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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

558–560

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Belting, Hans

Titel/Untertitel:

Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen.

Verlag:

München: Beck 2005. 240 S. m. zahlr. Abb. gr.8°. Lw. EUR 29,90. ISBN 3-406-53460-0.

Rezensent:

Hans Georg Thümmel

Einleitend entwickelt B. eine Bildtheorie, die weithin an der Gegenwart orientiert ist, an der Flut der Bilder, an einer virtuellen Welt von Bildern, die nicht mehr auf anderes verweisen, sondern selbst Realität sind. Die Macht der visuellen Medien wird ebenso abgehandelt wie die Wirkungen, die sie hervorrufen. Dem kann man weithin zustimmen. Dies aber wird nun auf die Frage nach dem echten Bild zugeschnitten und am Christusbild exemplifiziert. Offenbar soll es bei einem echten Bild um größtmögliche Ähnlichkeit mit dem Dargestellten gehen. Das bedingt nach B. eine Orientierung am Körper. B. geht davon aus, dass wir nach einem echten Bild verlangen (7). Wenn ich solches Verlangen noch nicht verspürt habe, hat dies nicht viel zu besagen, aber ich vermag dieses Verlangen auch in den Quellen nicht zu finden.
Insgesamt handelt es sich um die Anwendung einer Theorie auf einen Gegenstand in seiner Ganzheit, d. h. auf die ganze Geschichte des christlichen Bildes, unabhängig davon, dass die historischen Kontexte jeweils verschieden waren. Der Ausgangspunkt ist die Sache selbst, der Körper, und das Zeichen für die Sache, wobei das Bild als weitere Größe eingeführt wird, die vom Zeichen zu unterscheiden ist. Von daher ergibt sich die Fragestellung: Da das Bild sich wie das Zeichen auf die Sache bezieht, steht die getreue Darstellung des Gegenstandes zur Debatte. Dies aber scheint kaum das Problem bei denen gewesen zu sein, die seinerzeit Bilder herstellten oder benutzten.
Das Buch bietet, zumeist thesenartig, eine Fülle von Problemen. Ich kann mich hier nur mit einigen Fragen paradigmatisch auseinandersetzen. Dafür, dass ich sehr vieles anders sehe, verweise ich auf meine einschlägigen Arbeiten. Eine Auseinandersetzung ist deswegen so schwierig, weil B. zwar alles weiß und dies gelegentlich auch zum Ausdruck bringt, aber dann doch wieder davon ab­sieht und in einer Weise generalisiert, die Unterschiede verwischt. Größere theoretische Teile sind kaum auf Bilder oder Texte bezogen.
Ein erstes Kapitel bemüht sich um die theologische Einordnung Christi. B. sieht die Schwierigkeit darin, die göttliche Natur darzustellen. Er wirft den Theologen vor, von persona die Bedeutung »Maske« unterschlagen zu haben, die er für das Christusbild in Anwendung bringt (46). Dies kann schon deshalb nicht überzeugen, weil auch Gottvater und der Heilige Geist als »Personen« bezeichnet werden, was B. sehr wohl weiß (78). Und von den Gegnern des Epiphanios bis zu Ioannes von Damaskos und darüber hinaus herrscht Konsens, dass die göttliche Natur nicht darstellbar ist und nicht dargestellt wird, sondern nur die menschliche. Dass im Christusbild (oder auch im Heiligenbild) etwas Göttliches sichtbar werden müsse, ist eine neuzeitliche Vorstellung. Eine frühere Zeit hat Göttliches nicht physiognomisch wiederzugeben versucht, sondern durch Symbole (etwa den Nimbus) bezeichnet.
Wenn B. meint, dass »die Authentizität« von Acheiropoiiten »eine doppelte« war, »eine durch Körperkontakt und eine durch physiognomische Ähnlichkeit« (57), dann muss festgestellt werden, dass das Erstere von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen ist, die Wiedergabe physiognomischer Ähnlichkeit aber außerhalb der Möglichkeiten großer Zeiträume der Kunstgeschichte lag. Vielmehr sind Schemata von Personen wiedergegeben und die Identität mit dem Dargestellten ist durch die Beischrift hergestellt worden. Die Acheiropoiiten spielen innerhalb der Geschichte der christlichen Bildkunst nur eine bescheidene Rolle. Sie waren we­sentlich Reliquien. Auch andere Bilder haben nicht die Rolle ge­spielt, die B. ihnen zuweist.
Die Hagia Sophia des 6. Jh.s soll den Rahmen für eine Topographie von Bildern geboten haben (83), doch war das Architektur­system nicht für Bilder geeignet. Solche gab es auch nur an der Schranke und auf Vorhängen.
Das 2. Kapitel ist dem Corpus Christi gewidmet. Auch hier kann ich vielem nicht zustimmen (»Die Reformatoren« schlossen an »die Buchreligion an, die im Christentum überwunden worden war«, 88). Dass mit der Transsubstantiation ein neuer Glaubenssatz entstand (90), stimmt so kaum. Die Realpräsenz wurde auch geglaubt, bevor sie dogmatisch durchformuliert war. Die geweihte Hostie im Hinterkopf ottonischer Kruzifixe machte diese zu würdigen Ob­jekten der Verehrung.
Das Veronika-Tuch erfüllt kaum B.s Ansprüche an ein »echtes Bild« (117–132). Die Veronika mit Tuch begegnet als Szene im Passionskreis, und das Tuch mit dem Gesicht hat dann auch seinen Platz unter den Arma Christi. Wohl erst im späteren 15. Jh. gibt es eine separate Darstellung des Tuches mit dem Gesicht Christi. Diese tritt oft an Stellen auf, wo sich auch der Schmerzensmann befinden kann, und ist offenbar gegen diesen austauschbar. Dann handelt es sich um eine Darstellung des leidenden Christus, die zwar ikonographischen Traditionen folgt, aber doch frei variabel durch den Künstler ist. Ob es (vor 1527) Darstellungen des Tuches gibt, die als Kopie der Reliquie gelten können, ist fraglich. Beglaubigte Kopien gehören erst dem 17. Jh. an (129). Den Wandel von der Kopie zum Bild, der ein neues Zeitalter signalisieren soll (132), kann man genau umgekehrt sehen.
Ein 3. Kapitel versucht, das Verhältnis von Bildern und Zeichen zu klären. Das 4. Kapitel ist der Reformation gewidmet. Der Bildersturm war nach Meinung von B. anachronistisch (171–182). Immerhin hat es solche Aktionen gegeben. Dass es hierbei einen Unterschied zwischen Luthertum und Calvinismus gegeben hat, wird nirgends erwähnt. Im Luthertum haben die Bilder weithin die Reformation überlebt. Man gehe nur einmal durch St. Lorenz in Nürnberg oder das Doberaner Münster.
Dass die gedruckten Bilder gegen die gemalten ins Feld geführt wurden (173), wird kaum den Verhältnissen gerecht. Wenn mit der Reformation »Gesichter« der Zeitgenossen die »Ikonen« der Heiligen ersetzt haben sollen (173–196), so ist das kein Kennzeichen der Reformation, sondern entspricht einer allgemeinen Tendenz, die zunächst in der noch relativ jungen Porträtkunst und der Vervielfältigungsmöglichkeit begründet ist. Erst als die ähnliche Abbildung einer Person möglich war, gibt es auch das Porträt als Gemälde oder als Einblattholzschnitt für diejenigen, die wissen wollten, wie etwa der Täuferkönig von Münster ausgesehen hat. Jetzt erst gibt es auch die Frage nach dem Aussehen Jesu, aber dies spielt im Gesamt der Zeit eine marginale Rolle. Jetzt erscheinen auch im katholischen Bereich die mit einem Porträt versehenen Grabdenkmäler hoher Kirchenfürsten und die Prälaten-Galerien. Zu vergleichen wären die vielen Bilder von Kardinal Albrecht von Mainz, sowohl die von Cranach gemalten wie die Kupferstiche Dürers.
B. blendet die ganze vorreformatorische Tradition aus, auf der die reformatorische Kunst aufbaut. Wenn jetzt »Christus gleich dreimal im Bilde dargestellt« ist und dies eine neue Lesehaltung bezeugen soll (187), dann kann ich nur auf den doppelten Christus im Weltgerichtsbild des 14. Jh.s verweisen (Multiplicatio et variatio, hrsg. M. Müller, 1998, 139–151). Ein Satz wie »Erasmus hat nur Leser, Luther aber vorwiegend Hörer« (196), ist einfach falsch. Luther hat vor allem durch seine Schriften gewirkt, gehört haben ihn nur wenige.
Alles scheint verschoben, aber dadurch kaum zutreffender be­zeichnet (174). Was richtig gesehen ist, wird durch Einseitigkeiten fragwürdig. Insgesamt geht es um den Versuch, eine Theorie am kunstgeschichtlichen Material zu verifizieren. Das war offenbar nur möglich, indem manches uminterpretiert, ein großer Teil des historischen Befundes ausgeblendet und auf Belege zurückgegriffen wurde, die nicht das in einer Zeit Übliche repräsentieren.