Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

566–568

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Peters, Ted, Bennet, Gaymon, u. Kang Phee Seng [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Brü­cken bauen: Naturwissenschaft und Religion. M. Vorworten v. W. Pannenberg u. R. J. Russell. Aus d. Amerikanischen v. T. Bruns.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 304 S. gr.8° = Religion, Theologie und Naturwissenschaft. Religion, Theology, and Natural Science, 5. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-525-56975-7.

Rezensent:

Jürgen Hübner

Das Center for Theology and the Natural Sciences (CTNS) in Berkeley, Kalifornien, das von der Sir John Templeton Foundation un­terstützt wird, hat zunächst in den USA, dann aber weit darüber hinaus einen intensiven Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft eingeleitet. Der vorliegende Sammelband soll nun weltweit eine Grundlage für den einschlägigen Unterricht schaffen (7). In den breit gefächerten Beiträgen, zu denen jeweils teilweise recht umfangreiche Literaturlisten gehören, wird ein Überblick über den gegenwärtigen Stand der Diskussionen in den USA geboten, er­gänzt durch einen Aufsatz über die deutsche Gesprächslage von Dirk Evers. In einem ersten Teil wird über die »Methodik des Brü­ cken­baus« reflektiert, in einem zweiten werden »Naturwissenschaftliche Bögen«, in einem dritten »Religiöse Bögen« vorgestellt. Es handelt sich um Positionsbeschreibungen, die eher nebeneinander zu stehen kommen, weniger im Einzelnen diskutiert oder systematisch miteinander in Beziehung gebracht werden. Das entspricht dem didaktischen Interesse: Dem Diskurs vor Ort und der eigenen Meinungsbildung soll freier Raum, aber auch eine allgemeine Grundlage gegeben werden.
Die Akzentuierung ist unterschiedlich: Einige Ansätze werden lediglich referiert, teils werden grundsätzliche, dann aber auch ethische Fragen aufgeworfen. Ted Peters berichtet über die Probleme der Genetik, Philip Clayton über die der Neurowissenschaft. Unter den spezifisch »religiösen Bögen« sind neben den christlichen »Ortstheologien« (Eduardo Cruz) und einer »Theologie vom Kreuz« (George L. Murphy) der Islam, Buddhismus, Hinduismus und das Judentum in Originalbeiträgen vertreten; behandelt wird aber auch eingehend die Geschichte der Metapher von den zwei Offenbarungsbüchern Gottes (Peter M. J. Hess). Während in diesen Zusammenhängen eher Parallelen zwischen Religion, Theologie und Naturwissenschaft gesucht und zur Diskussion gestellt werden, wird vor allem im ersten und zu Beginn des zweiten Teils die Grundsatzdebatte aufgenommen. Ziel ist erklärtermaßen der »Brü­ckenbau«. Die »Grundfesten der Naturwissenschaften«, das »religiöse Grundgefüge« und deren »gemeinsamer Grund«, der in der philosophischen Kategorie der »Kontingenz« festgemacht wird, sollen aufgeklärt werden und zur »Interaktion« vor allem von »westlichem Monotheismus und Naturwissenschaft« führen (Ro­b­ert John Russel im Vorwort, 13).
Die vielschichtige Verwurzelung von Naturwissenschaft und Theologie wird benannt, weniger im Einzelnen thematisiert. »Hy­pothetische Konsonanz« (Ted Peters) bleibt die Grunderwartung (25–27). Sie enthält die Verpflichtung zum Dialog. »Religion muss von Wissenschaft und Wissenschaft von Religion genährt werden« (28). Ein »Kritischer Realismus« im Sinne Ian Barbours, der sich des metaphorischen Charakters auch wissenschaftlicher Theorien be­wusst ist (56), bietet dafür die philosophische Voraussetzung. Die Frage wird aufgeworfen, wie weit er sich etwa in einen »Emergenz-Monismus« (62) im Sinne beispielsweise des Neo-Thomismus oder der Prozess-Philosophie Whiteheads überführen lässt oder ob es eher bei »niedriger gesteckten Zielen« wie allgemeinen Begriffsklärungen sein Bewenden haben soll. Dann wäre es »schwierig, an­dere, weitergehende Fragen anzusprechen«, wie etwa das Handeln Gottes genauer zu verstehen (63). Als Grundannahme jedenfalls gilt: »Das Ideal der Naturwissenschaft deckt sich mit dem der Theo­logie; beide suchen nach der Wahrheit« (69). Das schließt Selbstkritik jeweils mit ein.
Die Wichtigkeit und Dringlichkeit eines Dialogs zwischen Religion, Theologie und Naturwissenschaft unter Einschluss der Philosophie steht außer Frage, sowohl für ein grundlegendes Verstehen der Wirklichkeit als auch angesichts des rasanten Fortschritts der Naturwissenschaft im Blick auf die Ethik. Das dazu vorgelegte Material ist informativ. Angesichts der vorgeführten Positionen und Inhalte muss der eigentliche Dialog nun beginnen, und dazu werden wichtige Anregungen gegeben. Im Einzelnen bleibt dann zu fragen, wo am besten angeknüpft werden kann. Dazu wünscht man sich vielfach noch präzisere Terminologien, Unterscheidungen und Differenzierungen. Sicherlich spielt auch hier das Problem von Übersetzungen mit. Doch worum geht es jeweils nun genau: um Naturwissenschaft und Religion allgemein, speziell um Naturwissenschaft und christlichen Glauben, um deren Praxis oder ihre Theorie, um ein personales oder ein abstraktes Verhältnis, um ein kulturelles, gesellschaftliches oder auch po­litisches Problem? Das ist in den verschiedenen Argumentationszusammenhängen nicht immer klar. Die Terminologie wechselt.
Von hier aus ist auch die Metapher vom Brückenbau noch einmal zu hinterfragen. Da ist von »Baumaterialien« die Rede, Bau-plänen, Prozessen, Material und Handwerkszeug, die gegenseitig auszutauschen seien, um »›zweispurige‹, wechselseitige Dialogbrü­cken … zu bauen« (16). Tragen die Bilder das Anliegen? Die »Ma­terialien« der Naturwissenschaft sind nicht die gleichen wie die Themen der Theologie. DNA-Sequenzen wie Gene sind etwas anderes als etwa ein Psalmgebet. Genetisches Wissen und dankbare Frömmigkeit begegnen sich aber im Leben und Zusammenleben der Menschen, im Gespräch miteinander, in der Einschätzung von Wissen und Glauben, gewissermaßen unterhalb des Versuchs von abstrakten Brückenkonstruktionen. Es geht um lebendige Kommunikation, die Dankbarkeit stiftet für die Gegenstände der Na­turwissenschaft und so das Interesse an ihrer genauen Kenntnis weckt. Der gemeinsame Tisch ist vielleicht ein besseres Bild, das Möbel sowohl wie der Abendmahlstisch. Angesprochen sind damit zweierlei Wahrheiten. Sie gehören aber zusammen, wie die Menschen, die mit ihnen zu tun haben. Philip Hefners anthropologischer Ansatz (»created creator«, 167) versucht, hier weiterzudenken; freilich verschwimmt dann wieder der Schöpfungsbegriff.
Hinweise auf notwendige Differenzierungen finden sich in dem Buch mehrfach. Der »perspektivische Unterschied« von Biologie (176), Urknall-Kosmologie (265) und Glaubenspraxis wie Theologie wird betont. Religiöse Spiritualität und Praxis sind zu unterscheiden von der wissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Reflexion über sie. Spiritualität und Rationalität sind zwei­erlei. Dennoch ist beides zirkelhaft miteinander verbunden. Der exis­tentielle Urgrund ermöglicht und fordert intellektuelle Auf­bauten heraus, und diese wirken auf die zu Grunde liegende Erfahrung wiederum ein. Vorsprachliches und sprachlich formuliertes Ge­schehen bedingen einander. Ihre Unterscheidung legt die kreative Spannung zwischen »zwei Unendlichen« (184, Pascal) frei. Ge­rade sie bringt das Gespräch in Gang und voran. Die verschiedenen Ansätze verfolgen dieses Ziel. Man muss sie kritisch reflektieren, doch das führt weiter. Ob Brücke oder Tisch, oder eben der Mensch, der beides ist, Geschöpf und Konstrukteur: Es geht um Gemeinschaft und Verantwortung in einer sich globalisierenden Welt.