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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

590 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wieckowski, Alexander

Titel/Untertitel:

Evangelische Beichtstühle in Sachsen.

Verlag:

Beucha: Sax-Verlag 2005. 151 S. m. zahlr. Abb. gr.8°. Geb. EUR 18,00. ISBN 3-934544-74-6.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Dieses beachtenswerte Buch ging aus der Diplomarbeit hervor, die der Vf. an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht hat und die dort angenommen worden ist. Die Arbeit ist stark erweitert worden und gibt nun als Buch einen Überblick über Beichtstühle in evangelischen Kirchen in Sachsen. Das Thema ist nicht nur von kirchengeschichtlichem und kunsthistorischem Interesse, sondern ist auch liturgiewissenschaftlich relevant: Im­merhin wird – zumindest offiziell – in jedem Hauptgottesdienst am Sonntag in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens auch nach der letzten Liturgiereform von 1999 im Anschluss an die Predigt eine Allgemeine Beichte (dort als Allgemeines Schuldbekenntnis bezeichnet) gehalten. Dafür ist zwar der Beichtstuhl nicht vorgesehen – er dient ja der Privatbeichte –, aber das Thema und die Sache der Beichte sind damit nicht vergessen oder als typisch rö­misch-katholisch abqualifiziert.
Im Katalog führt der Vf. 62 Beichtstühle auf, die sich heute noch in Kirchen oder angrenzenden Räumen wie Sakristeien oder z. T. in Museen befinden. Hinzu kommt eine erhebliche Anzahl an nicht eindeutig genug zu bestimmenden Beichtstühlen, die durch Umbau etc. einer anderen Funktion zugeführt wurden, sie dienen z. B. als Paramentenschrank. Auch erhalten gebliebene Einzelteile von abgebrochenen Beichtstühlen sind im umfangreichen Katalog aufgeführt. Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, schon eine vollständige Erfassung vorgelegt zu haben.
Das Buch wird nach der Einleitung eröffnet mit einem kurzen Abriss der Geschichte der Beichte im Mittelalter, der Privatbeichte bei Luther und den lutherischen Bekenntnisschriften, um dann die Privatbeichte in den Ordnungen der sächsischen Landeskirche darzulegen. Seit 1580 galt die Privatbeichte zwei Jahrhunderte lang als Norm für die Zulassung zum Abendmahl. Sie wurde am Sonnabend, dem Tag vor dem Abendmahlsgang, im Chorraum der Kirche durchgeführt und bestand aus Glaubensverhör und Beichtakt. Probleme entstanden dadurch, dass viele Konfitenten zum Beichtstuhl wollten und die Zeit kaum ausreichte, um ein Glaubens­verhör angemessen durchführen zu können, so dass Formelhaf­tigkeit, verknüpft mit der Zulassung zum Abendmahl, den Sinn der Beichte unklar werden ließ. Da man keine überzeugende Lösung fand, gerieten die Beichte und die mit ihr verbundene Seelsorge ins Hintertreffen. An Stelle der Privatbeichte wurde seit Ende des 18. Jh.s die Allgemeine Beichte gefordert und nach und nach auch durchgesetzt. Der Beichtstuhl verlor somit im 19. Jh. an Be­deutung.
Nach dieser theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Darlegung, die sich aus vielen Quellen speist, wendet sich der Vf. den kunsthistorischen Aspekten zu. Denn bis zum Ende des 15. Jh.s gab es kaum Beichtstühle, zumindest fest aufgestellte Kästen kamen erst später auf. Zunächst gab es bewegliche Stühle, die auch mit einer Kniebank für den Konfitenten versehen werden konnten. So nimmt also auch die lutherische Kirche an der praktischen wie künstlerischen Entwicklung der Beichtstuhlgestaltung teil. Nach der Darstellung der Entwicklung der Beichtstühle in Sachsen stellt der Vf. ihre Orte in der Kirche und ihre Anzahl dar, um eine Typologisierung vorzunehmen. Dabei setzt er sich zugleich mit dem Versuch einer Typologisierung fränkischer Beichtstühle auseinander. Der Vf. kritisiert diese Typologisierung, die sich an den Formen des Beichtstuhls orientiert, zu Recht, denn er fragt, ob nicht auch der Beichtvollzug für die Typologisierung mitbeachtet werden muss. So stellt er zwei grundlegende Typen von Beichtstühlen fest: Der erste Grundtyp ist der einsitzige Beichtstuhl, in dem der Pfarrer saß und der Konfitent vor oder neben ihm kniete. Der zweite Grundtyp ist der mehrsitzige Beichtstuhl, in dem Beichtvater und Beichtkind nebeneinander Platz nahmen. In Bezug auf die Innenausstattung bestreitet der Vf., dass es bis auf zwei Ausnahmen Trennwände zwischen Pfarrer und Konfitent gegeben hat; das kann er anhand der Ausstattung nachweisen, die auch der Leser anhand zahlreicher Bilder von Beichtstühlen nachvollziehen kann. Der Vf. hält eine reiche Ikonographie der Beichtstühle fest: es wurden biblische Personen oder Geschichten, auch biblische Inschriften gewählt, dann Christusbilder, Engeldarstellungen, Bildnisse der Reformatoren, Katechismusbilder, die den Beichtvorgang zeigen, Symbole und Emblemata, Wappen, Initialen, Stiftungsinschriften, Stifterbilder. Zum Schluss werden Erbauer und Künstler der Beichtstühle aufgeführt.
Das Buch lässt sich gut erschließen, da ihm neben dem schon oben erwähnten Katalog ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Abbildungsverzeichnis (die meisten Abbildungen sind vom Vf. selbst angefertigt worden), Abbildungs-, Personen- und Ortsregister beigegeben wurden.
Wie der Vf. in seiner Einleitung betont, versteht er seine Untersuchung als einen grundlegenden Beitrag, um die sächsische Beichtstuhllandschaft zu erschließen. Dieses Buch ist sicherlich eine Voraussetzung dafür, dass ein solches Vorhaben im Rahmen von evangelischem Kirchbau, von Frömmigkeitsgeschichte und ih­ren Mentalitäten, der praktischen Beichtdurchführung und ih­rer theologischen Deutung zur Klärung so mancher noch offenen Fragen beiträgt. Dabei scheint es mir von großem methodischem Nutzen zu sein, nicht nur den Beichtstuhl, sondern auch den tatsächlichen Beichtvorgang – wie es der Vf. ja selbst in seiner Ansatzbeschreibung dargelegt hat – mit all seinen regionalen Besonderheiten grundlegend in die Überlegungen mit einzubeziehen und für die Bestimmung der sächsischen Beichtstuhllandschaft zu würdigen, so dass sich die These belegen ließe, dass sich in der Gestalt des Beichtstuhls auch der Beichtvorgang widerspiegelt und sich der Beichtvorgang samt seinen Besonderheiten wiederum »seinen« Beichtstuhl geschaffen hat.