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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

734–736

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Launhardt, Johannes

Titel/Untertitel:

Evangelicals in Addis Ababa (1919–1991). With special reference to Ethiopian Evangelical Church Mekane Yesus and the Addis Ababa Synod.

Verlag:

Münster: LIT 2004. 360 S. m. Abb. u. Ktn. 8° = Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, 31. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-8258-7791-4.

Rezensent:

Jobst Reller

Die Hamburger Universitätsdissertation 2004 (Asien-Afrika-Institut Prof. Dr. Dr. Siegbert Uhlig) widmet sich einem missionsgeschichtlichen Thema, dem Prozess der Kirchwerdung in Äthiopien am Beispiel der Addis-Abeba-Synode der Mekane Yesus Kirche, genauer ihrer Zentralsynode bis zum Sprachenstreit 1998. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Ankunft eritreischer evangelischer Christen in Addis Abeba 1919, die aus durch schwedische lutherische Mission entstandenen Gemeinden stammen, bis zum Ende des Derg-Regimes 1991. Das erste Datum markiert die politische Entscheidung des damaligen Regenten Ras Tafari Makonnen, des späteren Kaisers Haile Selassie, die während seiner gesamten Amtszeit die Arbeit von ausländischen Missionen ermöglicht: die Zulassung von ausländischem Personal zunächst in der Krankenpflege zum Aufbau eines Hospitals. Der Endpunkt der Untersuchung 1991 ist insofern konsequent gewählt, als die Zeit der Militärdiktatur nach 1974 keine neuen Initiativen kirchlichen und missionarischen Handelns von institutioneller Seite zulässt, sondern von den Impulsen der Zeit davor lebt. Soziale und Entwicklungsimpulse waren auch in dieser Zeit möglich. Dass die Phase der Unterdrückung zugleich Zeit des inneren und äußeren auch pentekostalen Kirchenwachstums war, ist eine andere Seite des Geschehens.
Nach einleitenden Bemerkungen zu allgemeiner Geschichte und Religionsgeschichte für die Region Addis Abeba folgt zu­nächst in Kapitel I eine umfassende Darstellung der verschiedenen protestantischen Missionen und ihrer Wirksamkeit in Addis Abeba von 1920 an in der Reihenfolge ihres Auftretens (bis 1935: Swedish Evangelical Mission ab 1920, die Swedish Mission Bible-True-Friends ab 1921, American United Presbyterian Mission ab 1922, Sudan Interior Mission/Abyssinian Frontiers Mission ab 1927, die Hermannsburger Missionsanstalt ab 1928, die Society for the Propagation of the Gospel ebenfalls ab 1928, die Bible Churchmen’s Missionary Society ab 1934, die British and Foreign Bible Society ab 1913 und die Church Mission to the Jews ab 1859). Kirchwerdung beginnt mit der Gründung einer eigenen evangelischen »Auslands«-Gemeinde durch den schwedischen Missionar Olof Eriksson, als am 8.10.1921 drei muslimische Jungen getauft und vier Erwachsene konfirmiert werden. 1922 entsteht das erste Kirchengebäude aus der ehemaligen Privatkapelle des schwedischen Arztes Söderquist († 1919) an der Welete Johannes Straße in Siddist Kilo in Addis Abeba. Damit ist die Phase eines evangelisch-biblischen Wirkens innerhalb der orthodoxen Kirche beendet, das nach Aréns These in einer orthodoxen Bibelbewegung seit dem Wirken des Lübecker Kaufmanns Peter Heyling (Muallim Petros) in Gondar 1634–1652 verortet war. Das Kapitel endet mit einem Abschnitt über die Protestanten während der italienischen Besetzungszeit 1936–1941, die sich mit Ausnahme der Hermannsburger Arbeit durch die versuchte nationale Unterwerfung aller protestantischen Kirchen- und Missionsarbeit unter die Waldenser auszeichnete. Im Gegenzug ist dieser Um­stand für die Nationalisierung der Missionsgemeinden und die Ordination Einheimischer entscheidend. Interessant ist, dass die Missionen in aller Regel für den enteig­neten Besitz seitens der italienischen Regierung entschädigt wurden.
Die in Kapitel II beschriebene Phase im unabhängigen kaiserlichen Äthiopien von 1941–1969 zeichnet sich durch die Konstitution einer ganzen Reihe einheimischer Kirchen aus, nachdem zunächst die Kirchengemeinde in Addis Abeba unter dem Namen Mekane Yesus (Wohnung Jesu) unabhängig wurde. Die Initiative ging am 2.11.1945 von den Ältesten aus, die schwedische evangelische Mission vollzog die Übertragung im April 1947, bereits 1940 war die presbyterianischer Tradition entstammende Addis Abeba Bethel Gemeinde entstanden, eine Gemeinde der schwedischen Mission (Bibeltreue Freunde) bestand seit 1936, seit 1950 mit einheimischen Pastoren. Den Gemeindegründungen folgten konfessionelle Kirchgründungen: die äthiopische evangelische Mekane Yesus Kirche (21.1.1959) mit einer indirekten Bekenntnisverpflichtung über die Mitgliedschaft der Gemeinde in Addis Abeba im Lutherischen Weltbund (CA, durch das lutherische Missionskomittee um den Großen Katechismus Luthers erweitert), die lutherische Kirche Bibeltreue Freunde in Äthiopien (13.1.1960) mit klarem Bekenntniscorpus (CA, Kleiner und Großer Katechismus Martin Luthers), die evangelische Bethel Kirche presbyterianischer Tradition (18.1.1947), die im September 1974 der Mekane Yesus Kirche beitrat.
Über die konfessionellen Konsequenzen dieses Schrittes besteht bis heute keine Einigkeit. Des Weiteren sind die men­noni­tische Meserete Kristos Kirche (1966), die Kale Heywet Kirche (1974) und die Berhane Wengel Baptistische Kirche (1968) neben der Pfingstbewegung beschrieben.
Interessant ist, dass die Initiative zur Kirchwerdung über eine Konferenz äthiopischer evangelischer Kirchen, erstmalig 1944 in Naqamte, ohne Beteiligung der Missionen erging. Man wählte zunächst nicht den Weg konfessioneller Identität, sondern praktischer Kirchenordnung durch »Geistliche und Zeitliche Statuten« über Mitgliedschaft, Ehe, Verlobung, Hochzeit und Hochzeitsfeste. Dieser indigene Prozess führte allerdings in Fragen wie der nach dem Leitungsamt des Bischofs oder der einer Konfession (1947) auch bis 1963 nicht zu verbindlichen Strukturen, also zur Kirchwerdung. Die allein auf biblischer Autorität ruhende Ausarbeitung eines eigenen äthiopischen Bekenntnisses erzielte von 1947 bis 1949 kein Ergebnis. Die neue Initiative zur Kirchwerdung verdankte sich dann einem Impuls von außen durch den Ethiopia Inter-Mission-Council, bzw. das Komitee Lutherischer Missionen, das neben gemeinsamen Bildungsprojekten den Impuls eines gemeinsamen Bekenntnisses als Grundlage der Einheit einbrachte. Dabei überspannte das Bekenntnis die nationalen Grenzen der Missionen in einer Reihe der Kirchwerdung vorauslaufenden Bildungsprojekten (Alphabetisierung, evangelische College Debre Zeit, ein Radio Studio, das Mekane Yesus Seminar).
Kapitel III weitet den Blick intentional auf die Gesamtheit christlicher Kirchen im Großraum Addis Abeba, um überkonfessionell Strukturen kirchlicher Großstadtarbeit aufzudecken. Als Beispiel sei das Projekt der Akaki Indo-Ethipian Textile Factory von orthodoxer Seite aus genannt. Um die Herausforderungen kirchlicher Großstadtarbeit zu bündeln, wurden die bisher zu den verschiedenen Synoden gehörigen Gemeinden und Arbeitszweige in Addis Abeba am 30.3.1974 zur angesichts der versammelten Institutionen mit Abstand wohlhabendsten Zentralsynode vereinigt – ein theologisch und kirchlich konsequenter Schritt unter der Ägide des charismatischen Kirchenführers Gudina Tumsa, der Zentralsynode und Ge­samtkirche in seiner Person zusammenhalten konnte. Nichtsdestotrotz bleibt gegenüber L. zu fragen, ob die sich am Sprachenstreit entzündende Trennung von Gesamtkirche und Zentralsynode 1998 in der Aufhebung der institutionellen Beziehungen der Landsynoden zu ihren Gemeinden in Addis Abeba ihren Grund hatte. Dezentraler ländlicher Kongregationalismus und urbane zentral gelenkte Kirche stehen weiterhin faktisch in Spannung.
Kapitel IV bildet demgegenüber institutionell ein retardierendes Moment ab, die zunehmende Be- und Unterdrückung der Kirchen durch das Derg-Regime 1974–1991, die allerdings in Entwick­lungshilfe und geistlicher Dimension zu Wachstum führt – nicht zuletzt durch die bis heute dominierende Pfingstbewegung.
Die Studie basiert zum einen auf der Zusammenschau von grundlegenden Arbeiten vor allem skandinavischer Provenienz, die beiden Arbeiten von Gustaf Arén: Evangelical Pioneers in Ethiopia, Stockholm 1978, bzw.: Envoys of the Gospel in Ethiopia, Stock­holm 1999, von Jonny Bakke: Christian Ministry, Oslo 1987, Öyvind Eide: Revolution & Religion in Ethiopia. 1974–85, Oxford 2000, Olav Saeveraas: On Church-Mission Relations in Ethiopia 1944–1969, Oslo 1974, und der unveröffentlichten Dissertation des aus der presbyterianischen Tradition der Bethelkirche stammenden Debela Birri: History of the Evangelical Church Bethel, Chicago 1995. Zum anderen hat L. während und nach seinem Dienst als Mis­sionar und Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Äthiopien seit 1955 Primärquellen aus Kirche und Mission und unveröffentlichte Manuskripte in seinem Privatarchiv sammeln und auswerten können.
Der große Wert der Arbeit liegt in der Zusammenschau der verschiedenen Traditionen von orthodox über römisch-katholisch, lutherisch, presbyterianisch, baptistisch, pfingstlerisch bis hin zu den Adventisten für ein geographisch umgrenztes Gebiet, nämlich das der Hauptstadt Addis Abeba im Zeitraum von 1919–1991. An diesem Punkt gewinnt das Werk Handbuchcharakter.
Die Aufstellungen über Gemeinden, Mitgliederzahlen, Arbeitsformen sind in dieser Präzision und Knappheit ansonsten kaum an einem Ort zu finden. Zugleich wird ein Aspekt der Kirchengeschichtsschreibung wirksam, der nicht nur binnenperspektivisch die Geschichte einer Missionsgesellschaft oder Konfession, sondern die der im Namen Jesu Christi versammelten Gemeinde und Kirche schreibt. Ein interessantes Einzelergebnis ist die Rolle der Konfession, die nicht nur nach L.s Darstellung eigentümlich unbestimmt bleibt, sondern auch offenbar in der einheimischen Kirche zunächst nicht als integratives theologisches Interpretament verstanden wird, sondern erst neben aller formalen Biblizität zu entdecken ist. Die Euphorie der Entwicklung von Kirche durch Alphabetisierung und Gemeindegründung in der Großstadt in den 50er und 60er Jahren mit zum Teil strategischen Zügen, nicht zuletzt von den Missionen getragen, scheint dennoch von der einheimischen Wirklichkeit eingeholt werden zu müssen. Diesen Schluss legt L. zumindest nahe, auch wenn er selbst sich in seinen Urteilen bedeckt hält.