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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

64 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Achleitner, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Gott im Krieg. Die Theologie der österreichischen Bischöfe in den Hirtenbriefen zum Ersten Weltkrieg.

Verlag:

Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1997. 509 S. gr.8°. Kart. öS 896.­. ISBN 3-205-98615-6.

Rezensent:

Karl Hammer

Die gewichtige, überarbeitete Salzburger Dissertation von 1993 erscheint zum rechten Zeitpunkt, vor Ende jenes Jahrhunderts, dessen europäisches Unheil mit "Sarajewo" 1914 begann und in der Wiederkehr neuen Unheils in der Gegenwart dort noch nicht beendet ist. Sie richtet die Weltaufmerksamkeit auch erstmals auf den Beitrag, den die römisch-katholischen Bischöfe der Donaumonarchie in ihrem deutschsprachigen Teil während des I. Weltkriegs maßgeblich für Front und Heimat hinausgehen ließen. Die Autoren der Hirtenschreiben, die Bischöfe zwischen Feldkirch, Innsbruck, Brixen über Salzburg, Linz, St. Pölten bis Wien und Gurk werden kurz vorgestellt (50 ff.). Die Austauschbarkeit der bischöflichen Botschaften wird allzu pauschal vorausgesetzt, um eine individuellere Würdigung der einzelnen zu vermeiden. Warum soll "die Kenntnis der Einzelbiographie zum Verständnis der Texte nicht notwendig" sein (51)? Bei anderen bedeutenden Verantwortungsträgern bemüht man sich doch auch um deren möglichst exakte Biographie. Es stimmt freilich schon, daß alle vorgestellten Bischöfe bis auf einen "aus Dörfern und kleinen Gemeinden, ...aus bäuerlichen (oder) handwerklichen Verhältnissen stammen" (58). Dies hatte die Mentorin der Studie Erika Weinzierl bereits 1985 festgestellt. Der einzig nichtösterreichische Beitrag stammt übrigens vom Breslauer Fürstbischof A. Bertram. Ausgerechnet er liefert den einzigen Hirtenbrief aus Anlaß von Kaiser Franz Joseph Tod 1916.

Die Vorstellung der Texte erfolgt systematisch unter dogmatischen Gesichtspunkten. Natürlich habe ich mich gefreut, darin mein eigenes Modell von 1968 wiederzufinden (Karl Hammer: Deutsche Kriegstheologie 1870-1918, München 1971, 21974), hier allerdings unter Voranstellung der Christologie (Kapitel 3: Jesus Christus, 111 ff.), gefolgt vom 1. Artikel (Gott und Vorsehung, 197 f.) und der Trinität (Kap. 5, 317 ff.). Die himmlischen Triaden konnten im damaligen Österreich auch "Papst ­ Kaiser­ Gott" oder "Kaiser ­ Vaterland ­ Gott" heißen neben Dyaden "Christ­König ­ Königin-Mutter Maria" (318 ff.). Das 6. Kapitel beschreibt unter dem Titel "Gott und Krieg" die religiös-sittlichen Zustände sowie die bischöfliche Kriegstheologie.

Daß dieser rein systematische Ansatz gegenüber dem historischen auch seine Mängel hat, wäre anhand des Pazifismusthemas zu zeigen: Auch mir war der Widerspruch zwischen dem durchschlagenden Erfolg des Bestsellers von Bertha v. Suttner "Die Waffen nieder!" (1890) und dem fast völligen Schweigen der christlich-pazifistischen Stimmen während des Weltkriegs aufgefallen (99). Nur versuchte ich in einem historischen Kommentar zu den Dokumenten der deutschen Kriegstheologie die jeweils doch veränderte politisch-militärische Situation zwischen 1914 und 1918 einzubeziehen. Für Achleitner lautet die Zusammenfassung kurz so: "Die Bischöfe und der Frieden. Ausnahmslos stehen die österreichischen Bischöfe hinter der den I. Weltkrieg auslösenden Kriegserklärung Kaiser Franz Josephs an Serbien. Auch wenn eine Kriegsbegeisterung nicht für alle Bischöfe nachweisbar ist, stimmen dem Krieg doch alle zu. Kein konkreter Friedensaufruf eines Bischofs oder politische Vorschläge zur Beendigung des Krieges sind in den Jahren zu finden. Kein österreichischer Bischof steht Papst Benedikt XV. in seinen Friedensbemühungen zur Seite, der als einziger der katholischen Hirten aufgrund seiner politischen Neutralität Appelle zum Frieden zu verkünden in der Lage ist" (73). Da aufgrund der Strukturen bis 1918 in den kriegführenden Staaten der absolute Obrigkeitsstaat, die Allianz von "Thron und Altar" bestand, war es den österreichischen sowenig wie den deutschen Bischöfen gegeben, hier eigene Friedensinitiativen zu publizieren oder auch nur ihrem Oberhirten in Rom 1917 zu folgen. Wie die militärischen Fronten in Ost und West und Südtirol erstarrt waren, so blieben es auch die einer selbstgerechten Kriegstheologie auf allen Seiten.

Schade auch, daß trotz des immensen Materials zu wenig auf internationale und interkonfessionelle Bezüge in diesem bis heute belastenden Thema Kriegstheologie eingegangen wird. Einen Hinweis darauf, daß Kaiser Franz Joseph, nach neueren Forschungen doch mehr gedrungen und gezwungen vom Kollegen in Berlin, nach der Julikrise 1914 an Serbien den Krieg erklärte, vermißt man ebenso wie etwa den noch wichtigeren auf einen im damaligen Wien lebenden Mann, der sich bei seinem späteren Aufstieg zum "Führer" stets auf den in jenen Kriegshirtenbriefen verkündigten und geglauben "Gott der Vorsehung" berief. (Hinweise auf dessen Glauben bei Friedrich Heer: Der Glaube des Adolf Hitler oder bei Wolfgang Hammer: Adolf Hitler ­ ein deutscher Messias? München 1970). Aber auch Bezüge zu der bald nach Kriegsausbruch einsetzenden Fehde zwischen der katholischen Führungselite in Deutschland und Frankreich fehlen (Vgl. G. Pfeilschifter [Hrsg.]: Deutsche Kultur, Katholizismus und Weltkrieg. Eine Abwehr des Buches La Guerre Allemande et le Catholicisme, Freiburg 1916).

Im recht umfangreichen Literaturverzeichnis vermißt man auch den seinerzeit bahnbrechenden Wilhelm Pressel: Die Kriegspredigt 1914-1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands (Göttingen 1967).

Gerade weil Sarajewo nicht erst seit heute "vor der eignen (ökumenischen!) Haustür liegt", wie so oft behauptet wurde, und sowohl zu helfen als auch zu denken reichlich Anlaß gibt, sollten wissenschaftliche Untersuchungen bei aller Breite doch auch eine künftige internationale Europäische Union aus den Sünden einer gemeinsamen Vergangenheit erkennen und überwinden helfen. Als aktiver Gemeindepfarrer stoße ich sogar im neutralen Basel immer wieder in den Lebensläufen betagter Verstorbener auf die Wunden, die eine fehlgeleitete geistige und geistliche Führung im I. Weltkrieg schlug. Der derzeitige Massenaustritt aus unseren Kirchen wird teilweise immer noch mit dem "Waffensegnen" der damaligen Kirchenoberen begründet und geht auch die Universitätstheologie etwas an.

Erfreulich, daß die umfangreiche und notwendige Dissertation, die gewisser Statistiken und systematischer Zusammenfassungen zugunsten ausführlicherer Hirtenbriefzitate hätte entraten können, auf den modisch-süffisanten, anklagenden Ton unserer besserwisserischen Historikergeneration durchgängig verzichtet!