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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

49–51

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Jacobson, Howard

Titel/Untertitel:

A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum. With Latin Text and English Translation. Vol. I and II.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XVI, IV, 1306 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 31. Lw. hfl 432.­. ISBN 90-04-10360-0.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

Bis zum Erscheinen eines Aufsatzes von Leopold Cohn vor ziemlich genau 100 Jahren (Cohn, L.: An Apocryphal Work Ascribed to Philo of Alexandria, JQR 10 1897/98, 277-332) wurde allgemein angenommen, das ’Buch der Biblischen Altertümer’ entstamme der schriftstellerischen Tätigkeit des Philo Alexandrinus. Die Forschung zum Liber Antiquitatum Biblicarum (LAB) hat seitdem wichtige Ergebnisse erzielt, die zur Voraussetzung für weitergehende Fragestellungen und für die Einbeziehung dieses frühjüdischen Erzählwerkes in die religionsgeschichtliche Arbeit am Frühjudentum und Neuen Testament wurden. Konnte freilich noch bis vor wenigen Jahren nicht die Rede davon sein, daß dem LAB in diesen Forschungsbereichen eine seiner Bedeutung entsprechende Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre, so ist nun spätestens mit dem anzuzeigenden opus magnum ein neues Stadium erreicht.

Das zweibändige Werk bietet auf annähernd 1000 Seiten einen gründlichen Kommentar, der sich v. a. eingehend den Fragen der Textgestalt und ihrer Bedeutung sowie den anzunehmenden griechischen und hebräischen Äquivalenten des lateinischen Textes zuwendet (281-1215). Dieser wird nach der Ausgabe in den Sources Chrétiennes (Pseudo-Philon, Les Antiquités Bibliques, I: Introduction et texte critiques par D. J. Harrington, traduction par J. Cazeaux, revue par C. Perrot et P.-M. Bogaert. II: Introduction littéraire, commentaire et index par C. Perrot et P.-M. Bogaert avec la collaboration de D. J. Harrington, SC 229/230, Paris 1976, 21979) wiedergegeben (1-87; vgl. XIII). Naturgemäß ist diese kritische Ausgabe mit ihrem meisterhaften knappen Kommentar ständige Bezugsgröße ­ selbstverständlich auch in kritischer Auseinandersetzung (vgl. z. B. 424). Die englische Übersetzung (89-194) folgt indessen nicht durchgehend der gebotenen lateinischen Textgestalt; sie setzt die ­ vornehmlich nach inneren Kriterien geleistete (vgl. dazu 264) ­ textkritische Arbeit des Vf.s voraus. Lateinischer Text und englische Übersetzung sind also nicht immer kongruent (vgl. z. B. 21,6 ex eis; vgl. dazu den Kommentar 686). Die entsprechenden Entscheidungsfragen werden mit hinreichender Eindringlichkeit diskutiert. Am Schluß des Werkes stehen Indices Locorum (1223-1296), Rerum (1297-1301), Nominum (1302 f.), Verborum Latinorum (1304-1307) sowie ein kurzer Index Grammaticus (1308).

Die ausführliche Einleitung (195-280) enthält Abschnitte zu Autor und Titel des LAB, zu seiner Datierung, Absicht und Gattung, zum Thema ’Heidentum’ im LAB, zu den griechischen und hebräischen Vorformen, zu narrativen und exegetischen Techniken, theologischen Themen, zum umstrittenen Ende des LAB, zum verwendeten biblischen Text und seiner Zitation, zur Textüberlieferung, zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte und zum Charakter seiner lateinischen Textgestalt. Die Einleitung bietet grundlegende Analysen, die bei der eigentlichen Kommentierungsarbeit vorausgesetzt werden. Leider widmet die Darbietung der theologischen Themen des LAB einigen Problembereichen, die m. E. zu den Propria dieses auch in theologischer Hinsicht erstaunlichen Erzählwerks gehören, nur wenig Aufmerksamkeit; zu nennen sind hier beispielsweise die dreimalige Bearbeitung der Akeda und damit zusammenhängende Sühnevorstellungen, die theologisch-anthropologische Skepsis, der spannungsvolle Bezug von barmherzigem und vergeltendem Handeln Gottes. Auch im Kommentar werden im eigentlichen Sinne theologische Fragen des Textes kaum erläutert.

Im Blick auf die Frage, ob das ursprüngliche Ende des LAB tatsächlich mit 65,5 (Tod des Saul, letzte Worte Sauls mit Botschaft an David) gegeben sei, schließt J. sich der bejahenden communis opinio an. Er verweist auf das zusätzliche Argument, daß der fiktive Autor des LAB in der Zeit vor Salomo schreibe (vgl. dazu die Wendung usque in hodiernum diem in 26,15 sowie 22,8 f.; dazu 200. 253 f.).

In der Diskussion der Frage, ob der Zeitpunkt der Abfassung des LAB vor oder nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 liegt, entscheidet J. mit guten Gründen für die zweite Möglichkeit, und zwar vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts ­ so, daß möglicherweise die Verfolgungen unter Hadrian (117-138) und das Mißlingen des Bar-Kochba-Aufstandes ihren Niederschlag in diesem Werk finden konnten (209).

Freilich sieht sich diese Möglichkeit mit dem bereits von James (James, M. R.: The Biblical Antiquities of Philo, Now First Translated from the Old Latin Version, London 1917, Reprint with a Prolegomenon by L. H. Feldman, New York 1971, 33) genannten Argument konfrontiert, eine Abfassungszeit im 2. Jh. sei wegen der christlichen Rezeption des LAB kaum anzunehmen (ungelöst ist in diesem Zusammenhang die Frage, ab wann das Werk Philo, dem "hero of the Church" [210] zugeschrieben wurde, und ob jüdische oder christliche Übersetzer ins Griechische bzw. Lateinische vorauszusetzen sind [vgl. zu beiden Fragen auch 276 f.]). Für die Annahme des Abfassungsortes sind einerseits die ursprüngliche Abfassung in Hebräisch, andererseits die Vertrautheit des anonymen Autors mit dem Hellenismus und wahrscheinlich sogar entsprechender Literatur (vgl. dazu 213-215) und drittens sein Interesse an Magie, mystischer Spekulation und Dämonen, aber auch die anti-samaritanische Polemik in Rechnung zu stellen; der Vf. unterstützt deshalb die Annahme, Galiläa sei der Entstehungsraum dieser Schrift gewesen.

Im Blick auf das Verhältnis zu rabbinischen Texten weist der Vf. darauf hin, daß es regelmäßig unmöglich sei, die Frage etwaiger Abhängigkeiten traditionsgeschichtlich zu lösen. Der LAB wird kaum sicher als Quellentext für die Verwendung bestimmter Motive in rabbinischen Texten in Anspruch zu nehmen sein; in den meisten Fällen ist gemeinsame Abhängigkeit von uns unbekannten Quellen vorauszusetzen.

Eine besondere Stärke der Kommentierung sind die abgewogenen sprachgeschichtlichen Analysen. Sie beziehen nicht nur regelmäßig die vorauszusetzende griechische Übersetzung und ihre hebräische Vorlage ein, sondern erstrecken sich auch auf semantische und grammatische Fragen. Bisweilen wird auf Entsprechungen zu Wiedergaben biblischer Textelemente in der Vetus Latina hingewiesen. Jacobson zeigt an vielen Stellen, daß die Schriftbezüge des LAB weitaus reicher sind, als anhand des bisherigen Kursivdrucks im lateinischen Text ersichtlich ist. Dabei wird deutlich, daß es sich um eine Vielzahl intertextueller Beziehungen zu den biblischen Prätexten handelt.

Angesichts der immensen Leistung dieses Kommentarwerkes ist auf den gewählten Umgang mit der Sekundärliteratur lediglich bedauernd hinzuweisen. Neben einer äußerst selektiven Bibliographie (1217-1221), deren LAB-bezogener Teil 16 Zeitschriften- und Buch-Titel umfaßt, gibt es kein Autorenregister, so daß auch auf diesem Wege eine bibliographische oder gar diskursive Erschließung der wichtigsten Literatur zum LAB nicht möglich ist.

Für die weitere Arbeit am Liber Antiquitatum Biblicarum ist mit diesem Kommentar eine gründliche und zuverlässige Arbeitsgrundlage gegeben; sie wird sich für die Forschung am Neuen Testament und seiner Umwelt als wichtiges Hilfsmittel erweisen.