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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

541 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Moorhead, John

Titel/Untertitel:

Gregory the Great.

Verlag:

London-New York: Routledge 2005. VII, 177 S. 8° = The Early Church Fathers. Kart. £ 17,99. ISBN 0-415-23390-9.

Rezensent:

Katharina Greschat

Die Reihe ›The Early Church Fathers‹ will jedem Interessierten einen Zugang zu den Kirchenvätern eröffnen, deren Werke ihm auf Grund der schieren Textmengen und der nicht immer vorhandenen Übersetzungen weitgehend unzugänglich erscheinen. Dementsprechend folgt einer Einleitung in Leben und Denken des jeweiligen Kirchenvaters in jedem Band eine Auswahl zentraler Textpassagen in englischer Übersetzung, versehen mit knappen kommentierenden und erläuternden Zwischenstücken des Autors.
Diesem Anspruch mit seinem Band ›Gregory the Great‹ gerecht zu werden, dürfte John Moorhead, McCaughey Professor of History an der University of Queensland (Australien), nicht leicht gefallen sein, betont er doch, dass Gregors Aussagen auf einen westlichen Menschen des 21. Jh.s vollkommen ungewohnt und fremd wirken (1). Um Gregor aber dennoch auch vor diesem Publikum zum Sprechen zu bringen, gibt M. zunächst einen gut lesbaren Überblick über dessen Lebensumstände in den schwierigen Zeiten des ausgehenden 6. und beginnenden 7. Jh.s und vergleicht Gregors Wirksamkeit als Bischof von Rom mit der eines »active dean« einer modernen Universität, der unter der schweren Last der Gremienarbeit seufzt und sich das Leben eines normalen Lehrers und Forschers zurückwünscht (9). Neben all diesen Belastungen verfasste Gregor seine auf die Auslegung biblischer Schriften ausgerichteten Werke, deren Chronologie, Absicht und Struktur in aller Kürze erläutert werden. M. schildert Gregor als Mann in einer Zeit des Übergangs, die – ähnlich wie der nur wenig später entstehende Islam – für die zunehmende Konzentration einer Elite auf die Interpretation nur eines einzigen religiösen Buches steht. Gregors allegorische Deutung des für ihn maßgeblichen Buches, die nicht nur den Text, sondern auch die gesamte vorfindliche Welt auf eine tiefere und göttlichere Wirklichkeitsebene verweisen lässt, wird dem modernen Leser mit erstaunlichem Wohlwollen nahegebracht, das noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar zu sein schien. So vergleicht M. etwa Gregors Umgang mit dem Bibeltext mit dem wie­derholten Hören eines längst vertrauten und geschätzten Musikstücks, das immer wieder anders und tiefer durchdrungen werden möchte, so dass eine innige Beziehung zwischen Zuhörer und Mu­sik entsteht. Diesen Zugang zum Text der Bibel stellt M. deshalb auch an die Spitze seiner Textauswahl (49–67).
Als Denker bleibt Gregor in M.s Darstellung hingegen ohne eigene Kontur und als Theologe lediglich zweitrangig. Was er zu Fragen wie ›body‹ oder ›gender‹ (33 f.) zu sagen hat, erscheint wenig aufregend und lediglich der historischen Situation geschuldet. Dass er sich ausdrücklich für Probleme rund um Hierarchie und Macht interessiert, hat zwar mit der Verstärkung der kirchlichen Machtstrukturen im Zeichen der Sakramentsvermittlung zu tun, doch bleibt diese einem modernen Menschen ebenso fremd wie die Vorstellung von der ständigen Präsenz des Teufels als Gottes altem Feind, die bereits Harnack so an Gregors Aussagen gestört hatte. Insofern erscheint Gregor tatsächlich unendlich fern und kaum zugänglich zu sein; doch M. beharrt darauf, dass er es dennoch wert sei, sich auch heute noch mit ihm zu befassen. Denn auf welche Art und Weise Gregor das Innere des Menschen, seine Seelenzustände und verschiedene psychologische Mechanismen beschreibt, etwa indem er über die Sünde, die Auswirkungen des Stolzes und sein Heilmittel der Demut und Nächstenliebe, über die Notwendigkeit der vita activa und der Sehnsucht nach der vita contemplativa nachdenkt, hat jedem etwas zu sagen. Dementsprechend gliedert sich auch M.s weitere Textauswahl, in der er Gregors anspruchsvolles Latein in klar strukturiertes und flüssiges Englisch bringt.
Diese spirituelle Dimension der gregorianischen Texte will er den Menschen des 21. Jh.s näherbringen, gerade auch in ihrer Sehnsucht (desiderium) nach der endgültigen Ruhe und Stabilität bei Gott, die sich in der beliebten buddhistischen Spiritualität mit ihrer Auslöschung von Sehnsucht keineswegs findet:
»The spiritual tradition from which Gregory speaks points in the reverse direction. In the midst of transience and turbulence, it was yearning that enabled him to keep functioning, in the hope that that which was now unattainable distant in the end be the object of his loving contemplation, face to face« (48).
Über dessen gleichsam überzeitliches Bibelverständnis und Spiritualität findet M. einen Zugang zu der auf den ersten Blick fremd wirkenden Gedankenwelt Gregors des Großen, während die Be­schäftigung mit der Aussageabsicht der Texte im historischen Zu­sammenhang des ausgehenden 6. Jh.s und darüber hinaus eindeutig in den Hintergrund tritt.