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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

601 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsens- zum Differenzmodell.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 266 S. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 3-525-60420-3.

Rezensent:

Wolfgang Thönissen

Dass sich die Konsensökumene in einer Sackgasse befinde, pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern. Freilich sind die Krisensymptome einer so genannten Konsensökumene auch nicht zu übersehen. Sind mangelnde Rezeption der Konsensdokumente in den Kirchen schuld an der ausbleibenden Einigung der Kirchen, ist es das Festhalten an überkommenen konfessionellen Positionen oder sind es schließlich überzogene Erwartungen, welche die Konsenstexte nicht einlösen konnten?
In der ökumenischen Bewegung und insbesondere in der ökumenischen Theologie, so die Hauptthese des Buches, bereitet sich ein Paradigmenwechsel vor, nämlich von der Konsens- zur Differenzökumene. Wenn es auch zur Ökumene der Kirchen keine Alternative gibt, so muss das Konzept der sichtbaren Einheit der Kirchen aufgegeben werden. Nicht mehr ein undialektischer Begriff von Einheit hilft weiter, sondern nur noch ein theologischer Begriff von Differenz. Wollte man den Begriff der Einheit der Kirche überhaupt noch verwenden, so nur unter der systemtheoretischen Voraussetzung einer Einheit als unaufhebbarer Differenz. Solche Einheit kann dann nur noch als eine paradoxale bezeichnet werden. Dazu bedarf es einer ökumenischen Hermeneutik, die das Wesen der Differenzökumene verständlich macht. Sie trägt zur Grundeinstellung des konfessionellen Respekts bei.
Der Vf. geht seiner These anhand von fünf verschiedenen Fragestellungen nach. Er greift dabei auf zum Teil bereits veröffentlichte Beiträge zurück, die er hier teilweise in einer überarbeiteten Fassung erneut vorlegt. Aus evangelischer Sicht besteht in der Frage des Schriftverständnisses nicht nur ein noch nicht hergestellter Konsens zwischen den verschiedenen konfessionellen Positionen, sondern ein theoretischer Gegensatz. Nach reformatorischer Auffassung ist die Kirche eine Schöpfung des Wortes Gottes, also ist die Kirche das Objekt des Wortes Gottes, nach katholischer Auffassung ist die Kirche geradezu umgekehrt das Subjekt der Schriftauslegung, weil die Schrift letztlich dem Urteil der Kirche untersteht. Die zweite Fragestellung, die sich der Vf. vornimmt, bezieht sich auf die Erfahrung von Differenz und Diversität. Damit ist die eigentliche hermeneutische Frage angesprochen. Man versteht allerdings ökumenische Hermeneutik dann falsch, wenn man sie zur Überwindung kirchlicher Spaltungen im Sinne der Konsensbildung instrumentalisiert. Richtig verstanden wird eine ökumenische Hermeneutik der Differenz erst dann, wenn sie ein kritisches Korrektiv der bisherigen Konsensökumene ist. Drittens wendet sich der Vf. der ethischen Frage im ökumenischen Kontext zu. Evangelische Ethik vermittelt eine ethische Grundorientierung, die keine material-ethischen Handlungsanweisungen enthält, katholische Tradition verficht nach wie vor eine naturrecht- liche Begründung von Moral, die aus ontologischen Wesensbestimmungen ethische Normen ableitet. Ebenso liegt viertens in der Frage des kirchlichen Amtes eine Grunddifferenz vor, weil evangelisches Amtsverständnis allein aus dem Prinzip des Priestertums aller Gläubigen heraus begründet wird. Dieses besitzt axiomatischen Rang für die evangelische Ämterlehre und steht deshalb im offenen Widerspruch zu einem katholischen Amtsverständnis. Weil fünftens sogar ein kollegial verstandenes Papstamt einer überzeugenden biblischen Grundlage entbehrt, lässt sich hier schon gar kein ökumenisches Gespräch mehr führen.
Die Lektüre dieses an manchen Stellen anregenden und lesbaren Buches lässt den Eindruck aufkommen, dass die bisherigen ökumenischen Dialoge die zu Grunde liegenden konfessionellen Differenzen in ihrer Bedeutung und Wirkung offenkundig übersehen haben. Diese Schlussfolgerung hat aber nur Bestand, wenn man sich vor Augen führt, dass man die vom Vf. gezeichnete katholische Position mit der der gegenwärtigen katholischen Theologie für übereinstimmend hält. Ich vermute allerdings, dass auch die von ihm vorgelegte evangelische Position auf erheblichen innerevangelischen Widerstand stoßen dürfte. Als katholischer Rezensent kann ich mich freilich dem Urteil des Vf.s nicht anschließen, weil ich in seiner Darlegung eine heute von der katholischen Theologie insgesamt vertretene Darstellung der jeweiligen Sachfragen nicht erkennen kann. Kein katholischer Theologe vertritt heute noch die Position, dass man aus einer naturrechtlich geprägten Wesensbestimmung ethische Urteile ableiten könne. Die katholische Kirche behauptet nicht die Überordnung des Lehramtes über das Wort Gottes. Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit der rezipierten These vom Priestertum aller Gläubigen der reformatorischen Kernthese die Tür geöffnet. Doch wenn, wie der Vf. richtig darlegt, die Konfessionalität des Christentums Ausdruck sündiger Trennung ist, also der Vergebung und Verwandlung bedarf, dann verstehe ich nicht, warum man eine Hermeneutik der Differenz braucht, die genau diese konfessionelle Situation auf beiden Seiten, aus welchen Gründen auch immer, festzuschreiben statt zu überwinden sucht, es sei denn, das Motiv hierfür liegt in der offenbar zur Lieblingsthese des Vf.s avancierten Überzeugung vom Pluralismus als Markenzeichen des Protestantismus. Das aber wäre dann ein Abschied von der Ökumene und ein theologischer Paradigmenwechsel ganz eigener Art.