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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

570–573

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bongardt, Michael

Titel/Untertitel:

Einführung in die Theologie der Offenbarung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. 206 S. gr.8° = Einführung Theologie. Kart. EUR 19,90. ISBN 3-534-15996-9.

Rezensent:

Yiftach J. H. Fehige

Michael Bongardt legt eine lesenwerte Einführung in die Theologie der Offenbarung vor. Die Struktur: Zwei Teile (A, B) mit jeweils vier und fünf Kapiteln (I, II, III, …), die in Abschnitte (1, 2, 3, …) und Unterabschnitte (a, b, c, …) untergliedert sind. Mit dem ersten Teil geht er dem biblischen Zeugnis des Offenbarungsglaubens nach, zunächst allgemein, dann spezifisch gemäß Altem und Neuem Testament, um schließlich die biblischen Vorgaben für eine Offenbarungstheologie zu eruieren. Der zweite Teil entfaltet systematisch und vollständig die Grundkoordinaten einer jeden Offen­barungstheologie: das umstrittene Verhältnis von Vernunft und Offenbarung; das Geschehen der Offenbarung, die inhaltliche Be­stimmung des christlichen Offenbarungsbekenntnisses, die Über lieferung der Offenbarung und schließlich das Verhältnis des christlichen Offenbarungsglaubens zur Vielheit der Religionen. Eingerahmt werden diese beiden Teile von einer Einführung, einer Zeittafel, der Bibliographie und einem Personenregister.
Der erste Teil ist ohne Frage gelungen, angefangen bei der sehr plausiblen Lokalisierung der eigenen hermeneutischen Position gegenüber der Heiligen Schrift, über die Auswahl von Grund­linien des Alten Testaments (schützende Verhüllung, Name, Leitung, Weisung, Schöpfung, Verheißung) hin zur christozentrischen Charakterisierung des Neuen Testaments, wobei dies einmal allgemein geschieht (A.III, 1) und dann gemäß den synoptischen Evangelien (A.III, 2.a), den Briefen des Paulus (A.III, 2.b) und schließlich gemäß den johanneischen Schriften (A.III, 2.c); sodann auch der Extrakt von wesentlichen Themen der Offenbarungstheologie, wie sie aus der Heiligen Schrift erwachsen (A.IV): Gott, der rettet (A.IV, 1), Göttliche Initiative (A.IV, 2), Menschliche Antwort (A.IV, 3) unter dem Aspekt von Erkenntnis und Glaube (A.IV, 3.a), Glaube und Geschichte (A.IV, 3.b) und auch Geschenk und Entscheidung (A.IV, 3.c); danach Bestimmtheit und Entzug (A.IV, 4) sowie die Einheit der Bibel (A.IV, 5).
Zum ersten Teil ist nur Folgendes anzumerken: Ich vermisse im Zusammenhang der Diskussion des Tetragramms hwhי (20–21) die Nennung der äußerst instruktiven Beiträge von Manfred Görg, die die Kritik stützen, sich bei der Exegese nicht allzu sehr auf die semantische Deutung gemäß einem bestimmten Seinsverständnis zu konzentrieren. Was die Darstellung des Tun-Ergehen-Zusam­menhangs anbelangt (23), wäre es sicherlich gut gewesen auch darauf hinzuweisen, dass dieser Zusammenhang auch innerbiblisch unter Kritik steht. Zudem ist die Rede Gottes zu Hiob nicht »um­stritten« (27), sondern schwer verständlich, umstritten ist die Deutung.
Als Formfehler erachte ich Folgendes: Es muss heißen Kampling/269 oder 270, die Referenz stimmt hier nicht (13). Zudem muss es wohl lauten »… will die Fremdheit …« (22). Ebenfalls eine Ungenauigkeit in der Referenz besteht mit »Hahn/2002« an Stelle von Hahn/70 (34). Ebenso Sand/97 (37). Schließlich wäre »Altes Testament« durch »Tanach« auszutauschen (47).
Der zweite Teil ist insofern imponierend, als B. in wirklich nachvollziehbarer und komprimierter Weise das religionsphilosophisch äußerst komplexe Verhältnis von Vernunft und Offenbarung darstellt und dabei dennoch ein beachtliches Spektrum an repräsentativen philosophischen und theologischen Autoren zu Wort kommen lässt (B.I). Die dabei erkenntnisleitende Konzentration auf das Problem, wie Offenbarung verstanden werden sollte, wirkt sich dabei gewinnbringend aus (B.II). Ich teile B.s zentrale systematische Intuition, dass sich eigentlich erst dem Glauben als einer eigenständigen, wenn auch der Vernunft korrespondierenden kognitiven Einstellung zur Welt eine Offenbarungserkenntnis eröffnet. Schlagwortartig: Erst dem Bekennenden eröffnet sich die Erkenntnis. Oder in B.s eigenen Worten: »Erst der Glaube erkennt in dem ihm Begegnenden das Wirken Gottes, erst der Glaube er­kennt ein Ereignis als Offenbarung. Das Bekenntnis ist also die Bedingung der Möglichkeit einer Offenbarungserkenntnis« (133). Beziehungsweise noch einmal anders: »Die Deutung der Welt als Hinweis auf Christus und die in ihm offenbare Wirklichkeit Gottes hat den Glauben an diese Offenbarung bereits zur Voraussetzung« (139). Die Begründung: »Denn in der Offenbarung selbst geht es nicht vorrangig um ein zu vermittelndes Wissen, sondern um die Vergegenwärtigung einer Wirklichkeit« (179). Diese Begründung holt B. ein, wenn er zutreffend einen Paradigmenwechsel in der Theologie referiert: Das instruktionstheoretische Modell von Of­fenbarung wird von einem Modell der Selbstoffenbarung abgelöst. Diesem Modell zufolge meint Offenbarung das Sich-Entbergen Gottes für die Menschen in seiner Wirklichkeit, jenem zufolge die Instruktion von Wissensinhalten. Philosophisch wird die Begründung unter Rekurs auf die Philosophie Ernst Cassirers eingeholt, wofür sich B. schon mit anderen Publikationen verantwortet hat. Dieser Rekurs sollte daher sicherlich nicht Ansatzpunkt für eine Kritik dieser Einführung sein. An diese systematisch seiner philosophischen Seite nach kontroverse Positionierung schließt sich die inhaltliche Bestimmung des christlichen Offenbarungsbekenntnisses an (B.III). Außerdem werden die wichtigsten Facetten für den Topos von Überlieferung der Offenbarung ausgeführt (B.IV) und schließlich wird das Verhältnis des christlichen Offenbarungsglaubens zur Vielheit der Religionen bedacht (B.V).
Zunächst einige formale Anmerkungen zum zweiten Teil: Es fehlt wohl »Luther/156: 2.20« (63); sodann ein »wird« zu viel (65); peinliche Zeichenfehler (79.104); unklar ist, was »zwingend« (83) als Attribut von Gottesbeweisen meinen soll, vielleicht besser: deduktiv?; »ernsthaft« sollte gestrichen werden, da mir keine unernsthafte philosophische Reflexion bekannt ist (107); außerdem dürfte der Ausdruck »gegenständliche Welt« wohl für die Charakterisierung des Materialobjekts der Naturwissenschaft des 21. Jh.s unpassend sein (108); schließlich scheint fraglich, ob der Ausdruck »beweisen« für Argumentationen zu Gunsten menschlicher Freiheit passend gewählt ist (126). Hier scheint mir auch inhaltlich fraglich, ob der metaphysische Freiheitsbegriff im Referat des fundamentaltheo­logischen Ansatzes von Thomas Pröpper (126–129) nicht eine kri­tischere Sicht verlangt hätte, da er sich in seiner dargestellten Form wohl kaum an die gegenwärtig aufgeheizte Debatte um die menschliche Freiheit anschlussfähig zeigt. Dieses Defizit macht sich auch vorher schon bemerkbar, wenn es um die Verhältnisbestimmung von göttlichem Handeln und von menschlicher Freiheit geht (113–115). Die Polemik B.s gegen diejenigen, die in der Welt keine Schöpfungsoffenbarung entdecken können, ist überflüssig und trägt zum Argumentationsgang nichts bei: »Zu rechnen ist aber auch stets damit, dass Menschen die Frage nach Grund und Ziel der Wirklichkeit nicht beantworten wollen, ja nicht einmal mehr stellen. Wer sich selbst als Grund und Ziel der Welt oder zumindest seines eigenen Lebens behaupten will, hat allen Anlass zu solcher Abwehr« (140). Diese Aussage halte ich deswegen für überzogen polemisch, weil B. zwei Dinge übersieht: Erstens sind die Aussagen der beiden Sätze logisch unabhängig. Damit fehlt schon die erste Begründung, nämlich die für die Konjunktion. Zweitens ist das Programm einer speziellen Metaphysik im klassischen Sinn philosophisch alles andere als leicht zu rechtfertigen. Der Theologe, und zu dieser Einsicht bringt uns die Einführung, übernimmt die Berechtigung des Programms vom Zeugnis der Heiligen Schrift. Wird man dem Ungläubigen da vorwerfen können, gegen das Programm philosophisch zu argumentieren, solange man selbst aus theologischer Position keine Rechtfertigung dafür liefern kann, außer den Rekurs auf eine Offenbarung, die dem Ungläubigen als solche nicht gilt? Mir ist kein Gegenwartstheologe bekannt, der für die Berechtigung eines solchen metaphysischen Programms argumentiert. Und unter den Philosophen fällt mir in analytischer Tradition im deutschsprachigen Raum nur Uwe Meixner ein, dessen Position nicht mehrheitsfähig er­scheint. Was soll also B.s Polemik?
Was die Charakterisierung des Lebens und Geschicks Jesu von Nazareth anbelangt, nämlich Ausdruck der unverbrüchlichen Treue Gottes zu sein (vgl. 146), so würde ich gerade in diesem Zu­sammenhang einen Verweis auf die alttestamentliche Theologie vom Bund Gottes mit David empfehlen. Aus der Perspektive dieser Theologie lässt sich nämlich der David-Bund genau so charakterisieren. Damit böte sich die Gelegenheit, die messianische Hoffnung des Alten Testaments mit dem eschatologischen Vorbehalt des Neuen Testaments in einer Weise zu parallelisieren, in der von vornherein die Motivation dafür verloren geht, neutestament­lichem Triumphalismus Vorschub zu leisten. Schließlich möchte ich eigens B. darin zustimmen, wenn er davor warnt, den Begriff der Selbstoffenbarung überzustrapazieren (vgl. 157–158). So bietet sich hier durchaus die Gefahr, das Geschehen der Offenbarung als Ge­genwart Gottes dermaßen formal und prozessual zu verstehen, dass es inhaltlich entleert wird und so nicht mehr gesehen werden kann, in welchem Sinne die Heilige Schrift als authentischer und vollständiger Ausdruck der Offenbarung eigentlich noch normativ zu verstehen ist.
Gegenwärtig sind die beiden zentralen Herausforderungen einer dogmatischen Erfassung von Offenbarung damit anzugeben, dass erstens noch nicht hinreichend geklärt ist, wie sich trotz der Gegenwart Gottes bei den Menschen seine Unverfügbarkeit, also seine Transzendenz wahren lässt. Und zweitens muss geklärt werden, wie ein Dialog mit den anderen Offenbarungsreligionen ge­führt werden soll, der mehr bedeutet als nur ein Gespräch. Letzteres ist besonders für das Judentum akut, von dem zugleich gelten soll, dass es intrinsischer Bestandteil des Christentums ist und als Ausdruck des Alten Bundes nicht durch den Neuen Bund aufgehoben wurde. Beide Problemfelder werden mit der Einführung nachvollziehbar und nicht simplifizierend nahegebracht. Eine Einführung die das leistet, kann nur empfohlen werden.