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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

573 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dirscherl, Erwin

Titel/Untertitel:

Grundriss Theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2006. 288 S. gr.8°. Geb. EUR 26,90. ISBN 978-3-7917-1977-1.

Rezensent:

Gunda Schneider-Flume

Der Regensburger Dogmatiker und Dogmengeschichtler legt einen Grundriss Theologischer Anthropologie vor. Der Untertitel lässt die Anregung durch Emmanuel Levinas anklingen, zu dem eine Arbeit des Vf.s vorliegt: »Die Bedeutung der Nähe Gottes. Ein Dialog zwischen K. Rahner und E. Levinas«, Würzburg 1996. Rahner und Lévinas sind die Hauptgesprächspartner des Vf.s.
Nach einer kurzen Vorbemerkung zum Konzept des Lehrbuchs und der Verortung der Theologischen Anthropologie in der Dogmatik folgen sechs Kapitel: Einer sozialwissenschaftlich-philo­sophischen Ortsbestimmung »Globalisierte Unübersichtlichkeit und multiple Identitäten: Die neue Suche nach Orientierung und Identität zwischen Absolutheitsansprüchen und Relativismus« (1) folgen die klassischen Themen Theologischer Anthropologie: »Der unterschiedene Mensch als Geschöpf: Ursprungsbeziehung als un­vordenkliche Vergangenheit« (2); »Die Beziehung zum Anderen als Stellvertretung in der Zeit: Der entschiedene Mensch als imago dei« (3); »Die Entzogenheit des Menschen als Sünder: Gebrochene Beziehungen und die Hoffnung auf Vergebung« (4). In Kapitel 5 folgt die Darstellung der anthropologischen Entwürfe von Rahner, Pannenberg, Pröpper und Wohlmuth. Im 6. Kapitel formuliert der Vf. noch einmal unter Berufung auf Rahner sowie zeitgenössische katho­lische Autoren die »Fraglichkeit« des Menschen (»Der Stachel bleibender Unbegreiflichkeit: die Herausforderung unserer Verant wortung angesichts der Unverfügbarkeit Gottes und des Anderen«). Die Kapitel sind in sich detailliert gegliedert, Kapitel 2–4 enthalten jeweils einen Abschnitt »Biblische Perspektiven« und »Theologiegeschichtliche Einsichten«. Den einzelnen Abschnitten sind Lesehinweise angefügt. Literaturverzeichnis und Namenregister (leider kein Sachregister!) schließen das Buch ab.
Der Grundriss entstammt offensichtlich einer Vorlesung und bemüht sich um die Mitteilung von viel Wissensstoff. Eingangs äußert sich der Vf. zum »Wagnis Lehrbuch«, »bei dem man es nicht allen recht machen könne« (15). Es gehe um einen soliden und zeitgemäßen Überblick, der sich nicht mit umfassenden Entwürfen wie denen von Karl Rahner, Otto Hermann Pesch oder Wolfhart Pannenberg vergleichen wolle, bei dem vielmehr exemplarische Einblicke gefragt seien. Es geht dem Vf. um Einführung in theologisches Denken und Zusammenhänge der Theologischen Anthropologie, die er in der Mitte von Gotteslehre und Christologie ansiedelt, in der aber zugleich alle dogmatischen Traktate im Spiel seien.
Formal ist die Bändigung der Fülle des Stoffes gelungen durch kurze, durch Fettdruck markierte Abschnitte, die das Buch für Studierende lesefreundlich gestalten sollen. Inhaltlich bzw. material sind die Kapitel auf Grund der Vielzahl der meist nur sehr kurz angedeuteten Positionen aus der Tradition zum Teil mühsam zu lesen. Das zeigt sich etwa im 1. Kapitel, das viele Fragen an­schneidet (Ist alles relativ? Zum Guten fähig oder gewalttätig? Ist der Mensch definierbar? Ersatzteillager Mensch? Der zerstreute Mensch?) und pointillistisch den zeitgenössischen »Pluralismus« zu skizzieren versucht. Auch die dogmengeschichtlichen Ausführungen sind mit ihren knappen Ausführungen zu einer großen Anzahl von Theologen über die Jahrhunderte hinweg nur bei einiger Vorkenntnis mit Gewinn zu lesen.
Philosophischer und theologischer Ausgangspunkt für den hier vorgelegten Entwurf ist die von Karl Rahner und den Humanwissenschaften übernommene Annahme der Fraglichkeit des Menschen. Rahners Feststellung: »Der Mensch ist nicht die in sich fraglose, fraglos gegebene Unendlichkeit der Wirklichkeit; er ist die Frage, die leer, aber wirklich und unausweichlich vor ihm aufsteht und die von ihm nie überholt, nie adäquat beantwortet werden kann.« (K. Rahner, Grundkurs des Glaubens, 43, zitiert bei D.: 30) Dass diese Grundannahme von evangelischer Seite nachdrücklich bestritten worden ist mit der These, »daß die radikale Fraglichkeit ein Mythos ist … [und] daß der Mensch eine Antwort ist, zu der wir die Frage noch nicht hinreichend kennen« (E. Jüngel), erwähnt der Vf. nicht. Der existenzphilosophische Ausgangspunkt wird konsequent als Beziehungshaftigkeit des Menschen in Verantwortung entfaltet.
Es geht dem Vf. im Zusammenhang von Anthropologie und Soteriologie insbesondere um die Beteiligung des Menschen an der Erlösung entsprechend der antiochenischen Schule. Augustin wird deshalb ein überzogener Gnadenbegriff vorgeworfen, der die Freiheit des Menschen im Gnadengeschehen nicht genügend berück­sichtige und den Sinn der Rede von der imago dei, »die eine in die Verantwortung eingesetzte Freiheit des Menschen beinhalten muss« (199), verfehle. Diese stark die Eigenverantwortlichkeit des Menschen betonende Position wird im gesamten Entwurf vor allem in den Ausführungen zur imago dei betont, ohne dass er­wähnt wird, dass damit wichtige Aussagen zur Kontroverstheologie formuliert sind. Nach den Bemühungen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre wäre ein solcher Hinweis auch in einem Katholischen Grundriss durchaus angemessen.
Trotz der kritischen Bemerkungen ist festzuhalten, dass das Buch informativ ist und durch die sorgfältig ausgewählten Lesehinweise zum Weiterstudium Theologischer Anthropologie an­regt.