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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

665–667

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Neser, Anne-Marie

Titel/Untertitel:

Luthers Wohnhaus in Wittenberg. Denkmalpolitik im Spiegel der Quellen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 364 S. m. zahlr. Abb. gr.8° = Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Katalog, 10. Geb. EUR 28,00. ISBN 3-374-02280-4.

Rezensent:

Helmar Junghans

Untersuchungen zum Lutherhaus in Wittenberg gibt es mehrfach, besonders faktenreich und quellengestützt in dem Inventar »Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg«, welches das Institut für Denkmalpflege in Halle 1979 herausgab. Die Vfn. will nun eine bisher fehlende monographische Abhandlung zum Lutherhaus vorlegen. Sie bezieht den aktuellen Stand der Diskussion über die preußische Kulturpolitik im 19. Jh., neuere kunst- und baugeschicht­liche Veröffentlichungen sowie die jüngste Bauforschung ein.
Das Kapitel »Lebensbeschreibung eines Gebäudes« verfolgt dessen Geschichte vom Baubeginn als Kloster für Augustinereremiten im Jahre 1504 bis zur Übergabe an das am 6. März 1816 gegründete Predigerseminar. Dank einer gründlichen Auswertung der Kämmereirechnungen der Stadt Wittenberg von 1501 bis 1586 kann die Vfn. präzise angeben, welches und wie viel Baumaterial von der Stadt Wittenberg jeweils bezogen wurde, und mit bestimmten Bauphasen in Verbindung bringen. Allerdings ist eine vollständige Übersicht nicht möglich, weil das Kloster noch eine eigene Ziegelscheune hatte, über deren Lieferungen es keine Unterlagen gibt. Die baugeschichtlichen Forschungen, die im Zusammenhang mit der Sanierung des Lutherhauses 2000-2002 vorgenommen wurden, haben zwar Spuren des ursprünglichen Klosterbaus freigelegt, die Schlüsse auf den geplanten Klosterkomplex zulassen, aber keine Er­kenntnisse über die Nutzung einzelner Räume gebracht. So konnte auch keine Sicherheit darüber gewonnen werden, ob Luthers Studierstube sich im angrenzenden Stadtmauerturm im 1. oder 2. Stockwerk befand. Es lässt sich auch nicht nachweisen, dass Luther je im Kloster Vorlesungen gehalten hat. Es gibt zwar heute im Lutherhaus einen »Großen Hörsaal«, aber keine Überlieferung über seine Nutzung. Im 19. Jh. war er erst als Bibliothek, dann als Aula vorgesehen, ehe er als »Großer Hörsaal« den Ausstellungsräumen zugeordnet wurde.
Nachdem das ehemalige Kloster 1532 Luther übereignet worden war, bezeugen die Kämmereirechnungen den Bezug von Mauersteinen, Kalk und Dachsteinen bis 1541. Dabei lässt sich nicht erkennen, was zum Umbau im Lutherhaus oder für Wirtschaftsgebäude verwendet wurde. Die Vfn. schildert die von Luther vorgenommene Umgestaltung und beschreibt die vermutliche Nutzung durch die Familie Luther. Zu dem abschließend eingesetzten Katharinenportal vermerkt sie, der Steinmetz habe im Scheitel des Bogens sein Zeichen angebracht. Näherliegend ist die Annahme, dass es sich um eine Hausmarke handelt.
Nachdem das Lutherhaus 1564 an die Universität verkauft worden war, wurden im 2. Obergeschoss Wohnungen für Stipendiaten, darunter Dienst- und Wohnräume für Verwaltung, Versammlungsräume und Speisesaal, Küche und Vorratsräume ausgebaut. Die Vfn. informiert über die mutmaßliche Nutzung der Räume – so diente im 1. Obergeschoss auf der Ostseite wahrscheinlich ein Raum als Schüttboden für Getreide – und berichtet über Veränderungen der ursprüngliche Raumteilung. Im Erdgeschoss entstand der heute als »Refektorium« bezeichnete Saal dadurch, dass die westliche Stirnwand eines vorhandenen Raumes weiter nach Wes­ten versetzt und ein flaches Sterngewölbe eingebracht wurde. Dass die Mönche dort ihr Refektorium hatten, lässt sich nicht nachweisen. 1581 bis 1586 wurden für weitere Stipendiaten und universitäre Nutzung noch ein Westflügel und ein Nordflügel errichtet, sodass das Collegium Augusteum nun u-förmig das ehemalige Klostergelände umgab.
Ein eigenes Kapitel widmet die Vfn. der 1534 eingebauten Wohnstube Luthers, wie sie seit dem 16. Jh. als Gedächtnisstätte verehrt wurde. Beachtenswert ist ihre Feststellung, dass auch die Studierstube im Südwestturm besucht wurde.
Das Schwergewicht der Untersuchung liegt auf der Neugestaltung des Lutherhauses, nachdem die Universität 1817 mit der Universität Halle vereinigt worden war und die Stipendiaten das Collegium Augusteum verlassen hatten. Dieses wurde dem neu ge­gründeten Predigerseminar überlassen. Das Lutherhaus blieb zunächst weitgehend ungenutzt, so dass erwogen wurde, es als Getreidespeicher auszubauen. Schließlich wurden aber Wohnungen für Predigerkandidaten, Klassenräume für die 1834 eröffnete Lutherarmenschule, je eine Wohnung für einen Lehrer und einen Ökonomen oder Küster sowie Ausstellungsräume um die Lutherstube eingerichtet. Wiederum wurde in die vorhandene Bausub­stanz eingegriffen. Im 2. Obergeschoss wurden die Wände auf beiden Seiten des Mittelganges versetzt, so dass kein Raumeindruck mehr aus Luthers Zeit gewonnen werden kann.
Die Vfn. verfolgt detailliert anhand des überlieferten Schriftverkehrs, wie von der 1843 entstandenen Nutzungskonzeption bis 1883 der Umbau des baufälligen Lutherhauses vorgenommen wurde. Sie verfolgt, wie Friedrich August Stüler (1800–1865) Baupläne überarbeitete und das Baugeschehen leitete, richtet ihren Blick aber gleichzeitig auf die gesamte damit befasste Verwaltung und darauf, »dass sich eine höchst noble Beamtenriege für den Erhalt der Lutherstube engagierte« (96). Sie stellt heraus, wie die aufkommende Konfessionalisierung das Interesse für die Luthergedenkstätte erhöhte und auch König Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861) beeinflusste, 1846 anlässlich der 300-Jahr-Gedenkens an Lu­thers Tod mit der schrittweisen Finanzierung der Bauausführung zu beginnen.
Ausführlich geht die Vfn. auf die gerade in der Auseinandersetzung mit dem Lutherhaus entstehende Konzeption und Organisation der Denkmalpflege ein. Stüler verfolgte zwei Ziele: Einerseits sollte die Lutherstube möglichst unverändert erhalten bleiben, andererseits sollte das Gebäude angesichts seiner Bedeutung architektonisch aufgewertet werden. Dafür nahm er die gotischen Bauten der Universitäten Cambridge und Oxford zum Vorbild, brachte aber gleichzeitig für die Ausführung im Einzelnen Elemente aus dem sächsischen Umfeld ein.
Die verdienstvolle Darstellung behandelt leider nicht mehr die letzten 100 Jahre des Lutherhauses. Es wird zwar erwähnt, dass Stülers Umgestaltung als »unzulässige Überformung« wahrgenommen, erheblich verändert und teilweise beseitigt wurde, aber nicht geschildert, welcher Denkmalsgedanke dahinterstand, wer tätig und was ausgeführt wurde. Es wird auch nicht verfolgt, wie das 1883 eröffnete Museum sich immer mehr im Hause ausbreitete, so dass schließlich vor der Sanierung von 1983 auch der letzte Fremdnutzer auszog und für 2002 sogar die Verwaltung des Lutherhauses ihre Räume der Ausstellung und den Sammlungen überließ. Analog zu den Schilderungen der Vorgänge im 19. Jh. ließe sich auch berichten, wie 1983 die Sanierung im Rahmen einer sozialistischen Mangelwirtschaft erreicht oder vor 2002 über den Außenputz – Wiederherstellung des Quaderputzes – diskutiert wurde. Auch das nach der 2002 erfolgten Wiedereröffnung des Lu­therhauses ausgegrabene Untergeschoss eines Vorbaus an seiner Südseite wird nicht vorgestellt. So bleibt zu wünschen, dass eine weitere Monographie folgt.