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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

515–517

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kofoed, Jens Bruun

Titel/Untertitel:

Text and History. Historiography and the Study of the Biblical Text.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2005. XIV, 298 S. m. Abb. gr.8°. Geb. US$ 34,50. ISBN 1-57506-094-9.

Rezensent:

Stefan Alkier

Bei dieser Monographie handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Ph.D Thesis, die Kofoed im Juni 2002 der Universität Aarhus, Dänemark, vorgelegt hat, ein Theoriebeitrag zur Erforschung des »ancient Israel history writing« (IX).
Die Studie geht von der Behauptung aus, dass in der Debatte über den epistemologischen und historiographischen Wert alttes­tamentlicher Texte methodische Fragen und die Diskussion der den jeweiligen analytischen Untersuchungen zu Grunde gelegten Präsuppositionen vernachlässigt worden seien. K.s Studie ruft die Komplexität der zu berücksichtigenden methodischen, epistemologischen, hermeneutischen, literaturwissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen und ontologischen Fragestellungen in Erinnerung. Theologische Fragen werden vernachlässigt. Als Testfall seiner theoretischen Überlegungen zieht er die Königsbücher heran.
Kapitel 1, Introduction, stellt der u. a. von Niels Peter Lemche vertretenen Auffassung, die alttestamentliche Literatur trüge nichts zur Kenntnis der vorhellenistischen Geschichte Israels bei, die Grundthese der Untersuchung entgegen: »the texts of the Hebrew Bible contain much more reliable information than the above-mentioned ›sceptics‹ claim … consequently, … it must be included rather than excluded from the pool of reliable data for a reconstruction of the origin and history of ancient Israel« (4 f.). Um den gewichtigen Einwänden der »Skeptiker« grundlegend entge­genzutreten, möchte K. Kriterien erarbeiten, die den Schritt vom Text zur Geschichte methodisch kontrollieren. K. entnimmt neueren Geschichtstheorien wie etwa der von Hayden White die Einsicht, dass jede Geschichtsdarstellung auf bewussten oder unbewussten theoretischen Vorannahmen und Darstellungsstilen fußt, die zu einer Pluralität von möglichen Geschichtsdarstellungen führen. Er nutzt allerdings nicht die Chance des einführenden Kapitels, die beiden Begriffe »Text« und »History« zu klären, um sie dann auch konzeptionell durchdacht aufeinander zu beziehen. Stattdessen bleibt er zum Schaden seines Unternehmens in der zweistelligen Logik von »fact and fiction« gefangen, die ihn zwangsläufig das Rankesche Credo bekennen lässt: »The historian (as well as peoplein general) still wants to know what happened« (18).
Wer von dieser Studie eine grundlegende Klärung des Verhältnisses von Text und Geschichte auf der Höhe der geschichtstheo­retischen, philosophischen, semiotischen, literaturwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen und theologischen Forschung der Gegenwart erwartet, wird enttäuscht. Die wichtigen damit verbundenen theologischen Grundfragen geraten nicht in den Blick. Neben der kategorialen Semiotik zeigen aber gerade diese die Unzulänglichkeit der zweistelligen Logik von Faktum versus Fiktion auf, zumal Faktum dabei auch noch explizit mit Wahrheit und implizit Fiktion mit Lüge verbunden werden (vgl. 16). Wohin gehört in dieser Logik das Handeln Gottes in den Königsbüchern? Diese Frage kann in dem von K. perpetuierten Geschichtsverständnis nicht in ihrer notwendigen ontologischen und theologischen Komplexität angegangen werden.
Das umfangreiche Kapitel 2, The Lateness of the Text, widmet sich dem Wunsch, methodisch kontrolliert die Textgeschichte hinter die ältesten erhaltenen Manuskripte zurückzuverfolgen. Die Möglichkeit der Abfassung der Königsbücher bereits in vorexilischer Zeit erschließt K. im Anschluss an Meir Malul mittels komparativer Methoden. Darüber hinaus plädiert K. in Anschluss an Birger Gerhardsons Untersuchung »Memory and Manuscript« aus dem Jahr 1961 für die grundsätzliche Möglichkeit der Identifikation mündlicher Überlieferung in schriftlichen Texten Israels, da Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht als übergangslose Oppositionen zu verstehen seien (vgl. 80 f.). Eine Auseinandersetzung mit der für diese Frage wichtigen Position Erhardt Güttgemanns fehlt allerdings. Güttgemanns Studie »Offene Fragen zur Formgeschichte« fehlt im Literaturverzeichnis ebenso wie auch andere neuere deutschsprachige Studien zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die aus dem Umfeld der Neuen Formgeschichte stammen.
Das dritte Kapitel, Linguistic Differentiation, untersucht die Möglichkeit, frühes und spätes biblisches Hebräisch zu unterscheiden. K. vertritt die Auffassung, dass es einen Unterschied zwischen dem Hebräisch der Königsbücher und den als sicher spät einzustufenden Texten wie Esra und Nehemia gibt, allerdings könne sprachgeschichtlich nicht eruiert werden, aus welcher Zeit die Königsbücher stammen.
Die konkretesten Ergebnisse für die Datierung der Königsbücher erzielt K. im vierten Kapitel, The Comparative Material. Er zieht zum Vergleich mit den Königsbüchern vornehmlich J. B. Pritchard’s Edition »Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament« heran und hält als seine Grundthese stützendes Ergebnis fest: »the books of Kings evidently (a) have the foreign rulers in the right sequence, (b) have the correct historical spellings of their names, and (c) report accurately about their interactions with the Israelite and Judean kings whenever we can check them against external sources. … If the author of the books of Kings wrote in Hellenistic or Persian times, how did he get it so right? … The most likely answer is … that the author/editor of Kings had access to reliable sources and that a basic trust in his historical information, there­fore, is heuristically defensible and commendable – not only when we can check the information elsewhere, but generally« (188). Was aber heißt hier »generally«? Bezieht sich diese weitgehende Behauptung K.s nur auf chronistische Angaben von Herrschernamen und Re­gierungszeiten, also auf prinzipiell eruierbare und messbare Da­ten, oder soll von der behaupteten Triftigkeit empirisch überprüfbarer Daten auf die Geschichtsschreibung der Königsbücher als Ganze geschlossen werden? Das allerdings wäre ein Kategorienfehler, der die semiotische Differenz zwischen empirischen Daten, kontingenten Ereignissen und enzyklopädischen Plausibilitätsstrukturen mit den damit verbundenen jeweiligen Annahmen über die den Ereignissen zu Grunde liegenden Wirkmächte verwischte. Kann man von der orthographischen Triftigkeit der Schreibweise von Herrschernamen auf die historische Triftigkeit der Erzählung von der Gottesbegegnung des Elia am Horeb (1Kön 19) schließen? Und ist 1Kön 19 nur dann wahr, wenn es so gewesen ist?
Das fünfte und abschließende Kapitel, Genre, versucht die Frage zu klären, ob die Königsbücher intendierte Geschichtsschreibung darstellen. Auch hier fragt K. zunächst komplexitätsreduktionis­tisch: »how does one determine whether a given text is fact or fiction?« (194) In Anschluss an Thomas O. Beebee bringt K. dann aber zur Geltung, dass die Definition und Rekognition von Gattungen selbst historisch-kulturell bedingt sei. Diese Erkenntnis führt ihn aber nicht zur Rückfrage, ob die zweistellige Logik von Fact and Fiction nicht ebenso historisch-kulturell bedingt sei. Vielmehr versucht er das Problem dahingehend zu entschärfen, dass die Zuordnung zu Fiktionalität und Faktualität kulturell verschieden ausfallen kann und die eindeutige Zuordnung zumeist sehr schwierig sei, wobei er zur Unterscheidung das Drei-Schichten-Modell Paul Ricœurs empfiehlt. Schließlich drängt ihn seine Kritik an der Un­terscheidung von »historiography« und »antiquarianism« zu dem Vorschlag, einen neuen Ansatz zu entwickeln, der der Frage nachgehen soll: »how to describe the texts on their own terms« (234). Der Skizze dieses Ansatzes sind die letzten 12 Seiten gewidmet. K. möchte dafür das Schichten-Modell Ricœurs mit den von J. Marincola vorgeschlagenen Kriterien kombinieren.
Marincola zufolge soll nicht eine Gattungsdefinition die Untersuchung his­torischer Werke anleiten. Vielmehr soll gefragt werden »whether they are narrative or nonnarrative, and what their focalization, chronological limits, chronological arrangement, and subject matter are« (235). K.s Skizze seiner zukünftigen Untersuchung nimmt ihre Ergebnisse vorweg. Demnach handelt es sich bei den Königsbüchern um ein »multigenre product« (236), das insgesamt aber unzweifelhaft als »historical narrative« (240) einzuschätzen ist, und endlich, aber kaum vorbereitet wird ihr Thema angegeben als »the religious life of Israel and Judah as represented by their kings and queens« (243). Es bleibt zu hoffen, dass die anvisierte Studie klären wird, inwiefern der Terminus »religious life«, der nicht erläutert wird, dem Anliegen zuträglich ist »to describe the texts on their own terms« (234). Der Rezensent steht dem eher skeptisch gegenüber, aber er ist offen für Überraschungen.