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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

580–582

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Altmeyer, Stefan

Titel/Untertitel:

Von der Wahrnehmung zum Ausdruck. Zur ästhetischen Dimension von Glauben und Lernen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2006. 421 S. m. Abb. gr.8° = Praktische Theologie heute, 78. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-17-019116-7.

Rezensent:

Ingo Reuter

Das Werk des Bonner katholischen Theologen Altmeyer unternimmt, ausgehend von der Auseinandersetzung mit der sogenannten ästhetischen Wende in der Praktischen Theologie, eine Grundlegung derselben als »Korrelation von Ausdrucksformen« in religionspädagogischer Absicht. Sein Verfahren in der gesamten Arbeit ist grundlegend davon geprägt, die vorgestellten Ansätze immer wieder an gegenläufigen bzw. ergänzenden Zugangsweisen zu spiegeln, so dass sich ein synthetisch über These und Antithese fortschreitendes Verfahren ergibt, in dem A. ein beeindruckendes Panorama (praktisch-)theologischer Entwürfe und deren Fähigkeit einer korrelativen Verschränkung unter dem Aspekt einer ausdrucksorientierten Praktischen Theologie entfaltet.
A. beginnt mit einer Auseinandersetzung mit drei Hauptprotagonisten des ästhetischen Zugangs zur Praktischen Theologie: Alb­recht Grözinger, Walter Fürst und Joachim Kunstmann. Hierbei geht es ihm darum, nicht ein neues »Gegenparadigma« vom Begriff des Ausdrucks her zu entwerfen (135), sondern in konstruktiv-kritischer Aufnahme der ästhetisch orientierten Ansätze deren Wei­terführung in Richtung auf eine dem Glauben Gestalt gebende Theorie und Praxis Praktischer Theologie zu betreiben.
Kritisch sieht er bei den genannten Ansätzen die einseitige Fixierung auf Wahrnehmung religiöser Phänomene, die seiner An­sicht nach zu einer Vergessenheit in Hinsicht auf die Gestalt ge­bende Verwirklichung des Glaubens führe. Hierbei kritisiert er bei Grözinger insbesondere eine mangelnde Unterscheidbarkeit seines ästhetischen Konzeptes Praktischer Theologie in Hinsicht auf das spezifisch Christliche, das nach Meinung A.s in einer rein formalen Äquivalenz eingeebnet zu werden drohe (61). Zu fragen sei, ob an­gesichts Grözingers mangelnder theologischer Profilierung seines Ästhetikbegriffs nicht eine tendenzielle Auflösung des Christlichen ins Ästhetische drohe, die letztlich keine deutliche christ­liche Profilierung z. B. im Sinne einer Option für die Armen zulasse (62 f.).
Fürsts auf Kants Kritik der Urteilskraft zurückgreifende Pastoralästhetik betrachtet er demgegenüber als theologisch klarer profiliert, allerdings als zu stark wahrnehmungsleitend (90) und in der Gefahr eines radikalen Subjektivismus (93). Kunstmanns auf der Basis des Religions- und Bildungsbegriffs entworfene »Religionspädagogik als ›religiöse Kulturhermeneutik‹« (97) lasse nach Auffassung A.s ebenfalls auf Grund der »Begründung der ästhetischen Dimension religiöser Bildung aus einer reinen Strukturisomorphie« (128) in ihrer spezifisch theologischen Begründung zu wünschen übrig. Die – von A. durchaus ebenfalls als wichtig eingeschätzte – »elementare Sensibilisierung für die Dimension des Re­ligiösen« sei in jedem Falle zu ergänzen durch die von Englert ge­forderte »Animation zu Fragen nach der Vernunft des Glaubens« und die »Ermutigung zu einer Naivität zweiten Grades« (131). A. sieht hier bei Kunstmann die tendenzielle Gefahr auf der Ebene einer ersten Naivität, die sich zwar religiös beeindrucken lässt, dieses aber nicht ausreichend in dann auch handlungsleitende Refle xion überführt, stehen zu bleiben. Zu denken gibt insbesondere die kritische Frage, wo denn der Ort der von Kunstmann ge­wünschten »starken« religiösen Erfahrungen zu finden sei, und ob nicht Kunstmanns Konzept das Subjekt überfordere, indem es tendenziell zum Religionsstifter werden müsse.
Sicherlich werden die genannten Ansätze hier auch im Interesse einer Profilierung des Ansatzes bei einer ausdrucksorientierten Praktischen Theologie und Religionspädagogik zugespitzt, bedenkenswert sind die Einwände A.s allerdings – nicht zuletzt weil er sie nicht im Interesse einer Desavouierung der ästhetischen Ansätze der Praktischen Theologie vorträgt, sondern in der Absicht einer Erweiterung der unhintergehbaren Aspekte ästhetischer Theorie und Wahrnehmungslehre in der Praktischen Theologie in Richtung auf eine Synthese von Wahrnehmung und Handlungsorientierung: »Wenn die faktische Pluralität in zunehmendem Maße religiöse Individualisierung und Privatisierung zur Folge hat, so kann die religiöse ›Atomisierung‹ auf Dauer dazu führen, ›dass Menschen unfähig werden, die großen Überzeugungen ihres Le­bens in Worten, Symbolen, Ritualen und menschlicher Praxis zum Ausdruck zu bringen.‹ [Zitat: Englert] Deshalb ist der Religionspädagogik die Lehr- und Lernbarkeit ›religiöser Ausdrucksfähigkeit‹ zur Aufgabe gestellt, um Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von heute durch Ausdrucksformen des eigenen Lebensglaubens Wege aus ihrer eigenen ›Selbst-Verborgenheit‹ anzubahnen – als elementare Schritte auf dem Weg einer Erfindung des Christlichen« (150).
Um seine Theologie des Ausdrucks zu begründen, greift A. auf den Ansatz Bohrens zurück, dessen Argumentationsfigur der »Theonomen Reziprozität« er aufgreift, um so ein Mitwirken des Menschen am Gestalt gebenden Ausdruck des Glaubens theologisch denken zu können, ohne in einen plumpen Synergismus zu verfallen: Im Wirken des Geistes fallen menschliches Gestalten und göttliches Offenbaren in eins (175 f.), ein Gedanke, den A. auch in An­knüpfung an Schillebeeckx noch einmal betont: »Eine christliche Rede von der Offenbarung muss sich stets ihrer Vermittlung durch interpretierende Erfahrungen und gleichzeitig der spezifischen, geschenkten Unmittelbarkeit des göttlichen Gegenübers bewusst sein« (296).
Mit dem sodann ausführlich rezipierten Hans Urs von Balthasar – wiederum in Anbindung an Bonaventura interpretiert – wird das Ausdruckgeben christologisch zurückgebunden: Christus als »authentische Exegese Gottes« (257) verbindet die »Logik des senkrechten Einbruchs des göttlichen Wortes in die Geschichte und zum anderen die Logik der waagerechten Einbindung in den Zu­sammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen« (261). Tendiert Balthasar dazu, die »jesuanische Zeitlichkeit von der chris­tologischen Herrlichkeit verschlungen« (268) werden zu lassen und damit im Interesse der christologischen Profilierung auch keinen Platz für die Wahrheit bzw. den »Gestaltcharakter« anderer Religionen zu lassen (267), so nimmt A. im Folgenden die Impulse Schillebeeckx’ auf, der mit seiner Betonung der Vermittlung von Offenbarung »durch Zeugnisse menschlicher Offenbarungserfahrungen« (294) jeder doketisch anmutenden Theologie einen Riegel vorschiebt: »Die Identität des Christlichen ist also kein unter Ausblendung historischer Bedingungen zu extrahierender Kern« (298).
Zusammenfassend definiert A. sein eigenes ästhetisch orientiertes praktisch-theologisches Konzept: »›Ästhetik‹ kann im praktisch-theologischen Kontext eine qualifizierte Wahrnehmungs- und Ausdruckslehre genannt werden, die auf einer kritisch-produktiven Spannung passiver und aktiver Elemente aufgebaut ist. Rezeptiv beschreibt sie ein geistbegabtes und geistgewirktes Wahrnehmen der Weltwirklichkeit als Schöpfung mithilfe einer qualifizierten Sinnlichkeit; in ihrem produktiven Anteil bedenkt sie das menschliche Ausdrücken der Erfahrungen mit dem Praktisch-Werden Gottes auf die Neue Schöpfung hin. In beiden Fällen ist jedoch von einer Reziprozität ästhetischer und theologischer Mo­mente auszugehen, die darin besteht, dass Wahrnehmen des göttlichen Handelns in der Welt da und nur da geschieht, wo leibhaft-sinnlich wahrgenommen wird, und dass diese Wahrnehmung ihren Ausdruck da und nur da findet, wo dies konkretes, gestaltendes und horizonteröffnendes Handeln ist« (315).
So wie A. seine Herangehensweise an religionspädagogische Prozesse als korrelativ bestimmt, erscheint eine »multiperspektivische Didaktik« notwendig, die zum einen »Ausdrucksformen des Glaubens so in das Zentrum des Unterrichtsgeschehens« stellt, dass sie »ihre (ästhetische) Wirkung entfalten können«, zum anderen Schülerinnen und Schüler »in eigenen Ausdrucksakten Elemente des ›Entstehungsorts‹ der überlieferten Ausdrucksformen vorwegnehmen und so deren Wirkung eigenständig vorbereiten« (378). Hierbei plädiert er in Anknüpfung an Hans Schmid für Verlangsamung (379) und eine »Balance zwischen Eindruck und Ausdruck im Unterricht« (381).
A.s profundes Buch offeriert einen eigenen Entwurf einer ästhetisch argumentierenden Praktischen Theologie in religionspädagogischer Absicht, die dem Element des Ausdrucks und damit Formen der Gestaltung und der Glaubenspraxis (in einem weiten Sinne) soviel Raum geben will, dass diese gegenüber dem Element der Wahrnehmung mindestens gleichrangig werden. A. erweist sich hier den Anforderungen einer Theologie, die sich postmodern als profilierungsfähig erweisen muss, gewachsen, indem er die konstruktive Wahrnehmungs-, Verstehens- und Ausdrucksleis­tung des Sub­jektes einerseits als unhintergehbar, andererseits aber auch als theologisch von der Gnade her qualifiziertes Geschehen zu verstehen vermag.
In der Tat gibt es auch im Interesse einer subjektorientierten Praktischen Theologie keinen Weg daran vorbei, die Ausdrucksfähigkeit des religiösen Subjektes zusammen mit einer qualifizierten Wahrnehmungsfähigkeit zu stärken. Dies gilt insbesondere, weil den Subjekten heute immer weniger die klassischen Ausdrucksformen zur Verfügung stehen, mit denen den Erfahrungen von Angst, Hoffnung, Sehnsucht, Glaube, Liebe und Hoffnung traditionell Ausdruck verliehen wurde, auch wenn die populäre Kultur hier viele Bereiche, die klassischer Weise der religiösen Deutung im engeren Sinne vorbehalten waren, übernommen hat.
Obwohl A. kein pragmatisch orientiertes Buch vorlegt (im Ge­genteil: Der theoretische Aufwand für Autor und Leser ist enorm), so deuten sich hier doch erste auch didaktische Perspektiven an, die angesichts der sprachlichen Ausdrucksarmut vieler Jugendlicher, sowohl was rationale als auch emotionale Gehalte betrifft, von erheblichem Belang sind.
Wichtiger noch erscheint, dass A. hier ein Werk vorgelegt hat, das eine Wahrnehmungs- und Ausdruckslehre für die Praktische Theologie in eindrucksvoller Weise fundiert. Einwände im Einzelnen mögen noch kommen. In jedem Fall wird man sich mit A.s kritisch-korrelativer Fortschreibung der wahrnehmungsorientierten Ansätze in der Theologie auseinandersetzen müssen. Nicht zuletzt schließlich stellen A.s Darlegungen auch einen herausragenden Beitrag zu einer ökumenisch orientierten praktisch-theologischen Theoriebildung dar.