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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

599–601

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hausammann, Susanne

Titel/Untertitel:

Wege und Irrwege zur kirchlichen Einheit im Licht der orthodoxen Tradition.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2005. 209 S. gr.8°. Geb. EUR 38,90. ISBN 3-89971-261-7.

Rezensent:

Heinz Ohme

Die hier veröffentlichten Aufsätze bezeichnet die Vfn. als »Nach­besinnung« zum 5. Band ihrer Geschichte der Alten Kirche (Der an­dere Weg der Orthodoxen Kirchen im Osten, Neukirchen-Vluyn 2005). Sie will hier »eine Antwort auf die Frage … finden, inwiefern die Andersartigkeit der ostkirchlichen Tradition die gegenwärtigen ökumenischen Bemühungen um die sichtbare Einheit der Christenheit positiv oder negativ zu beeinflussen vermag« (9). Die Aufsätze behandeln folgende Themen: (I.) »Wege oder Irrwege zur Einheit der Kirchen?« (11–21); (II.) »Humanismus in Byzanz – warum der Humanismus im orthodoxen Osten nicht auf die Dauer Fuß fassen konnte« (23–46); (III.) »Der humanistische Skeptizismus und seine Überwindung durch den Hesychasmus« (47–65); (IV.) »Zur hesychastischen Gebetspraxis in den orthodoxen Kirchen seit der Mitte des 14. Jhs.« (67–131); (V.) »Maria – Gottesgebärerin: Die Mariologie bei den griechischen Vätern und ihre Bedeutung für die orthodoxe Marienverehrung heute« (133–171); (VI.) »Sinn und Gefahr ›feministischer Theologie‹« (173–181); (VII.) »Tradition und Traditionen, Kirche und Kirchen« (183–198); (VIII.) »Die Grenzen der Kirche« (199–209).
Die Vfn. will dazu anregen, »daß die Frage über mögliche Wege und Irrwege zur kirchlichen Einheit auch unter Laien« diskutiert wird. Wohl auch deshalb verzichtet sie weitgehend auf die Auseinandersetzung mit kritischer Literatur zu den einzelnen Themenbereichen. In den Aufsätzen zu ökumenisch grundlegenden, in Dialogen breit diskutierten und in Konsenstexten dokumentierten Fragen (I., VII., VIII.) fehlt jeder Bezug oder Verweis darauf. Generell handelt es sich um eine von einer orthodoxen Autorin verfasste Darstellung orthodoxer Positionen, in der orthodoxe Verfasser und Quellen reichlich zu Wort kommen, die aber eine dialogische Auseinandersetzung mit anderen theologischen Positionen nicht wirklich sucht.
Gleichwohl – vielleicht auch deshalb? – vermag die Vfn. ihre Themen und Anliegen in einer flüssig lesbaren Sprache klar darzustellen ohne jede enthusiastische Idealisierung der Orthodoxie. Sie meldet vielmehr durchaus auch beträchtliche Kritik an einzelnen orthodoxen Traditionen an (z. B. gegenüber Irrwegen der orthodoxen Marienfrömmigkeit [163 ff.169], judenfeindlichen liturgischen Texten [206] und Traditionen, die »Frauen … ein permanentes Ge­fühl der Minderwertigkeit« vermitteln [178]).
Der Schwerpunkt der behandelten Themen liegt schon um­fangmäßig (110 Seiten) auf der Darstellung der Auseinandersetzung mit Humanismus und Skeptizismus in Byzanz und deren Überwindung durch den Hesychasmus und die Theologie des Gregorios Palamas (II.–IV.). Diese formuliere als Grundtatsache des orthodoxen Christentums, dass es nicht nur einen beschränkten Zugang zur Wahrheit gibt, sondern dass unmittelbare Gotteserkenntnis als »Erfahrung« und »Erlebnis« möglich ist. Die Vfn. sieht hierin »eine weit gewichtigere Lehrdifferenz …, als … das ›Filioque‹« (63) und resümiert: »Es gibt daher keine orthodoxe Kirche ohne ›Palamismus‹« (64.) Man lese dazu auch das hervorragend geschriebene Kapitel 5 im oben genannten 5. Band ihrer Kirchengeschichte (230–264). Diese Darstellung der hesychastischen Theologie macht durchaus nachdenklich. Ohne Einschränkung muss man der Vfn. zustimmen, dass eine »wissenschaftliche Werkausgabe« mit der deutschen Übersetzung der Werke des Gregorios Palamas ein dringendes theologisches Desiderat darstellt.
Die Aufsätze zu ökumenischen Grundsatzfragen wollen Verständnis wecken »für die Zurückhaltung der Orthodoxen gegen­über einem Weg zur kirchlichen Einheit, der Kompromisse hinsichtlich der eigenen theologischen Tradition und Glaubenspraxis abverlangt« (9). Zu diesen Kompromissen rechnet die Vfn. z. B. auch die Leuenberger Konkordie, die gezeigt habe, dass »die so erreichte kirchliche ›Einheit‹ letztlich nicht die Einheit ist, die als Ziel des christlichen Einheitsstrebens ersehnt wird« (15).
Als Hauptgrund nennt die Vfn.: »Der durch Kompromisse erarbeitete Konsens unter Kirchen bleibt meist im Formalen der Kirchenorganisation stecken und ändert … wenig am Leben der betroffenen Gemeinden« (16). Die anzustrebende Einheit sei vielmehr »nicht die Einheit einer Organisation«, auch »nicht die Einheit unter einer Hierarchie«, denn »Hierarchien … garantieren … keineswegs die kirchliche Integrität und Einheit« (16). Diese sei vielmehr zuerst »Frucht des Einswerdens mit Gott«, sie »kann also von Menschen gar nicht hergestellt werden«, sondern »setzt die Neuwerdung des Menschen voraus« und ist uns eigentlich bereits »vorgegeben« (16–19). »Mögen also die verschiedenen Konfessionen auf getrennten Wegen zur Einheit mit Gott gelangen« (20). Der einzige Weg zur Einheit sei schließlich die »Bitte um den Heiligen Geist« (21).
Man wird der Vfn. darin zustimmen können, dass kirchliche Einheitskonzeptionen, die für das konkrete kirchliche Leben keine Veränderungen zur Folge haben, obsolet sind. Soll man ihr vorwerfen, dass sie deshalb den theologischen Bemühungen um die Einheit der Kirche wenig Bedeutung zumisst? Andere tun dasselbe und reden von »Ökumene der Profile«.
Insgesamt halte ich diesen Aufsatzband zusammen mit dem 5.Band der Kirchengeschichte der Vfn. für einen bedeutenden Fortschritt in der Selbstdarstellung der deutschsprachigen Orthodoxie, präsentierte sich diese doch bislang überwiegend mit der Übersetzung von Werken, die in anderen sprachlichen und kulturellen Kontexten entstanden waren und auch in der deutschen Übersetzung diese Schranken nicht zu überwinden vermochten. Der Vfn. gelingt dies.