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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

546–549

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Thomassen, Einar

Titel/Untertitel:

The Spiritual Seed. The Church of the »Valentinians«.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. XV, 545 S. gr.8° = Nag Hammadi and Manichaean Studies, 60. Geb. EUR 129,00. ISBN 90-04-14802-7.

Rezensent:

Ismo Dunderberg

Obwohl seit 1992 eine Reihe von Monographien über einzelne Valentinianer erschienen ist, hat es doch an einer umfassenden Synthese des valentinianischen Christentums gefehlt, die alle jetzt zur Verfügung stehenden Quellen mit einbeziehen würde. Dieses Desiderat ist jetzt durch die Untersuchung des Bergener Religionsgeschichtler Einar Thomassen gefüllt. Es handelt sich um eine lehrreiche Analyse der valentinianischen Lehre, ihrer phasenhaften Entwicklung und ihres intellektuellen Hintergrundes. Darüber hinaus werden die Hinweise auf das Ritual in den valentinianischen Quellen sorgfältig herausgearbeitet.
Das Buch ist in fünf Hauptteile und in nicht weniger als 32 Kapitel gegliedert. Einige Kapitel sind sehr kurz (3–5 Seiten), was dem Buch auf den ersten Blick einen etwas fragmentarischen Eindruck verleiht. Allerdings stellt sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass eine wirklich argumentative Studie vorliegt. Jeder Teil fügt sich in ein neues Gesamtbild des Valentinianismus ein, das in dieser Studie wirklich gebaut wird, anstatt es einfach vorauszusetzen, was bei solchen Synthesen oft der Fall ist.
Die »drei grundlegende[n] Dimensionen des religiösen Diskurs der Valentinianer«, denen sich Th. widmet, sind die Heilsgeschichte (bzw. Soteriologie), der philosophische Mythus und das Ritual (134). Die Soteriologie bildet laut Th. die Mitte der valentinianischen Lehre; von ihr her sind sowohl die mythische Spekulation als auch die rituelle Praxis der Valentinianer zu verstehen. Im ersten Hauptteil rekonstruiert Th. auf Grund von Ansichten des Theodotus eine »Soteriologie der gegenseitigen Teilnahme (participation)«, die auch in anderen valentinianischen Quellen zu finden sei. Sie bestehe aus den folgenden Ideen: 1. Der Erlöser hatte einen geistlichen Körper, der mit dem geistlichen Samen der Weisheit (Sophia) und dem der erwählten Kirche identisch war. 2. Der Erlöser nahm auf sich Leiden und Sterben, in denen die Erwählten sich fanden, um sie zu erretten. 3. Auf diese Weise erwies sich auch der Erlöser selbst als erlösungsbedürftig. Dieses Modell ist m. E. eine der wichtigsten neuen Erkenntnisse in Th.s Arbeit. Es bringt die Diskussion über die naive Auseinandersetzung zwischen dem »Doketismus« und dem »Anti-Doketismus« hinaus und zeigt, wie wichtig der Sühnetod Jesu für die meisten Valentinianer eigentlich war.
Die Theorie von einem anderen, psychischen Christus, dessen Aufgabe es war, die psychischen »Kirchenchristen« zu retten, hält Th. für eine sekundäre Entwicklung der valentinianischen Theologie (68). Weiterhin identifiziert er die erste soteriologische Position mit dem »östlichen« und ihre spätere Modifizierung mit dem »westlichen« Valentinianismus. Wenn auch diese Zweiteilung auf patristischen Texten beruht, akzeptiert Th. ihr Zeugnis nur mit großen Vorbehalten. Er nimmt kühn an, dass Hippolyt (Ref. 6.35.5–7) die Ursachen dieser unterschiedlichen Ansichten so gut wie völlig missverstand und über die Vertreter der jeweiligen Positionen schlecht informiert war (40–45).
In seiner Analyse der valentinianischen Protologie (Teil III) unterscheidet Th. dann auch ganz ähnlich zwischen dem »östlichen« »Typ A«, in dem weder die individuellen Namen der Aeonen noch ihre Nummern im göttlichen Pleroma erwähnt worden sind, und dem »westlichen« »Typ B«, in dem die Namen und die Nummern der Aeonen vorhanden sind (194). (Die zwei Typen sind nicht mit der üblichen Unterscheidung zwischen den Systemvarianten A [Hauptzeuge: Irenäus] und B [Hauptzeuge: Hippolyt] der valentinianischen Theologie zu verwechseln; laut Th. gehören die beiden Varianten zum westlichen »Typ B«.)
Hier fällt auf, dass Ptolemäus doch auf die Seite des »westlichen« Valentinianismus tritt, obwohl seine Soteriologie laut Th. eher in der Nähe der »östlichen« valentinianischen Theologie stehe (127). Ptolemäus sei der Vater des »Typ B«, und auf seine Studie gehen die systematischen Darstellungen der valentinianischen Protologie bei Irenäus, Hippolyt, und Clemens letztendlich zurück (266). Es bleibt offen, wie diese Theorie mit Th.s einsichtigen Beobachtungen über die Unterschiede zwischen dem Brief des Ptolemäus an Flora und dem valentinianischen System in Irenäus zu vereinbaren ist, die ihn zum Schluss führen, dass Ptolemaeus »der Autor des Systems in Irenäus nicht sein kann« (120 f.).
Th.s Analyse vom intellektuellen Hintergrund der valentinianischen Protologie ist dagegen durchaus einleuchtend. Die Beziehungen des valentinianischen Mythus zu neupythagoreischen Theorien über die Verbreitung des Alls von einem Urprinzip und über Numerologie (270–288) sowie auch sein Verhältnis zu antiken embryologischen Vorstellungen (307–314) sind in aller Deutlichkeit gezeigt. Auf Grund dieser Analyse besteht kein Zweifel darüber, dass es sich bei der valentinianischen Protologie um »eine Allegorie von einer philosophischen Lehre« handelt, die erklärt, »wie Passion aus Pluralität entstand« (269).
Im vierten Hauptteil rekonstruiert Th. den valentinianischen Ritus der Initiation. Hier wird auf Grund der Hinweise auf Sakramente in den valentinianischen Quellen eine genau bestimmte Abfolge der rituellen Handlungen rekonstruiert: Kathekese; vorbereitende Zucht (z. B. Fasten, Beten und Handauflegung); Handlungen vor der Taufe (z. B. Auskleiden); Konsekration des Wassers und Öls; das Taufen; die Salbung und die Eucharistie nach der Taufe. Während ein solcher Ritus als Ganzes in keiner valentinianischen Quelle beschrieben wird, gewinnt das Gesamtbild Plausi­bilität durch den Vergleich mit der rituellen Praxis der anderen frühchristlichen Gemeinden (Kapitel 28). Th. betont zu Recht, dass die rituelle Praxis der Valentinianer nicht wesentlich von derjenigen der anderen Christen abweiche (353.398). Der Ritus des Brautgemachs sei reine Erfindung von Irenäus (376; vgl. allerdings EvPhil § 68), und die Erlösung (apolytrôsis) sei als ein Sterbesakrament nur in einem besonderen valentinianischen Zweig praktiziert worden (Kapitel 29).
Im letzten Hauptteil werden die Valentinianer, deren Namen wir von den Schriften ihrer Opponenten her kennen, separat vorgestellt. Der wichtigste Abschnitt in diesem Teil ist die ausführliche Analyse der Fragmente des Valentins (Kapitel 30 f.). Schon früher in der Arbeit wurde Irenäus’ Darstellung von Valentins Theologie (Haer. 1.11.1) als eine unzuverlässige Quelle abgelehnt – sie und Clemens, Exc. Theod. 23.2, gehen laut Th. auf ein und dieselbe häresiologische Quelle zurück, die ihrerseits auf eine ältere Quelle der valen­tinianischen Theologie beruhe (253). Allerdings meint Th., die Fragmente des Valentin seien im Licht der üblichen valentinia­nischen Theologie zu interpretieren (431–490). Diese Entscheidung begründet er mit der Hypothese, dass die Gemeinsamkeiten der sonst unterschiedlichen valentinianischen Lehrmeinungen auf Va­lentin selbst zurückgehen (425–429). Dieser Ausgangspunkt, den schon Gilles Quispel vorschlug (»The Original Doctrine of Valen­tine«, VigChr 1 [1947], 43–73), bleibt nach wie vor methodisch fragwürdig und überzeugt kaum diejenigen, die Valentins Verhältnis zu seinen Schülern inzwischen problematisiert haben.
Während Th.s geistesgeschichtliche Analyse in mancher Hinsicht überzeugend ist, bleibt m. E. die geschichtliche und sozialgeschichtliche Einordnung des valentinianischen Christentums in seiner Arbeit etwas lückenhaft. Vor allem hätte man von ihm eine ausführlichere Demonstration der These erwartet, dass die Valentinianer eine eigene Kirche bildeten. Es kann sein, dass die Art und Weise, in welcher das Buch geordnet ist (Soteriologie-Mythologie-Ritual), als ein Argument für diese Position gemeint ist. Jedoch fehlt es an ernsthafter Auseinandersetzung mit der Alternativ­these, derzufolge der Valentinianismus großenteils als eine Schulbewegung innerhalb der christlichen Kirche des 2. Jh.s zu verstehen ist. Schließlich ist zu bedauern, dass die ethische Dimension der valentinianischen Ausbildung in dieser Studie außer Acht bleibt, obwohl in den vorliegenden Quellen auch Unterweisung betreffs der sittlichen Lebensführung reichlich vorhanden ist (z. B. der Brief des Ptolemäus; EvVer; EvPhil; die Auslegung der Erkenntnis).
Zusammenfassend ist allerdings festzustellen, dass Th. mit seinem Buch eine beeindruckende Synthese seiner langjährigen Be­schäftigung mit valentinianischen Texten vorstellt. Es ist wirklich bewundernswert und vorbildlich, wie sorgfältig, sachkundig und einsichtsvoll alle einschlägige Quellen – einschließlich des oft übersehenen valentinianischen Lehrbriefs (Epiphanius, Pan. 31, 5–6; 213–230) – in dieser Arbeit analysiert werden.