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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

639 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Thomas

Titel/Untertitel:

Gottes Herrschaft. Eine Analyse der Denkschrift (Jes 6,1–9,6).

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. XIII, 340 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 108. Lw. EUR 125,00. ISBN 90-04-14912-0.

Rezensent:

Peter Höffken

Diese Dissertation wurde geschrieben unter Anleitung von S. Kreuzer, 2003 bei der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommen und für den Druck neu überarbeitet. Sie widmet sich einer Analyse der sog. Denkschrift Jesajas unter dem systematischen Aspekt der Erfassung dessen, was sie zum Thema Herrschaft Gottes zu sagen hat. Dies vollzieht sich so, dass W. zwischen dem zu Grunde liegenden Dokument der Denkschrift und späteren Ergänzungen und Redaktionen unterscheiden will und dann jeweils nach den Erträgen für das Thema Herrschaft Gottes fahndet. Dabei findet eine grundlegendere Reflexion über den Begriff einer Denkschrift kaum statt, was etwas schade ist. Denn dieser Begriff für eine bestimmte prophetentextliche Makrostruktur klingt mittlerweile doch etwas obsolet. Zumindest wäre er m. E., wenn man ihn noch verwendet, in Anführungszeichen zu setzen. Bei W. finden wir eine Art Minimaldefinition, der zufolge es »Denkschrift« mit »Gedenken an (und nicht des) Propheten« zu tun hat, also mehr als eine reine Wortsammlung meinen muss (vgl. 199 f., Anm. 230). Insofern ist Jes 6 für eine »Denkschrift« essentiell.
Im Einzelnen: Nach einem Forschungsbericht zum Doppelthema Gottes Herrschaft und »Denkschrift«, einsetzend mit C. Budde 1926 (Kapitel 1; 1–41), kommt es zu einer Übersetzung des Textes von Jes 6,1–9,6, wobei sich drei größere Einheiten 6,1–13; 7,1–8,15 und 8,16–9,6 ergeben. Das Ringen um diese Textgrundlage ist gebührend zu würdigen. Eine Gliederung des Textes schließt sich an, eine sehr kleinschrittige Inhaltsangabe zu den jeweiligen Textpartien. Diese Textgrundlage wird anschließend auf die Problematik von möglicher Grundschrift und Erweiterungen hin überprüft, und die im Einzelnen sehr heterogenen Erweiterungen werden herausgestellt (Kapitel 2; 43–86). Die drei Grundtexte, die im An­schluss abschnittsweise analysiert werden, sind in der Zeit der Herkunft zwar vorexilisch, werden aber erst (nach)exilisch miteinander verbunden (vgl. 83). Für die Aufteilung in Grundschicht und Erweiterungen erweist sich die Differenz von Heils- und Unheilswort als sehr hilfreich.
Die Grundschicht von Jes 6 wird in Kapitel 3 (87–124) ausführlich analysiert, vor allem unter der Frage nach für die Thematik Herrschaft Gottes ergiebigen Motiven. W. votiert hier mit der Mehrzahl neuerer Autoren für den Charakter von Kapitel 6 als Beauftragungsvision. Entsprechendes geschieht mit Kapitel 7,1–8,15 (Kapitel 4; 125–205). Dabei fällt auf, dass 8,11–15 ziemlich zurücktritt. Kapitel 7,2–17* gilt als vordeuteronomistischer Text, der durch 7,1 allererst sekundär mit 2Kön 16,5 in Einklang gebracht wird. Mit der Analyse der Grundschicht Jes 9,1–6 wird dieser Teil der Arbeit abgeschlossen (Kapitel 5; 207–246).
Die Grundschichten werden recht unterschiedlich datiert: während 9,1–6 die Hiskia-Zeit (und Hiskia als kommenden Heilsherrscher) meint, vgl. 242 f., und 7,2–8,15 sich zeitnah auf den syrisch-ephraimitischen Krieg einlässt, wird Kapitel 6 mit der Manassezeit verbunden (vgl. besonders 118–122). Das führt grundsätzlich zu einer recht konservativen Datierung. Eine Fülle von religionsgeschichtlichen Zeugnissen wird in den jeweiligen Kontexten verarbeitet, um die theologische Denkspur der Texte freilegen zu können hin auf die unterschiedlichen Nuancierungen des Themas »Herrschaft Gottes«. Besonders zu erwähnen sind zwei Exkurse: zu Jes 9,7–20 (178–190) und zur Jerusalemer Sedeq-Tradition (208–212). Eigentlich müsste man hier die Ausführungen zu Jes 11,1–5 als weiteren Exkurs hinzunehmen, dessen Vergleich mit 9,1–6 das Profil dieses Textes schärfen soll (vgl. 234 ff.).
Mit Kapitel 6 (247–290) betreten wir den Bereich der Erweiterungen der Grundtexte. W. stellt auf der einen Seite diese Erweiterungen in einen thematischen Zusammenhang (Unheils-, Heilsansagen, Immanuelerweiterungen, historisierende Bearbeitung, endlich der mit 8,16 f. einsetzende und bis zu 8,23 führende literarische Abschluss der »Denkschrift« in Richtung auf 9,1–6 hin). Auf der anderen Seite werden die Erweiterungen abschließend versuchsweise in einen geschichtlichen Erklärungszusammenhang ge­stellt. Es fällt hier auf, dass literarische Positionierungen der Texte nicht immer gebührend beachtet werden. So schiene mir die In­terpretation von 7,21 f. als volltönendes Heilswort erheblich adäquater, wenn dieser Text als Aufhebung von 7,25 (und was an Kulturlandkatastrophe vorausgeht) nach 7,25 stünde. So würde man vielleicht doch zur Interpretation von 7,21 f. im Kontext auf andere Denkfiguren kommen müssen (z. B. Heil im Unheil), als W. sie verwendet. Dieser Einwand gilt sicherlich auch anderswo: Wenn man 8,1–4 als Heilswort abbucht, was ja weithin geschieht, muss man hinzufügen, dass es sich um Heil für Assyrien handelt (sofern die Rede von »Beute« als Heilserfahrung bestimmbar ist, vgl. 9,2). Dass es sich dagegen um Heil für Juda handele, ist weniger wahrscheinlich, es sei denn, Davongekommensein ist als Heil zu bestimmen. Hier liegt noch ein weites Feld der Überprüfung der gängigen Kategorien.
Kapitel 7 (291–300) fasst die Ergebnisse der Arbeit knapp und gut zusammen. Der Leser findet auf S. 294 ein sehr schönes Schema zum literarischen Bildungsprozess der »Denkschrift« vom 8. Jh. bis in die erste Hälfte des 5. Jh.s hinein, was den Ertrag der Arbeit transparent macht. Bibliographie (301–323), Stellen- (325–332) und Schlagwortregister (333–340) beschließen das Werk.
Die Arbeit bleibt insgesamt gesehen bei ihren Bemühungen, Grundtexte und Erweiterungen zu unterscheiden, viel zu textintern. Beim heutigen Stand der Exegese wäre zu wünschen, dass man die Basis der Argumentation etwas verbreitert. Dazu gehörte dann die Beachtung vergleichbarer Phänomene in prophetischer und anderer Literatur: Dass – nur ein Beispiel – in Kapitel 6,12 we­gen des Sprecherwechsels (von Jahwe über Jahwe) mit Nichtkohärenz zu rechnen sei (also mit V. 12 ein Zusatz beginne), müsste dann doch auf breiterer Basis diskutiert werden. Und das gilt für andere Argumente wohl auch.