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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

705 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stebler, Christoph

Titel/Untertitel:

Die drei Dimensionen der Bestattungspredigt. Theologie, Biographie und Trauergemeinde.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2006. 320 S. 8°. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-290-17381-4.

Rezensent:

Thomas Klie

Die pastoraltheologische Literatur zu den Kasualien häuft sich – einerseits ist dies sicher ein Symptom für die aktuelle Rückbesinnung auf das kirchliche »Kerngeschäft«, andererseits aber wohl auch ein Reflex der zunehmenden Kasualisierung protestantischer Gottesdienstkultur. Beide sind ausgesprochene Krisenphänomene, wenn auch Statistiken belegen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Plausibilität einer »Kirche bei Gelegenheit« (M. Nüchtern) aus Anlass von Bestattungen noch mit Abstand am höchsten ist.
Der Titel dieser Baseler Dissertation ist homiletisches Programm: Theologie, Lebensgeschichte und Kasualgemeinde bilden die drei »Dimensionen«, die hier als Analyseinstrument von Bestattungspredigten konzeptualisiert werden. Die durch die Pfarrperson zu leistende »Verknüpfung« dieser Größen wird in einem weiteren Kapitel thematisch. Zur Validierung der Ausgangsthese interpretiert dann der Vf. nach diesem Modell drei Bestattungspredigten aus dem deutsch-schweizerischen Milieu. Warum hier al­lerdings mehr als 20 Jahre alte Kanzelreden zu Grunde gelegt werden – die Predigten stammen von 1977, 1979 und 1983 –, wird nicht eigens diskutiert. Die Analyse mündet in eine zusammenfassende Systematisierung der Ergebnisse, in der das »Drei-Dimensionen-Modell« zu einer »Produktionshilfe« zum Erstellen von Bestattungspredigten transformiert und auf andere Kasualien übertragen wird (Taufe, Konfirmation, Trauung).
In der theologischen Dimension geht es dem Vf. in großer Allgemeinheit »um die Rede vom trinitarischen Gott und um die implizite oder explizite Aufnahme christlicher Tradition« (65). Die biographische Dimension ist durch das im Kasualgespräch erhobene lebensgeschichtliche »Material« definiert, das im Trauergottesdienst bei der vielerorts noch praktizierten Verlesung des Lebenslaufes und als Deutungsressource der Predigt zur Sprache kommt. Die gemeindliche Dimension wird gebildet durch die »Gesamtheit der Zuhörerinnen und Zuhörer der Bestattungspredigt«, deren Kriterium, die »Verkündigung des Evangeliums«, sie »punktuell und per definitionem zur Gemeinde« macht (117).
Der Vf. greift zur liturgischen Kennzeichnung des Inszenierungskontextes auf einen Ritual-Begriff zurück, den er unkritisch älteren religionswissenschaftlichen bzw. ethnologischen Diskursen (van Gennep, Turner) entlehnt. Dadurch bleibt nicht nur das Verhältnis von »Ritual« und »rituellen Formen oder Signalen« (23 passim), sondern auch die kasualtypische Relation von Liturgie und Predigt bzw. Ordinarium und Proprium theoretisch unterbestimmt. Wenn mit Recht behauptet wird, dass »der Kasus die Auswahl und Gestaltung der einzelnen rituellen Handlungen (steuert)« (27), also die konventionellen und fallrelativen Aspekte die Liturgie prädeterminieren, dann muss gefragt werden, welchen Erkenntnisgewinn die praktisch-theologisch reichlich übercodierte Rede von den sog. »Ritualen« erbringt. Die ostinate Wiederholung überkommener Deutungsmuster macht diese keineswegs plausibler. Im protestantischen Verständnis kann das »Kerygma«, die kasuell veranlasste Deutung biblischer Texte, mitnichten »einfach dem Ritual zugeordnet werden« (28), es hat vielmehr eine eminent ritualkritische Funktion, so man es denn, wie hier exemplarisch vorgestellt, homiletisch bestimmt.
Auch in einer zweiten Hinsicht offenbart diese Untersuchung einen eher konventionellen Zuschnitt. Alle drei Dimensionen der Leichenrede sind ausschließlich über die pastorale Zeichenproduktion definiert. Im Zentrum steht das »schöpferische Subjekt« der »predigenden Person«: Sie allein verbindet »Theologie« und »Biographie« und sie allein legitimiert über ihre sprachlich vermittelte Deutungsleistung die kasuelle Gemeindebildung. Die sinnkonstruktiven Aktivitäten aller anderen beteiligten Subjekte (»Trauergemeinde«) sind dagegen methodisch ausgeblendet: Die predigende Person ist »die gestaltende Kraft der Bestattungspredigt. Sie entscheidet über den Inhalt der Predigt … (A)lle Dimensionen (sind) von ihr geformt« (161). Vor diesem Hintergrund eine Predigt undiskutiert als »verkündigtes Kerygma« zu verstehen (65 passim), unterläuft jedoch sämtliche homiletischen Theoriezuwächse der letzten Jahrzehnte. Leider wird dieser reduktionistische Zugang weder be­grün­det, noch wird – und dieses Gravamen wiegt schwe r– eine valide texthermeneutische Methode für die Predigtanalyse herangezogen. Angesichts der sich rapide verändernden Sepulkralkultur hätte man sich in einer Arbeit zur Praxis evangelischer Todesdeutung auch einen prononcierteren Exkurs zur Bestattungskultur ge­wünscht, markiert diese doch die »homiletische Großwetterlage« der Kasualie. Die durchweg kulturkritischen Aufzählungen im 4. Teil der Arbeit bleiben diesbezüglich hinter den Erwartungen zurück.
Das Drei-Dimensionen-Modell mag sicher ein brauchbares Analyseraster für die pastorale Praxis sein; vor allem die Fragebatterien (198 ff.) verhelfen Berufsanfängern zu einer ersten Orientierung in der Vielfalt der Optionen. Im wissenschaftlichen Diskurs erweist sich diese Systematik jedoch als zu weitmaschig; wichtige Bezugsgrößen wie z. B. die »predigende Person« und die ästhetische Gestalt des homiletischen Artefakts (»Rhetorik«) werden nur als »ergänzende Zugänge« rubriziert. Diese Addition geht auf Kosten der theoretischen Stringenz.