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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

60 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Madden, Patrick J.

Titel/Untertitel:

Jesus’ Walking on the Sea. An Investigation of the Origin of the Narrative Account.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. X, 156 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 81. Lw. DM 108,­. ISBN 3-11-015247-9.

Rezensent:

Gottfried Schille

Als Beiheft 81 der ZNW liegt die Dissertation des Autors vor. In einem seiner Unaufdringlichkeit wegen einladenden Stil geht dieser seine Aufgabe an, die Seewandelerzählung als ins Leben Jesu retroprojizierte Ostergeschichte zu erklären. Kapitel 1 (1-41) widmet sich der Forschungsgeschichte. M. erkennt fünf ältere Lösungsvorschläge, die er anhand einer Unzahl von Einzelstimmen vorführt. Hierbei wird dem Leser nicht so recht klar, worin die einzelnen Stellungnahmen denn nun tatsächlich bestanden, da mancher Forscher gleich in mehreren Fächern wiedererscheint. Hier wäre es glücklicher gewesen, der Autor hätte das Voranschreiten hin zum heutigen Stand vorgeführt. Auch wenn es einen Konsens nicht gibt, erfährt man doch gelegentlich, daß bestimmte Positionen heute als überholt gelten.

Mit Kapitel 2 (42-74) beginnt die Begründung der eigenen Vorstellung. Wieder ist M. nicht völlig überzeugend, insofern er die möglichen antiken Analogien untersucht mit dem durchgängigen Ergebnis, es habe solche nicht wirklich gegeben. Geht dabei nicht um der Zielthese willen die Negation oft zu weit? Gaben die hellenistischen und jüdischen Aussagen über die Fähigkeit Gottes, einzelner Götter oder Heroen, über Wasser zu schreiten, tatsächlich keine zumindest sprachlichen Ansatzpunkte her? Läßt sich der Seewandel Jesu also ausschließlich aus dem neuen Credo zu Jesu Auferweckung erklären?

Kapitel 3 (75-114) zeigt eine saubere versweise Exegese der drei Evangelientexte Mk 6,45-52; Mt 14,22-33 und Joh 6,16-21. Anschließend wird die Selbständigkeit der Erzählung (besonders gegenüber der Speisung der 5000) und ihr Genus untersucht, wobei M. gelegentlich auf eine gewisse Nähe zu den Epiphaniegeschichten stößt. Auch darin folgt man dem Autor gern, daß der vierte Evangelist nicht unmittelbar auf Markus fuße, also gelegentlich einen älteren Zug bewahrt haben könnte.

Kapitel 4 (116-139) endlich will die These erhärten. Nach C. H. Dodd haben die Oster-Geschichten der Evangelien einige (fünf) Stilmerkmale, die M. um weitere vier ergänzt. Wenn alle diese Kennzeichen auch nicht in jedem Einzeltext vorkommen, so begegnen derartige Elemente doch in großer Dichte in den Seewandel-Texten. Ich nenne besonders das anfängliche Getrenntsein von Jesus, die Fixierung auf eine Stunde am Ausgang der Nacht, das Nichterkennen des Herrn, die Beruhigungsformel und die nachträgliche Identifikation als Jesus. Ein Vergleich mit Joh 21,1-14 zeigt darüber hinaus, daß das zentrale Motiv "Wandel auf oder am Meer" nach Ostern aufgegriffen worden ist. Weiß M. auch, daß ein echter Beweis nicht zu führen ist, so sammelt er doch fleißig Argumente.

Nun wird man einwenden können, daß die Ostergeschichten eine sehr uneinheitliche Erzählungsgruppe darstellen und allesamt zum Typus der Epiphanie-Erzählung gehören, so daß das Auftauchen von Epiphanie-Motiven in den Seewandelgeschichten an Beweiskraft verliert. Man wird weiter bedenken, daß das seit der Liberalen Theologie gesuchte "vorösterliche Material" eine pure Fiktion ist, da wir Texte grundsätzlich nur aus nach-österlicher Zeit besitzen, so daß schon die Suche nach dem "echt" Vorösterlichen einem Gang des Blinden in den Urwald gleichkommt. Insofern es so etwas nur in der Utopie gibt, ist die Übertragung des Osterglaubens in das Leben Jesu kein neuer Gedanke. Man wird es dem Autor daher danken, daß er auf diese Möglichkeit ein weiteres Mal aufmerksam gemacht hat.

Trotzdem bleiben einige Bedenken. Wenn man (nach Ostern!) Jesus schon vor Ostern als Herrn der Schöpfung sah (das geschah ja bereits im vorpaulinischen Hymnus Phil 2,6-11!), warum konnte man ihn zuerst nur als Auferstandenen in diese Funktion erheben? Wird hier nicht doch ein Umweg gewählt, den wir letztendlich dem Denkzwang der Liberalen verdanken, während die ersten Christen vermutlich erheblich weniger Schwierigkeiten hatten, Jesus vor und nach Ostern als Mensch und als Gott zu begreifen?

Noch in einem Punkt stimmt das Buch versöhnlich: Hier schreibt ein Autor aus dem anglikanischen Raum und kennt und verarbeitet doch nicht nur die englischsprachigen Äußerungen zur Sache (Bibliographie, 143-156), und dies in einem Ton, den man einfach gern liest, sine ira et studio.