückliche Lösung ist, darf bezweifelt werden. Das Judicium wirkt zwangsläufig wie ein Fremdkörper.

Die hier versammelten biographischen Texte schließen an die Autobiographie Andreaes (Band 1) an. Zunächst werden zwei Nachrufe geboten: die Mariae Andreanae Merita Materna von 1632 (14-17. 38-97. 521-526) und die Johannis Ludovici Andreae Praecox Maturitas von 1614 (18-22. 99-145. 526-532; beide herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Frank Böhling). Sie gelten der Mutter bzw. einem früh verstorbenen Bruder Andreaes und gewähren wichtige Aufschlüsse über die Rolle der Familie im Beziehungsgeflecht des geistlichen und gelehrten Württemberg (einschließlich der Kontakte der Gelehrtenschaft zum Hofe). Auch für die Sozialgeschichte der frühen Neuzeit ist hier viel zu gewinnen.

Die Mutter Andreaes, Maria Moser (1550-1632), erscheint als eine energische und anspruchslose Witwe, deren ganze Sorge darauf gerichtet ist, ihren Kindern zu Brot und gelehrtem Ansehen zu verhelfen. Tugendhaft, bescheiden und heilkundig macht sie dabei zuletzt sogar noch eine "Ausnahmekarriere". Sie steigt nämlich zur Leiterin der Stuttgarter Hofapotheke auf. Der enge Kontakt zur verführerischen Welt des Hofes tut ihrer Frömmigkeit aber keinen Abbruch: Maria besucht weiterhin fleißig den Gottesdienst, durchliest jedes Jahr einmal die gesamte Bibel und beschäftigt sich daneben mit theologischer (Luther, Brenz, Andreae, Osiander, Gerhard) und erbaulicher Literatur (Nicolai, Buscher, Kegel, Egard, Faber, Dunte, Arndt).

Der Nachruf auf den jüngeren Bruder Johann Ludwig (1590-1608) ist indirekt auch ein Bericht über Andreaes eigene Jugend. Der Bruder erscheint darin nicht nur als die große Hoffnung, sondern auch als das "schwarze Schaf" seiner Familie. Frühreif, hochbegabt und sensibel wendet er sich schon mit 15 Jahren der Theologie zu (u. a. bei Matthias Hafenreffer, erste Probepredigten etc.). Er bricht aber schon bald aus dem Tübinger Studienbetrieb aus (religiöse Krise; wohl unter Einfluß des Tobias Heß), schließt sich dem Heer des Pleickard von Helmstedt an und stirbt, noch nicht zwanzig Jahre alt, an den Folgen der während eines Feldzugs ins Elsaß durchlittenen Strapazen. Hier kündigen sich bereits viele Soldatenschicksale der Folgezeit an.

Dem folgt Andreaes Vale Academiae tubingensi von 1607 (147-215. 532-546; hrsg., übersetzt und kommentiert von Wilhelm Kühlmann und Werner Straube). Es scheint sich zunächst kaum von anderen akademischen "Deklamationen" dieser Art zu unterscheiden. Andreae spart nicht mit Dank an Förderer und Gönner (zahlreiche wichtige Detailinformationen). Er preist die Repräsentanten der Tübinger Gelehrsamkeit. Allerdings verzichtet er auf das damals übliche Lob der einzelnen Disziplinen und übt zwischen den Zeilen manche Kritik am Tübinger Studienbetrieb, aus dem er, so er selbst, nicht viel an eruditio davongetragen habe (210). Darüber hinaus wird deutlich, welch enge Kontakte der Student Andreae auch zu außerakademischen Kreisen unterhalten hat (Handwerker, Mechaniker, Theosophen). Dies ist das Milieu, aus dem später die "Rosenkreuzerschriften" (Band 3) hervorgehen werden.

An vierter Stelle wird dann die ­ ebenfalls akademische ­ Mora Philologica (1609/1633) geboten (217-289. 546-552; hrsg., übersetzt und kommentiert von Wilhelm Kühlmann und Werner Straube). Der Begriff ist mehrdeutig: "’Mora Philologica’ war ... die vor dem Magistergrad obligatorische Ausbildung in den ’artes liberales’ ... ’Mora philologica’ war aber auch ­ verstanden als umfassende philosophische Propädeutik ­ die Phase der geistigen Orientierung vor dem eigentlichen Brotstudium, in diesem Falle [d. h. dem Andreaes] der Theologie" (220). Hier dient der Begriff zur Bezeichnung einer prekären Lebensphase Andreaes, nämlich seiner Jahre zwischen 1607 (calumnia [262]) und 1614 (Übernahme des Diakonats in Vaihingen/Enz). Der will sie hier nicht nur verständlich machen, sondern auch entschuldigen. Zu diesem Zwecke gestaltet er ein Gespräch zwischen sich selbst, dem zwar begabten, aber doch zugleich auch stark gefährdeten Studenten Andreae, und dessen beiden wichtigsten akademischen Gönnern, den Tübinger Professoren David Magirus und Matthias Hafenreffer: "Diese ’Studienberatung’ entwickelt sich zu einem manchmal kritischen, ja sarkastisch gefärbten Umblick auf die wissenschaftlichen und geistigen Konflikte der Zeit ..., ja zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den andrängenden Fragen des Ausgleichs zwischen christlicher Lebensgestaltung und säkularer Weltaneignung" (221). Auch wenn seine Kontakte zu Christoph Besold und Tobias Heß hier nirgends zur Sprache kommen, ist die Mora doch zweifellos eine der wichtigsten Quellentexte für Andreaes komplizierten Werdegang.

Der Mora folgt die Tobiae Hessi Immortalitas von 1619 (23-31. 291-351. 552-556; herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Frank Böhling). Tobias Hess (1568-1614), ein aus Nürnberg stammender, später in Tübingen lebender Arzt, zählte zu den wichtigsten Freunden des jungen Andreae. Nachdem er schon 1597 mit chiliastischen Gedanken hervorgetreten war (u. a. im Anschluß an Jakob Brocard, Julius Sperber und Simon Studion), mußte er sich deshalb 1605 vor der theologischen Fakultät verantworten. Er wurde "vermahnt", rückte aber auch in der Folgezeit nicht von seinen Ansicht ab.

Andreaes Schrift ist deutlich apologetisch gefärbt. Sie schildert den Paracelsisten Heß als einen unermüdlich gegen die Anfechtungen durch die Welt, das Fleisch und den Satan kämpfenden Heroen (Hercules Christianus 324; vgl. Band 4), der von seinen Gegnern zu Unrecht als "Chymicus" verleumdet wurde. Für Andreae war Heߒ Chiliasmus keineswegs häretisch. Auch dessen späteres Drängen auf eine Abkehr von der Welt und eine mystische Hinwendung zu Christus (möglichst im "Bund" mit gleichgesinnten Freunden) wird von ihm hartnäckig verteidigt. Es handelt sich hier letztlich um seine eigene Position. Wie sich anhand der 1616 in Tübingen erschienenen Schrift Theca gladii Spiritus (Band 5) belegen läßt, standen sowohl Heß als auch Andreae in enger Verbindung zu dem oder den Verfassern der "Rosenkreuzerschriften" (Band 3). Vgl. dazu Brecht, Martin: Johann Valentin Andreae. Weg und Programm eines Reformers zwischen Reformation und Moderne, in: Ders. [Hrsg.]: Theologen und Theologie an der Universität Tübingen (Contubernium 15), Tübingen 1977, 270-343, hier 285 f.

An dieser Stelle wird nun überraschend das De Christiani Cosmoxeni Genitura Judicium nach der von Andreae selbst überprüften zweiten Auflage von 1619 eingefügt (353-447. 556-571; hrsg., übers. und komm. von Roland Edighoffer). Als "Anbindung" dient dabei wohl das Widmungsschreiben an Tobias Heß (386 f.). Literarisch bewegt man sich hier aber in einer völlig anderen Welt (allegorische Reformschrift in Gestalt eines Horoskops). Dies macht auch die umfängliche Einleitung (355-383) deutlich. Sie umfaßt fünf (!) relativ selbständige Kapitel: 1. Die Astrologie in Andreas Werk (356-363); 2. Das Problem der Namengebung (363-366); 3. Die Astrologie in christlicher Sicht (367-371); 4. Paracelsus und die Astrologie (371-375) und 5. Das Widmungsschreiben an Tobias Heß (375-381).

Die Entstehung des zu wesentlichen Teilen aus den Werken des Paracelsus geschöpften Textes fällt in die Zeit der "Rosenkreuzerschriften". Man hätte das Judicium daher gut in Band 3 aufnehmen können. Möglich wäre auch eine Verbindung mit der Theca (Band 5) gewesen. Deren Sentenzen Nr. 704 bis 735 sind nämlich Zitate aus dem Judicium (vgl. 378-381; dazu den Apparat des Judiciums). Der Held des Judiciums, Christian Cosmoxenus, ist in doppelter Hinsicht "weltfremd": "Einerseits läßt er sich von den falschen Reizen der Welt nicht verführen, andererseits braucht er vor den bösen Kräften des Kosmos und insbesondere vor dem Einfluß der Gestirne keine Angst zu haben, weil Christus sie alle besiegt hat" (366; unter Hinweis auf Kol 1,16).

Den Abschluß des Bandes bildet dann erneut eine biographische Schrift, der Jonathan Wensius (31-36. 449-515. 571-577; hrsg., übersetzt und kommentiert von Frank Böhling). Andreae und Wilhelm von Wense (1586-1641) lernten sich 1612 im badischen Kurort Griesbach kennen. Beiden gemeinsam war das Interesse an der Mathematik ("Collegium mathematicum" im Hause Christoph Besolds; vgl. dazu die Collectanea mathematica von 1614 [Band 19]). Wense war stark durch die Schriften Tommaso Campanellas (1568-1639) geprägt. Er versuchte dessen utopisches Projekt einer "Citta dell’ Sole" mit einer Frömmigkeitsreform im Sinne Arndts zu verbinden.

Dabei knüpfte er an die durch die "Rosenkreuzerschriften" geweckten (und enttäuschten) Erwartungen an und schlug die Gründung eines Freundesbundes unter der Leitung des Herzogs August von Braunschweig-Lüneburg vor. Nach Ausbruch des Krieges mußten diese Pläne aber wieder fallengelassen werden. Später regte er Andreae wahrscheinlich zur Abfassung des Theophilus (1622/1649; Band 16) an.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die kritische Ausgabe der Schriften Johann Valentin Andreaes ist erneut ein gutes Stück vorangekommen. Die im vorliegenden Band versammelten biographischen Schriften sind dabei nicht nur für die Andreae-Forschung von Bedeutung. Auch die übrigen Historiker der frühen Neuzeit (d. h. vor allem die Kirchen- und Theologie-, aber auch die Kultur- und Sozialhistoriker) finden hier eine Fülle noch weithin unausgeschöpften Materials. Nochmals hervorgehoben sei auch die erfreuliche Gestaltung der Edition (Kleinformat, Zweisprachigkeit, ausführliche Einleitung und kenntnisreiche Kommentierung). Die zu Band 7 vermerkten Monenda wurden fast alle abgestellt. Lediglich hinsichtlich des Judiciums hätte man sich eine andere Lösung gewünscht.