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Ausgabe:

Juni/2007

Spalte:

634–636

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kunz-Lübcke, Andreas, u. Rüdiger Lux [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Schaffe mir Kinder …«. Beiträge zur Kindheit im alten Israel und in seinen Nachbarkulturen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 263 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 21. Geb. EUR 54,00. ISBN 3-374-02384-3.

Rezensent:

Joachim Conrad

Der Sammelband enthält die Druckfassung der Referate, die bei einer dem Thema des Buchtitels gewidmeten Tagung der »Alttestamentlichen Arbeitsgemeinschaft« (ATAG) im Herbst 2004 in Leipzig gehalten wurden, wobei mit dieser Tagung zugleich das »Startsignal« für die Arbeit an einem von der DFG geförderten Forschungsprojekt »Das Kind in Israel in alttestamentlicher Zeit« ge­geben werden sollte (5).
In einem ersten einführenden Teil betonen zunächst die Herausgeber (Das »Kind« in der alttestamentlichen Wissenschaft. Skizzen zu einem Desiderat der Forschung, 11–17), dass es berechtigt und notwendig ist, die Rolle des Kindes in Altisrael und im Alten Testament genauer zu erforschen, und dies freilich eine differenzierte Methodik und auch die Einbeziehung der Nachbarkulturen einschließlich Griechenlands erfordert. In dem folgenden Grundsatzreferat macht D. Hoof (Das Evidenzproblem in der althisto­rischen Kindheitsforschung, 19–43) vor allem deutlich, dass die Beurteilung der Kindheit vom jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld abhängig ist (»Eine kindliche Wirklichkeit ›an sich‹ ist nicht bestimmbar«, 21), sich die Kindheitsforschung also vor sehr komplexe Probleme gestellt sieht, wobei noch hinzukommt, dass es bei den antiken Gesellschaften oft schwierig ist, aus den verfügbaren Schriftzeugnissen und archäologischen Befunden sichere Schlüsse auf die reale Lebenswelt der damaligen Kinder zu ziehen. Bei seinen Überlegungen spielt auch das Kinderopfer, das er für den phönikischen und punischen Bereich wie für Israel als gegeben annimmt, eine wichtige Rolle.
In einem zweiten Teil, der den umliegenden Kulturen gewidmet ist, erörtert zunächst K. Volk (Von Findel-, Waisen-, verkauften und deportierten Kindern. Notizen aus Babylonien und Assyrien, 47–87) speziell die Problematik von Kindern in gefährdeten Positionen und Situationen in Mesopotamien und zieht dabei vorrangig die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsurkunden heran. In einem Beitrag zu Ägypten setzt E. Feucht, die sich bereits durch eine entsprechende Monographie ausgewiesen hat (Das Kind im Alten Ägypten, 1995), die Schwerpunkte auf Arbeiten und berufliche Tätigkeiten, zu denen vor allem Kinder aus niederen sozialen Verhältnissen herangezogen wurden, und auf die Ausbildung zum Beamten (Kinderarbeit und Erziehung im Alten Ägypten, 89–117). Bei der Behandlung der griechisch-römischen Kultur geht es J. N. Neumann (Kindheit in der griechisch-römischen Antike. Entwick­lung – Erziehung – Erwartung, 119–133) hauptsächlich um die Vorstellungen von Zeugung, Geburt und Schwangerschaft und dabei besonders um den Umgang mit missgebildeten Kindern und die Theorien, die für deren Entstehung vorgebracht wurden. Sieht man von den Ausführungen über die Missbildungen ab, so fällt auf, dass der Vf. überwiegend Belege aus dem biblischen Schrifttum heranzieht, also offenbar keine nennenswerten Unterschiede zu den Vorstellungen in Israel und im Urchristentum sieht, wie er das bei der Erörterung von Altersstufen auch ausdrücklich vermerkt (119).
In einem dritten Teil, in dem es nun um Israel geht, behandelt A. Michel die Problematik gewaltsamen Vorgehens gegen Kinder (Gewalt gegen Kinder im alten Israel. Eine sozialgeschichtliche Perspektive, 137–163) und stützt sich hierbei auf die Ergebnisse seiner Habilitationsschrift (Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament, 2003), berücksichtigt jedoch stärker als dort den sozialgeschichtlichen Aspekt und zieht inzwischen erschienene Literatur, insbesondere zum Kinderopfer, heran. Mit dem Übergang von der Jugend zum Erwachsensein befasst sich A. Kunz-Lübcke (Wahrnehmung von Adoleszenz in der Hebräischen Bibel und in den Nachbarkulturen Israels, 166–195), wobei er bei den biblischen Gestalten, von denen er David und Samuel ausführlicher behandelt, von der Endfassung der Texte und deren Komposition ausgeht und daraus seine Schlüsse zieht. R. Lux (Die Kinder auf der Gasse. Ein Kindheitsmotiv in der prophetischen Gerichts- und Heilsverkündigung, 197–221) thematisiert das Motiv des gewaltsamen Todes oder des ungestörten Lebens von Kindern als signifikantes Merkmal einer schweren Katastrophe bzw. vollendeten Heils. Im letzten Beitrag führt O. Kaiser (Erziehung und Bildung in der Weisheit des Jesus Sirach, 223–251) souverän in die Zeitumstände und die durch sie geprägten Maximen und Methoden dieses späten Weisheitslehrers ein. Den Abschluss des Bandes bilden Register von Autoren, Bibelstellen und Sachen (252–263).
Insgesamt bietet der Band aufschlussreiche und vielseitige Einblicke in die Kindheitsforschung in den behandelten Bereichen. Er zeigt zugleich, dass interdisziplinäre Arbeit unabdingbar ist, um der Problematik eines so komplexen Themas gerecht zu werden. Er zeigt freilich auch, dass es angesichts der verfügbaren Zeugnisse nicht leicht ist, die Kindheit als eine eigene Lebensphase genauer zu erfassen, zumal offenbleibt, wieweit sie nach damaligen Vorstellungen in die postpubertäre Zeit hineinreicht und wann man einen Menschen als erwachsen erachtete, wobei natürlich zeitbedingte und soziokulturelle Unterschiede vorauszusetzen sind. Jedenfalls für das alte Israel sind die Informationen doch sehr lücken­haft und in vielem auch nicht eindeutig. Gleichwohl ist es berechtigt und nötig, den vorhandenen Zeugnissen genauer nachzugehen und das, was sie zum Verständnis des Kindes beitragen, gebührend zur Geltung zu bringen. Mit dem Band ist ein wichtiger Impuls für die weitere Forschung gegeben. Dafür ist den Herausgebern und allen Autoren sehr zu danken.