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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

527 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Peterson, Erik

Titel/Untertitel:

Der Erste Brief an die Korinther und Paulus-Studien. Aus d. Nachlass hrsg. v. H.-U. Weidemann.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. XCVI, 468 S. gr.8° = Ausgewählte Schriften, 7. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-429-02835-0.

Rezensent:

Eduard Lohse

Die Reihe der Ausgewählten Schriften von Erik Peterson ist um einen weiteren, stattlichen Band bereichert worden. Der junge katholische Gelehrte H.-U. Weidemann hat sich mit vorbildlicher Sorgfalt der Aufgabe angenommen, P.s Vorlesung über den 1. Ko­rintherbrief aus dessen Bonner Zeit (1924–1929) herauszugeben und durch einige kleinere exegetische Beiträge, die für das Verständnis des 1. Korintherbriefs von Bedeutung sind, zu ergänzen. In einer ausführlichen Einleitung bestimmt er den theologiegeschichtlichen Ort, der dieser Vorlesung P.s neben anderen exege­tischen Arbeiten zukommt, und führt den Leser in das Verständnis des Textes ein, der vom Autor ja nicht zur Veröffentlichung hatte vorbereitet werden können. Wichtige Nachweise, die Bezug­nahmen auf zeitgenössische gelehrte Arbeiten erläutern, sind in den Anmerkungen angegeben. Dem Leser wird dadurch vorzüglich begründete Orientierung gegeben, um sich mit P.s Verständnis der paulinischen Theologie vertraut machen zu können. Seine Vorlesung umfasst die Teile 1Kor 1,1–5,5 sowie 10–14 und 15,1–34. Zu den übrigen Kapiteln werden kurze Überblicke geboten, so dass ein ge­schlossenes Bild, das der Interpretation des ganzen Briefes gilt, entworfen wird.
P.s grundsätzliches Verständnis der paulinischen Theologie tritt aus seiner Interpretation deutlich hervor. Er macht geltend, man müsse diese stärker als zumeist gesehen im Licht des 1. Korintherbriefs bewerten. Nur dann werde Paulus recht beurteilt, »der als kirchlicher Organisator zugleich auch Schöpfer der ersten Kirchenordnungen war« (218). Paulus müsse als »Apostel der Ausnahme« betrachtet werden. Zwar »war kein Mensch, sondern Christus selber« der Lehrer, der Paulus »unterrichtet hat, indem er ihm die Wahrheit enthüllte« (6). Daher habe er niemals durch die Apostel zum Apostel investiert werden können (8). Aber seine Berufung erweise sich als solche als eine Ausnahme (10) »in der Form des über die Zwölfzahl Überschüssigen, in der Form der Spätgeburt« (18, Anm.). Zum Apostel der Ausnahme ist er berufen kraft »Heiligen Rechtes«, »das unmittelbar von Gott stammt« (28).
Doch wie steht dieser Apostel der Ausnahme zu den Zwölfen, die schon vor ihm zu Aposteln berufen waren? Nicht Paulus, sondern Petrus kommt als demjenigen, dem die erste Erscheinung des Auferstandenen zuteil wurde, der Primat zu. Mit Nachdruck betont P.: »Die Idee der apostolischen Tradition« – für deren rechte Gestalt Petrus eintritt – »kann man nur dann ablehnen, wenn man in den Aposteln keine Stellvertreter Christi sieht« (134). In der Kirche aber müsse es irgendwo eine Instanz geben, »wo die autoritativen Träger der apostolischen Tradition vorhanden sind« (377). Daraus aber folgt für P.: »Das bleibt auch heute noch eine Forderung für die evangelische Kirche, dass irgendwo eine solche Instanz, die über die Aufrechterhaltung der apostolischen Tradition wacht, vorhanden ist« (ebd.). Aus dieser These aber wird die schwerwiegende Folgerung gezogen: »Wo das nicht der Fall ist, verliert auch die Berufung auf das Neue Testament jeden Sinn« (ebd.).
Im Gegensatz zu einer Paulusinterpretation, die den Römerbrief eng mit dem Galaterbrief zusammennimmt (218), fordert P., der den Epheser- und den Kolosserbrief zu den authentischen Briefen zählt: »Nur dann kann ein richtiges Paulusbild sich ergeben, wenn Rö­merbrief und Kolosserbrief synoptisch erfasst werden.« (344) Aus dieser Perspektive wird dann auch der Kirchenbegriff des Paulus in den Blick genommen. Die Ekklesia Gottes ist »eine durch Gott einberufene Versammlung der zur Himmelsstadt gehörigen Bürgerschaft« (29). Durch die Taufe werde ein »character indelebilis« verliehen, »der untilgbar ist« (175). Denn die Taufe ist »eine Rechtshandlung, durch die ein ganz bestimmter Rechtszustand und darüber hinaus, weil ja dieses Rechtsgeschäft sich zwischen Himmel und Erde abspielt«, durch das »ein übernatürlicher Rechtszustand und ein daraus resultierendes übernatürliches Sein geschaffen wird« (ebd.). Luther – so wird mit dem Empfinden einer gewissen Erleichterung festgestellt – sei »konsequent katholisch« geblieben, da er die Wirkung des Sakraments »nicht vom Glaubensakt abhängig ge­macht hat« (271). »Auch Ungläubige empfangen Leib und Blut des Herrn, wenngleich sie sich damit das Gericht herbeiführen.« (272)
Wie für die Taufe so gilt auch für die Eucharistie, »dass nur da, wo substantiell Leib und Blut Christi sakramental empfangen werden, auch die Realität des Kreuzes wirklich festgehalten wird« (273). Kritik am Zustand der evangelischen Kirche kann infolgedessen nicht ausbleiben. Denn wenn heute »unsere evangelischen sonntäglichen Feiern zum größten Teil ohne Herrenmahl begangen werden, so zeigt das mit erschreckender Klarheit, dass wir einfach nicht mehr wissen, was Sonntag und Sonntagsfeier ist« (256, Anm. 355). Zwar hat P. diesen Satz später wieder gestrichen, doch spricht er ohne Zweifel in der ursprünglichen Fassung seine pointierte Meinung aus. Denn die Predigt sei »gar kein Charakteristikum der christlichen Religion. Auch das Judentum hat in seinem Synagogengottesdienst die Predigt gekannt. Was das Christentum vom Judentum unterscheidet, sind die Sakramente, also Taufe und Abendmahl.« (78)
Das sind gewichtige Sätze, die nicht nur von Exegeten, sondern auch im ökumenischen Gespräch weiter bedacht sein wollen. Zum rechten Verständnis gibt der umsichtig argumentierende Herausgeber ein Zitat weiter, in dem Joseph Ratzinger 1972 die gewichtige Feststellung trifft: dass »Eucharistie nicht Privatfeier von Zirkeln sein kann, sondern sie selbst nur bleibt, wenn sie öffentliche Versammlung des Ganzen ist, in der die ganze Gemeinde eins wird mit dem Herrn und so eins untereinander … Die Eucharistie der Gemeinde muss öffentlich sein und einig in ihr selbst, sie muss darüber hinaus öffentlich sein auf die Öffentlichkeit der Gesamtkirche hin, so dass jeder Christ an jedem eucharistischen Tisch in der ganzen Welt gleichermaßen zuhause ist.« (LXX, Anm. 214)
Diese kurzen Hinweise mögen verdeutlichen, welche herausfordernde Anregungen P.s Auslegung des 1. Korintherbriefs bietet. Außer den laufend berücksichtigten gelehrten Kommentaren, die damals zur Verfügung standen, nimmt P. des Öfteren auf Arbeiten aus der »religionsgeschichtlichen Schule« Bezug und führt zu 1Kor 15 einen kritischen Dialog mit Karl Barth. Doch seine Auslegung ist ebenso wie die bereits vorliegenden Erklärungen zu anderen neutestamentlichen Schriften nicht so sehr einer kritischen Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur wegen als vielmehr um der profiliert herausgearbeiteten theologischen Position des Exegeten willen gründlichen Studiums wert. Daher sei mit ausdrück­lichem Dank an den Herausgeber, der sich um ein sachgerechtes Verständnis P.s überaus verdient gemacht hat, der Wunsch verbunden, dass die Herausgabe der »Ausgewählten Schriften« guten und zügigen Fortgang nehmen möchte.