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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

522–524

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ebel, Eva

Titel/Untertitel:

Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden. Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römischer Vereine.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XVI, 276 S. m. Abb. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 178. Kart. EUR 59,00. ISBN 3-16-148201-8.

Rezensent:

Udo Schnelle

Diese Greifswalder/Erlanger Dissertation (bei P. Pilhofer) wendet sich einem Thema zu, das in der neueren Forschung verstärkt das Interesse auf sich zieht. Die Vfn. stellt im Einleitungskapitel die plurale Situation dar, in der sich die Christen in der antiken Gesellschaft vorfanden. Wer mit dem Gedanken spielte, sich einer christlichen Gemeinde anzuschließen, für den lag ein Vergleich mit antiken Vereinen auf der Hand. Ein Einblick in die Institution antiker Vereine (vor allem auf der Basis epigraphischer Zeugnisse) »läßt somit in besonderer Weise erkennen, welchen Aktivitäten antike Menschen vielfach in ihrer Freizeit nachgehen, welche Hoffnungen und Erwartungen sie an eine Gemeinschaft hegen und welche Lösungen sie bei innerhalb der Gemeinschaft auftretenden Konflikten finden« (4). Um dieses Ziel zu erreichen, untersucht die Vfn. nicht alle denkbaren Elemente antiken Vereinslebens, sondern konzentriert sich auf zwei ausgewählte Beispiele, um aufzuzeigen, wie antike Vereine funktionierten. Als Grundlage dienen Satzungs-Inschriften, die einen Einblick in die Organisation religiös-geselliger Vereine bieten.
Als erstes Beispiel werden die Realien der seit Th. Mommsen in der wissenschaftlichen Diskussion stehenden Inschrift der ›cultores Dianae et Antinoi‹ dargestellt. Die Inschrift ist auf das Jahr 136 n. Chr. zu datieren und hat den Zweck, Beitrittswillige über die Bedingungen des Beitritts und die Regeln des Gemeinschaftslebens zu informieren. Bei dem collegium handelt es sich um eine Art Sterbeversicherung, deren rechtliche Grundlagen und Vertragsbedingungen in der Inschrift geregelt werden. Es ist genau festgelegt, welche Summe beim Tod eines Mitgliedes zur Bestreitung der Bestattung ausgezahlt wird und welche Abzüge bzw. Einschränkungen es bei Abweichungen vom Normalfall gibt. Überwiegend dürften ärmere Menschen Mitglieder dieses Vereins gewesen sein. Neben der finanziellen Absicherung von Bestattungen gab es im Verein gesellige und kultische Aktivitäten. Der Geselligkeit dienten vor allem die gemeinsamen Mähler, deren Organisation und Durchführung in der Inschrift präzis bestimmt werden. Über die kultischen Praktiken des Vereins lässt sich nur wenig sagen, weil allein die Schutzgötter Diana und Antinous, der Geliebte des Kaisers Hadrian, in der Inschrift genannt werden. Die Stärken dieses Vereins liegen nach Meinung der Vfn. vor allem »in der Zusicherung des funeraticium, der Gemeinschaft und Geselligkeit, der gleich­berechtigten Aufnahme von Sklaven und der Möglichkeit, durch Ämter Respekt und Anerkennung zu erlangen« (73). Aber auch deutliche Schwächen sind zu konstatieren: Die seltenen und eher spärlichen Gemeinschaftsmähler können mit den wöchentlichen Herrenmahlsfeiern der Christen kaum konkurrieren. Insgesamt bot der Verein keine attraktive Form von Religion an, die in der Lage gewesen wäre, das Leben der Mitglieder wirklich zu formen.
Als zweites Beispiel dient ein Verein von Bakchos-Verehrern aus Athen, von dem nicht nur eine umfangreiche und gut erhaltene Inschrift vorliegt, sondern auch Grabungsfunde ihres Vereinshauses, das im Zentrum des antiken Athen lag und 1894 entdeckt wurde. Die Grundstrukturen des Vereinslebens sind aus der Inschrift, die zwischen 174 und 178 n. Chr. entstanden sein dürfte, deutlich zu erkennen. Die ausschließlich männlichen Mitglieder des Vereins gehörten der mittleren bis gehobenen Gesellschaftsschicht an. Insbesondere die Söhne von Vereinsmitgliedern wurden beim Erreichen des Erwachsenenalters Mitglied, so dass der Verein von bestimmten Familien dominiert wurde und eine relativ geschlossene Größe bildete. Der Verein verfügte offenbar über vermögende Mitglieder und Patrone, von denen der berühmteste Herodes Attikos war. Eine große Rolle spielte der Dionysos-Kult; so begingen die Vereinsmitglieder regelmäßig die Festtage des Dionysos und hiel ten gemeinsame Mahle mit religiösem Charakter ab. Nach dem Zeugnis der Vereinsinschrift existierten eine ganze Reihe von Ämtern; so wurden kultische, richterliche und organisatorische Aufgaben wahrgenommen. Es handelt sich bei diesem Verein zweifellos um eine exklusive Vereinigung, in die allein Männer des gehobenen Standes aufgenommen wurden. Frauen und andere Mitglieder einer Familie hatten keinen Zugang, was als ein Nachteil im Verhältnis zu anderen Vereinen zu werten ist.
In den anschließenden Kapiteln werden die beiden Vereine mit der Gemeinde von Korinth verglichen, wobei die gemeinsamen Mahlzeiten im Mittelpunkt stehen. Als entscheidenden Unterschied bestimmt die Vfn. die Häufigkeit der Gemeinschaftsmähler, wobei sie für Korinth mit Verweis auf 1Kor 16,2 für wöchentlich stattfindende Mähler plädiert. »Die christliche Gemeinde übertrifft, was die Anzahl der Gemeinschaftsmähler angeht, den mit bescheidenen Mitteln agierenden Verein in Lanuvium mit seinen sechs im ordo cenarum verzeichneten Mahlzeiten bei weitem. Aber nicht nur das: Auch die finanziell wesentlich bessergestellten Athener Iobakchen reichen mit ihren monatlichen Zusammenkünften und den zusätzlichen Festtagen an das, was die christliche Gemeinde quantitativ an gemeinsamen Essen zu bieten hat, nicht heran. Unter den um Mitglieder konkurrierenden Gemeinschaften im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. haben die christlichen Gemeinden in diesem Punkt die führende Position inne – niemand trifft sich häufiger zum Mahl« (163). Eine mögliche sozialgeschichtliche Erklärung für die Missstände bei den korinthischen Gemeinschaftsmählern könnte darin liegen, dass sowohl die reicheren als auch die ärmeren Gemeindemitglieder jeweils auf ihrem bisherigen Hin­tergrund handelten: Die reichen Gemeindemitglieder waren es gewohnt, an Vereinsmahlen teilzunehmen, bei denen der Tisch immer reich gedeckt war. Die ärmeren konnten sich beklagen, weil sie anders als bei den normalen Vereinsmählern nur die Speisen essen konnten, die sie selbst mitbrachten. Als weiteren Vergleichs­punkt untersucht die Vfn. die jeweiligen Regelungen für den Ausschluss von Vereins- bzw. Gemeindegliedern. 1Kor 5,1–13 lässt gravierende Unterschiede erkennen, denn für neue Gemeindeglieder musste es überraschend sein, für ein Fehlverhalten, dass möglicherweise gar nicht im Zusammenhang mit den Vereinsaktivitäten stand, für immer ausgeschlossen zu werden. In paganen Vereinen beziehen sich die Maßregelungen der Mitglieder immer auf ihr Verhalten während der Vereinszusammenkünfte, nicht aber auf die allgemeine Lebensführung. In der christlichen Gemeinde wurde das gesamte Leben der Mitglieder bewertet und in eine eschatologische Perspektive gestellt. Schließlich wird die jeweilige Gerichtsbarkeit verglichen. Wiederum ist die paulinische Regelung radikaler, indem insgesamt von den Gemeindegliedern gefordert wird, Streitigkeiten nur vor Richtern der Gemeinde auszutragen. Dies kann man für pagane Vereine nicht voraussetzen. Ein weiterer charakteristischer Unterschied liegt in der Anrede und Selbstbezeichnung ›Bruder‹ in den christlichen Gemeinden vor, die auf alle Angehörigen der Gemeinde jenseits der Familien- und Standesgrenzen ausgedehnt wird.
Das abschließende Kapitel fasst die Gründe für die Attraktivität früher christlicher Gemeinden im Verhältnis zu griechisch-römischen Vereinen zusammen. Als Schlüssel zum Erfolg christlicher Gemeinden betont die Vfn. die Offenheit für Menschen aller Stände, aller Geschlechter und aller Berufe. Diese Offenheit stellt den größten Unterschied gegenüber paganen Vereinen dar. Die Bekehrung ›ganzer Häuser‹ (vgl. 1Kor 1,16; Apg 16,15; 18,8) zeigt, dass Angehörige aller Stände und Schichten zu deren neuer Gemeinschaft gehören konnten. Durch den Verzicht auf formale Zulassungsbedingungen schlossen sich insbesondere Frauen und Mitglieder unterer Gesellschaftsschichten (vor allem Sklaven) in einem erheblichen Maß den neuen Gemeinden an.
Insgesamt eine sehr überzeugende Untersuchung, deren Stärke gerade in der Begrenzung der Fragestellung liegt. Es gelingt der Vfn., sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen paganen Vereinen und christlichen Gemeinden präzis zu beschreiben und plausible Gründe für den Erfolg der Christen zu benennen.