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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

602–604

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Koschorke, Klaus [Ed.]

Titel/Untertitel:

African Identities and World Christianity in the Twentieth Century. Proceedings of the Third International Munich-Freising Conference on the History of Christianity in the Non-Western World (September 15–17, 2004). Ed. in cooperation with J. H. Schjørring.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2005. 284 S. gr.8° = Studien zur Außereuropäischen Chris­tentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika). Studies in the History of the Non-Western World, 10. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-447-05331-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

In einem klugen Beitrag des Bandes geht der Historiker H. Lehmann dem sich wandelnden Bild von afrikanischem Christentum in der Religion in Geschichte und Gegenwart von der ersten bis zur vierten Auflage und dazu in der Theologischen Realenzyklopädie von 1977 nach. Er findet einigen Erkenntnisfortschritt, vor allem aber einen gravierenden Mangel: Es fehle auch in den neuesten protestantischen Enzyklopädien der Blick auf den »Schaden, der durch europäische und christliche Intervention dem afrikanischen religiösen Leben angetan wurde«. Vorurteil und Paternalismus statt Solidarität und Mitgefühl seien noch nicht überwunden, dies sei erst von zukünftigen Lexika zu erhoffen. Lehmann spricht aus, was die anderen Beiträge stillschweigend voraussetzen: wo bei uns dem geschichtlichen Wissen von Afrika nachgeholfen werden soll und gegen welche alte, noch nicht entmachtete Front afrikanische Identitäten sich finden müssen. Die Perspektive des Tagungsbandes mit 16 Beiträgen ist die der Historiker des Weltchristentums, nicht die der beschränkten Afrika-, Religions- oder Missionswissenschaft, was den Horizont öffnet, aber auch zu anfechtbaren Urteilen im Einzelnen führt.
Ein erster Themenblock handelt von der Dynamik religiöser Bewegungen und Kirchen in Afrika. Der Nigerianer O. Kalu gibt einen einfühlenden Gesamtüberblick über Revival-Bewegungen im christlichen Afrika vom frühen Äthiopianismus bis zu der jüngs­ten charismatischen Welle seit 1970: Dies alles ist Afrikas eigene, besondere Antwort auf das Evangelium. K. Ward zeigt in Nigeria, Uganda und Kenia die Anpassungsfähigkeit anglikanischer Kirchen und zugleich den Einfluss der afrikanischen Kirchen auf strittige Fragen des Anglikanismus weltweit. K. Anderson geht dem Zusammenhang von weltweiter Pfingstbewegung und afrikanischen unabhängigen Kirchen nach: Charismatisch sind sie beide, der Unterschied zwischen ihnen geht nicht in die Tiefe, wenn man Sonderfälle wie die Kimbanguisten mit ihrer eigenartigen Lehrentwicklung beiseite lässt.
Der zweite Block handelt von Afrikanischer Theologie. E. Kamp­hausen zeichnet gründlich und engagiert deren Entstehung, ihr Verhältnis zur Ecumenical Association of Third World Theologians (EATWOT) und ihre Wandlung von der Kultur- zur Befreiungs­theo­logie bei J.-M. Ela nach. Wo er stehen bleibt, führt Amélé Ekué aus Togo zum jüngsten Paradigma der Theologie der Rekonstruktion weiter, das sie wesentlich am Werk des Kongolesen Kä Mana festmacht: Der Blick ist frankophon, Englischsprachiges wie insbesondere J. N. K. Mugambi, kommt nicht zur Sprache. K. Hock fragt mehr panoramisch, fast impressionistisch nach der gesuchten und gefundenen Unmittelbarkeit in Afrikanischer Theologie: Was Afrikaner jetzt aus ihrer Bibel herauslesen, hat Vorrang vor historisch-kritischer Sinnrekonstruktion.
Drei weitere Beiträge handeln von der Wirkung des übersetzten Alten Testaments im Streit um die Polygamie, die in den unabhängigen Kirchen in Malawi gestattet ist (A. Herman), vom magischen und umdeutenden Gebrauch des Bibelbuchs in Madagaskar (K. Holter auf Grund von G. Razafindrakotos Feldforschung) und, ebenfalls von Holter, von allen von 1967 bis 2000 von Afrikanern geschriebenen 87 alttestamentlichen Doktorarbeiten: Ein Anfang ist gemacht, aber das innerafrikanische Gespräch über das Alte Testament muss erst noch beginnen.
Von europäischer Mission und Missionaren in Afrika handelt ein weiterer Block: von der Verkennung und Unterschätzung afrikanischer Religion bei der Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh B. Stanley; von der ungleichen und ungerechten Behandlung schriftloser afrikanischer Religion verglichen mit dem in vielem verwandten Hinduismus durch Missionare und Religionswissenschaft E. Chitando aus Zimbabwe; und vom insgesamt eher positiven Beitrag der schwedischen Missionare zur politischen Unabhängigkeit seines Landes von Äthiopien der Eriträer E. Gebremedhin.
Ein letzter thematischer Block bringt Afrika mit anderen Kontinenten in Verbindung. H. Lehmann blickt kritisch auf deutsch-protestantische Ansichten des afrikanischen Christentums. A. Adogame aus Ghana handelt fundiert und umfassend von afrikanischen Kirchen in Europa heute und den wirksamen Antworten, die sie den Migranten auf ihre Identitätskrise geben. K. Koschorke schließlich zeigt exemplarisch, wie die Geschichte des »Weltchris­tentums« im Vergleich asiatischer mit afrikanischen kirchlichen Entwicklungen neue Themen in Parallele und Kontrast eröffnet.
Afrikanisches Christentum im 20. Jh. erscheint insgesamt als eines, das seine Identität nur in der Absetzung vom Vorurteil und Paternalismus derer artikulieren kann, die das Christentum nach Schwarzafrika brachten, das heißt, der christlichen Mission des Westens in ihrer kolonialen Verstrickung. Doch in eben dieser Perspektive fallen zwei Disproportionen an dem Band auf. Zum einen stehen fünf Beiträgen von Afrikanern elf von Europäern gegenüber; sie sind in vier der fünf thematischen Blöcke jeweils die Mehrheit und formulieren insgesamt schärfer als die Afrikaner selbst, wovon diese sich zu befreien haben. Das muss kein neuer Paternalismus sein, weist aber auf ein auch in der Wissenschaft fortbestehendes personelles Problem hin. Die andere inhaltliche Disproportion ist in der Mehrheit der Beiträge der einseitige Blick auf die Pfingstler und die Unabhängigen, African Instituted Churches, denen Ko­schorke auf S. 9 den Hauptanteil am explosiven Wachstum des Christentums in Afrika im 20. Jh. zuspricht. So ist es aber, von Ausnahmen abgesehen, im gesamten Schwarzafrika nicht: Die Unabhängigen und Pfingstler sind weniger als Katholiken und »main­line«-Protestanten zusammengenommen, aus welchen sie sich ihrerseits fast ausschließlich rekrutieren. Die Gewinne der neuen sind die Verluste der alten Kirchen. Von den Altgläubigen haben sie wenig Zulauf; deren Evangelisation obliegt weiterhin den alten Missions-Großkirchen.
Innerchristliche Migration hin zu Unabhängigen und Pfingstlern ist gewiss ein spannendes Thema von eigenem Interesse und hat viel mit African identities zu tun – sie sollte aber nicht unbedacht mit dem »Wachstum« des Christentums in Afrika in eins gesetzt werden.