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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

652–654

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bauer, Dieter R., Feld, Helmut, u. Ulrich Köpf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Franzis­kus von Assisi. Das Bild des Heiligen aus neuer Sicht.

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 2005. IX, 287 S. m. Abb. gr.8° = Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 54. Geb. EUR 29,90. ISBN 3-412-09403-X.

Rezensent:

Heinrich Holze

Diese Publikation geht auf die Studientagung »Franziskus von Assisi« zurück, die im März 1998 von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten durchgeführt wurde. Die Veranstalter beschreiben es als Ziel, »zu einem kritischen Resümee der neueren Franziskus-Forschung zu führen und Impulse für die weitere wissenschaftliche wie überhaupt jede nachdenkende Beschäftigung mit dem frühen Franziskanertum zu geben« (VII.VIII). Der Band versammelt die auf der Tagung gehaltenen Vorträge, von denen hier die wichtigsten vorgestellt werden sollen.
Den Auftakt bildet eine Bilanz des Forschungsstandes. Der Münsteraner Mediävist Franz Xaver Bischof gibt eine konzise Darstellung der Debatte über die »Franziskanische Frage«, die im Ausgang des 19. Jh.s durch Paul Sabatier angestoßen wurde. Als Ergebnis hält er fest, dass über die Entstehung der ältesten Literatur weitgehend Einigkeit bestehe, die Einordnung der Drei-Gefährten-Legende und des Speculum Perfectionis aber umstritten bleibe. Zudem habe der Wechsel von der literarkritischen zur formgeschichtlichen Betrachtung die Franziskusforschung zu wichtigen Einsichten geführt und eine Neubewertung der mündlichen Überlieferung zur Folge gehabt.
Theologische Themen bilden den ersten Themenkreis. Theo Zweerman, Utrecht, schreibt über »Franziskus von Assisi als Mystiker«. Sein Augenmerk gilt der angewandten Zahlensymbolik. Er untersucht den Aufbau der bullierten Regel sowie anderer Texte und entfaltet an ihnen seine These, »dass Franziskus, der ioculator, sich der Zahlensymbolik bedient hat und dass er verhüllte oder, wenn man will, verschlüsselte Berichte hinterlassen hat« (20). Leonhard Lehmann, Rom, greift das von der Forschung selten verhandelte Thema »Erlösung« auf. Er stellt die Texte, in denen Franziskus das Thema direkt anspricht, in den Zusammenhang zeitgenös­sischer Schriften. Dabei zeigt sich, dass Franziskus keine neuen Konzepte von Erlösung entwickelt, sondern an der kirchlichen Tradition festhält. Freilich akzentuiert er eigenständig. Im Weih­nachts­psalm lenkt er den Blick auf Karfreitag: »Das Kreuz ist die Aufgipfelung der Erlösungsgeschichte und ihr eigentliches Ziel.« (139)
Ein weiterer Themenkreis ordnet Person und Werk des Franzis­kus in den Zeitkontext ein. Daniela Müller, Utrecht, behandelt die Frage »Franziskus und der Katharismus«. Während sie in ihrer Dissertation (1986) noch die These vertreten hatte, dass Franziskus seine Bewegung ohne Bezug auf die Katharer begründet habe, verweist sie jetzt auf die Verbreitung katharischer Gemeinden in Italien und vermutet bei Franziskus Kenntnis ihrer Lehren. Im Verhalten zu den Tieren zeigen sich Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede, weil die Katharer bei den Tieren eine mindere Bewusstseinsstufe annehmen, Franziskus aber die Tiere als nicht wesensmäßig vom Menschen unterschiedene Gattung ansieht. Noch deutlicher sind die Differenzen in der Soteriologie, die bei den Katharern mit der Engelslehre verbunden ist, bei Franziskus aber auf die Identifikation mit Christus zielt. Ulrich Köpf, Tübingen, untersucht das kontrovers diskutierte Verhältnis zwischen »Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franziskus«. In Abgrenzung von neueren Versuchen, Gregor als Totengräber der franziskanischen Ideale zu beschreiben, zeichnet er ein differenziertes Bild, welches das Beziehungsgefüge zwischen Kurie, Gemeinschaft und Franzis­kus beleuchtet und unterschiedliche Ursachen für die Veränderungen benennt.
Der weibliche Zweig der Franziskaner ist Thema mehrerer Beiträge. Nikolaus Kuster, Luzern, analysiert in seiner Studie »Was Franziskus und Klara von Assisi verbindet« kritisch die Deutungen von Leonardo Boff, Werner Maleczek, Marco Bartoli, Jacques Dalarun und Margaret Carney. In Abgrenzung von ihnen betont er, dass zwischen den authentischen Äußerungen und den Regelaussagen unterschieden werden müsse. Dass Franziskus »keine konkrete Frau mit Namen nennt«, sei bezeichnend, doch zeigten die wenigen Hinweise in den Briefen »die gemeinsame Inspiration« und die »innere Verbundenheit« von Franziskus und Klara (211 f.). Anton Rotzetter, Münster, untersucht einen Text aus der zweiten Celano-Vita, der die Begegnung des Franziskus mit den Schwestern von San Damiano und das dabei vollzogene Aschenritual schildert. Unter Aufnahme tiefenpsychologischer Einsichten deutet er das Geschehen als »ein Ritual, mit dem Franziskus den Schwestern alles sagt, was er noch sagen kann, um eine leibhafte Vergegenwärtigung, die in Franziskus selbst und in den Schwestern die tiefsten Emotionen hervorruft und hin- und herfließen läßt« (225). Kaspar Elm, Berlin, lenkt den Blick auf Agnes von Prag. Im Unterschied zu Klara, die unvermittelt der Armutsbewegung beitrat, habe sie »geistige Wurzeln, die weiter zurückreichten, nämlich bis in das 12. Jahrhundert, in die Zeit der Apostolischen Wanderprediger, der Vallumbrosaner, Kamaldulenser und Kartäuser, der Reformorden der Zisterzienser und Prämonstratenser und einer sich rückhaltlos in den Dienst Gottes und der Nächsten stellenden Frauenfrömmigkeit« (249).
Einen letzten Themenkreis bilden kunstgeschichtliche Fragen. Klaus Krüger, Berlin, schreibt in Weiterführung seiner Untersuchung des Bildkults des Franziskus in Italien (1992) über die Tafelmalerei als Teil der Rezeptions- und Deutungsgeschichte. An der Darstellung der Stigmata werde deutlich, dass »die im Bildnis beanspruchte Wahrheit von Präsenz und authentischer Vergegenwärtigung die Darstellungen des Heiligen nachgerade zu Beweisbildern« werden ließ (258). In der Mitte des 13. Jh.s treten Bilder in den Vordergrund, welche die »Christusgleichheit« des Franziskus zeigen und damit auf den »Legitimationsdruck« reagieren, »unter dem nicht nur der Kult des neuen Heiligen stand, sondern auch der junge Orden selbst, der jenseits und gegen die kirchliche Hierarchie begonnen hatte« (265). Wolfgang Schenkluhn, Halle-Wittenberg, resümiert den Forschungsstand zur Baugeschichte der »Doppelkirche San Francesco in Assisi«. Während man bisher von den stilistischen Unterschieden zwischen (gotisch geprägter) Oberkirche und (romanisch geprägter) Unterkirche ausging, vertritt der Vf. die These, dass sich die Existenz zweier Doppelkirchenpläne nicht verifizieren lasse: »Es gab nur einen Plan« (277). Bauherr und Auftraggeber der Kirche sei Gregor IX. gewesen, der – zugleich mit der Heiligsprechung und der Abfassung der Vita – die Verbreitung des Franziskuskultes habe sicherstellen wollen.