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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

640–642

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Borgman, Paul

Titel/Untertitel:

The Way According to Luke. Hearing the Whole Story of Luke-Acts.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XII, 404 S. gr.8°. Kart. US$ 21,00. ISBN 978-0-8028-2936-8.

Rezensent:

Joachim Jeska

Zum Hören möchte er anleiten, weil das lukanische Doppelwerk zum einen selbst auf orale Traditionen zurückgehe, zum anderen ursprünglich zumeist vorgelesen worden sei. B., Professor für An­glistik am Gordon College in Wenham/Massachusetts, wählt dafür den Weg der narrativen Exegese, die beinahe ohne diachrone Analysen auskommt. In seiner Einführung (1–15) konstatiert er die Probleme heutiger Rezipienten der lukanischen Schriften und damit seine eigene Motivation: Zum besseren Verständnis dürfe der Text des Lukas in Evangelium und Apg eigentlich nicht gelesen, sondern müsse gehört werden, und zwar in seinem Gesamtzusammenhang, nicht zerlegt in einzelne Teiltexte. Dabei hat B. als Adressaten seines gut lesbaren, weil klar strukturierten Werkes Exegeten ebenso im Blick wie Studierende und interessierte Laien. Letztere werden wohl auch kaum die Auseinandersetzung mit anderen wissenschaftlichen Autoren und Ansätzen vermissen, Erstere schon. So fehlt überhaupt eine Einordnung in die Forschungsgeschichte bzw. eine Verortung des Werkes im Konzert der synchronen Lukas-Exegesen, und die Anmerkungen beschränken sich zumeist auf biblische Stellenhinweise.
Es ist evident, dass, wer das lukanische Gesamtwerk in einem Buch nachzeichnen möchte, keine ausführlichen Einzelexegesen liefern kann – B. skizziert die groß angelegten Erzählfäden und untersucht die ihm wesentlich erscheinenden Stellen sowie Themen. Dabei schafft er mit knappen kursiv gesetzten Passagen am Beginn und Ende der einzelnen Abschnitte leserfreundliche Überleitungen. Auch bündelt er seine Ergebnisse stets in präzisen Zusammenfassungen.
Über die Thematik des »Weges« (allerdings nicht im geographischen oder biographischen Sinn) versucht B. das lukanische Doppelwerk insgesamt zu erschließen, bezeichnet deshalb bereits den ersten Teil seiner Arbeit über Lk 1,1–9,50 (17–74) als die narrativen Vorbereitungen des Weges. So wie er in Maria eine beispielhafte Person für das Ansinnen des Lukas erkennt, so zeigt er an verschiedenen Stellen auf, dass der auctor ad Theophilum ein sehr gut komponierender Verfasser und brillanter Schriftsteller ist. Maria ist insofern Typos, als sie Gottes Wort aufmerksam »hört« und schließlich danach handelt (23–25), also Gehorsam erweist – so ist sie auf dem Weg. Zwölf vorbereitende poetische Stücke (»clustered poems«) macht B. im ersten Teil des LkEv aus, rechnet dazu Lk 1,46–55 und 1,67–79, aber etwa auch 4,18–19 und 6,20–49. Inhaltlich fokussierten all diese Texte den Frieden, den Jesus als umfassende »shalom-Gerechtigkeit« bringe (28). Indem Lukas freilich diese positiven Aspekte in den Mittelpunkt stelle, thematisiere er auch die gegnerischen Mächte (Satan, Dämonen, Finsternis; 54–74) und zeige somit, wie wichtig der Kampf um das Gerechte sei, was wiederum verdeutliche, warum eine große Abhandlung über das zu Lehrende im Evangelium notwendig sei (72).
Folgerichtig erkennt B. in Lk 9,51–19,44 einen Abschnitt über die zu lehrenden Prinzipien (75–214) des Weges und zeigt dabei auf, dass Lukas über die gesamte Länge dieser elf Kapitel eine wohldurchdachte Ringkomposition ersonnen habe, deren Zentrum Lk 13,23–30 sei (s. Gliederungsübersicht [78]). Dabei ist allerdings kritisch zu fragen, inwiefern einem »Hörer« des LkEv eine solche weit gespannte Komposition erschließbar ist. Ist es möglich, derart fernstehende »Echos« wirklich noch ihrem Prätext zuordnen zu können? Zumal die von B. herausgearbeiteten Themen durchaus nicht an allen Stellen so evident sind, wie er meint, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass er jeweils mehrere Perikopen inhaltlich bündeln möchte. So entsprächen sich s. E. thematisch etwa Lk 9,51–10,24 und 18,35–19,44 darin, dass sie den Frieden fokussierten (77–96), sowie Lk 10,25–42 und 18,15–34 darin, dass es um das ewige Leben gehe (97–110). Als weitere Themen des lukanischen Reiseberichtes arbeitet B. das Gebet, die Frage nach Zeichen und Status, Armut und Reichtum, Verzicht auf Besitz, Privilegien, Familie und alte religiöse Bindungen heraus (111–202). Der Reisebericht ist für ihn insofern ein Weg, als er die Geschichte der Reise in das Reich Gottes sei, die geographischen Angaben seien demgegenüber peripher. Immerhin erzeuge Lukas dadurch eine dramatische Spannung zwischen dem Gottesreich und Jerusalem – das erweise nicht zuletzt das »bull’s eye« der Ringkomposition, die Perikope von der engen Pforte und der verschlossenen Tür (203–214). Für B. schlägt hier das Herz der lukanischen Theologie, weit weniger Beachtung schenkt er dem Aufenthalt Jesu in Jerusalem und der Passionsgeschichte (Lk 19,45–24,53), ein Abschnitt, den er als den Erweis des Weges bezeichnet (215–246).
Im vierten Teil seiner Arbeit widmet sich B. der Apg, die den sich weitenden Weg im Fokus habe (247–372). Während das LkEv die Themen des Weges vorstelle und entwickele, setze das zweite Opus des Lukas keinen so starken Akzent mehr auf die Lehrinhalte, greife vielmehr auf Jesu Lehre zurück und skizziere deren Folgen (263). Einem ersten Kapitel über die Doppelung des Himmelfahrtsberichtes (249–263) folgen sieben Kapitel über die 19 durchstrukturierten Reden der Apg. In ihnen schlägt B. zufolge das Herz des Autors, was dazu führt, dass die narrativen Passagen sowie die geographischen Notizen und Fortschritte nur sehr am Rande erörtert werden. Ob das für ein Werk mit einem programmatischen Beginn wie Apg 1,8 angemessen ist, soll hier zumindest angefragt werden. B. zeigt die Prinzipien der Gliederung der Reden auf und erweist deren modellhafte Strukturen (vgl. auch die tabellarischen Übersichten z. B. 279.307.325). So folgten die ersten drei Reden des Petrus (Apg 2,14–39; 3,12–26; 4,8–12) dem Schema der letzten Rede Jesu in Lk 24,46–49, zentral seien Auferstehung, Umkehr und der Heilige Geist (264–279). Die Rede des Stephanus (Apg 7,2–53) markiere einen Wendepunkt in der Apg, insofern nun die Öffnung zu den Heiden erfolge und der Weg sich tatsächlich weite (280–292), zumal Petrus ihn freimache (293–308).
Der Paulus-Teil lasse in den zwei Reden Apg 13,16–41; 28,25–28 eine Rahmung erkennen. Während die erste paradigmatisch in Bezug auf die Israelthematik sei, zeige die letzte durch ihren »bittersweet« Akzent die Diskrepanz dieser Frage auf – die einen werden gerettet, andere sind verloren (323). Immerhin gehe es insgesamt darum, dass der Friede durch Israel zu den Völkern gelange (324). Das »Evangelium« nach Paulus, besonders erkennbar in den Reden Apg 17,22–31; 20,18–35, sei dadurch gekennzeichnet, dass Sündenvergebung und Opfertod nicht erschienen, vielmehr das System des stellvertretenden Opfers ersetzt sei durch ein neues System: Jeder »Weggefährte« trage die Konsequenzen des falschen Handelns anderer Menschen, indem er für andere Gutes tue und den Außenstehenden Frieden bringe (326–339). Von den drei Verteidigungsreden des Paulus in Apg 22; 24 und 26 biete die letzte einen hervorragenden Überblick über die paulinische Theologie in der Sicht des Lukas (340–354). Die dreifache Erwähnung des Bekehrungserlebnisses in Apg 9; 22 und 26 schließlich zeige die hohe Bedeutung des Umkehrthemas in Form der Abwendung von der Dunkelheit und der Hinwendung zum Licht (355–372).
B. fasst sein Werk zusammen, indem er darauf aufmerksam macht, dass Apg 16,30 f. die gesamte Botschaft des Lukas in nuce enthalte (373 f.). Anhand von neun Schlüsselbegriffen resümiert er letztlich die lukanische Theologie, deren Zentrum die Verkündigung des Friedens durch Jesus Christus und die Annahme sowie Weitergabe dieses Friedens durch Menschen ist, die Gottes Wort hören und im Gehorsam darauf handeln. Das macht den von Lukas skizzierten Weg aus (374–391).
Damit legt B. eine Interpretation des lukanischen Doppelwerkes vor, deren »Weg«-Metapher den Rezipienten auf eine unerwartete Fährte lockt. Es ist sein Verdienst, von der lukanischen Konzeption des Hörens des Wortes Gottes her zu einer auditiven Lektüre von LkEv und Apg anzuregen; allerdings sollte zumindest problematisiert werden, inwiefern ein Hörer die von B. herausgearbeiteten Details der lukanischen Komposition zu erfassen in der Lage ist.