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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

560 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Gellner, Christoph

Titel/Untertitel:

Schriftsteller lesen die Bibel. Die Heilige Schrift in der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Verlag:

Darmstadt: Primus 2004. 224 S. m. Porträts. gr.8°. Geb. EUR 24,90. ISBN 3-89678-521-4.

Rezensent:

Thomas Dörken-Kucharz

Profil gewinnt man durch Hervorheben und Weglassen, ein scharfes Profil erst, wenn man die richtigen Linien betont und Überflüssiges beiseite lässt. Christoph Gellner ist das bei allen 13 von ihm porträtierten Autoren gelungen. Im Herausarbeiten der biblischen Bezüge dieser Schriftstellerinnen und Schriftsteller entstanden überraschende und spannende, von dieser Seite so meist noch nicht ausgeleuchtete Porträts. Die ausgewählten Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind ein guter Querschnitt durch die deutschsprachige Literatur des 20. Jh.s, die aber bestand nicht nur aus 13 Autoren. Da nimmt der Untertitel des Buches »Die Heilige Schrift in der Literatur des 20. Jahrhunderts« den Mund zu voll. Und die porträtierten Autoren sind auch nicht die einzigen, die sich auf die Bibel beziehen. Das macht im Übrigen das instruktive Einleitungskapitel G.s selbst deutlich, in dem er den Bogen der schriftstellerischen Adaption der Bibel von Herder und Goethe über Heine, Rilke, Brecht bis Thomas Mann, Franz Fühmann, Christa Wolf und Wolfdietrich Schnurre spannt – um nur einige zu nennen. Wer sich also durch den Untertitel nicht irreleiten lässt, nimmt ein ungemein spannendes und lehrreiches Buch zur Hand.
Im Eröffnungskapitel behauptet G., die schriftstellerische Be­gegnung mit der Bibel eröffne »neue Zugänge zu der in der Bibel verdichteten Lebens- und Leidengeschichte der Menschen mit ihrem Gott« und verschaffe »ihren abgründigen Urfragen und bis heute uneingelösten Sehnsüchten ungeahnte existentielle Brisanz« (16). Das fordere Literaturwissenschaft wie Kirche und Theologie heraus und der Gewinn für den Leser liege »in der entbanalisierenden Erfahrungs[ver]schärfung« (16). Nach der Lektüre der Porträts wird man diese Sätze sofort unterschreiben.
Allen Porträts, denen jüdischer und denen christlicher Provenienz, ist – ausgenommen vielleicht Christine Lavant – gemeinsam, dass auf ihnen spürbar der Schatten der Shoah liegt. Sie alle arbeiten sich mit biblischem Stoff und biblischen Bezügen an diesem unendlichen schwarzen Schatten ab. Ein ungebrochener Um­gang mit dem biblischen Material ist schon deshalb ausgeschlossen. Aber auch davon abgesehen wäre der »gläubige«, der affirma­tive Zugang nicht zu erwarten. Vorgestellt werden hier nicht Autoren »christlicher« oder »jüdischer« Literatur in diesem Sinn, sondern Schriftsteller, die sich in aller Freiheit und gelegentlich als erklärte Atheisten mit der Bibel beschäftigen, sich an ihr und ihren Figuren reiben und aus ihr schöpfen. Und welcher Reichtum sich da auftut, kann man kaum treffender beschreiben, als es G. mit seinem Eingangszitat von Heinrich Heine tut: »Welch ein Buch! Groß und weit wie die Welt, wurzelnd in die Abgründe der Schöpfung und hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels.« (9) Und manchmal möchte man dieses Zitat dann sogar auf die einzelnen Werke oder Autoren beziehen, die G. vorstellt. Ob »wirkliche Kunst, welches Motiv auch, … stets religiös« ist, wie Else Lasker-Schüler behauptet (20), ist gar nicht so entscheidend und würde wahrscheinlich z. B. von Grass oder Hildesheimer – zwei anderen porträtierten Autoren – auch als irrelevant abgetan werden; entscheidend ist, dass die Schriftsteller aus biblischen Stoffen schöpfen und sie neu, kritisch und kreativ zur Sprache bringen. Die Porträts machen große Lust einerseits auf die biblischen Geschichten, die man doch noch einmal gegenlesen möchte, andererseits darauf, die Schriftsteller selbst weiterzulesen. Auf meinem persönlichen Lektüreplan stehen jedenfalls nach dem Lesen von G. Grete Weil, der frühe Grass und Hildesheimer.
Positiv hervorzuheben ist auch die aufwändige und interessante Gestaltung des Buches. Und dass das Bachmann-Kapitel auf Seite 187 abbricht, tut dem keinen Abbruch. Wie mir G. versicherte, fehlen nur noch wenige Worte. Sie seien hier nachgeliefert: »… und das wird unsere Freiheit sein«.
Ein Buch taucht ja auf dem Schreibtisch des Rezensenten auf wie eine gute Fee. Und nach der Lektüre hat man folglich drei Wünsche frei. Es sind kleine Wünsche, die die Leistung des Buches nicht schmälern. Ich wünschte mir erstens eine manchmal weniger adjektivisch aufgeladene Sprache, zweitens mehr Querverbindungen zwischen den einzelnen Autoren und drittens in jedem Porträt noch zwei Seiten, auf denen G. die selbst formulierte Herausforderung für Theologie und Kirche annimmt und mit dem jeweiligen Autor/Autorin das (fiktive) Gespräch sucht.