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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

501 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berner, Ulrich, Bochinger, Christoph, u. Rainer Flasche [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Opfer und Gebet in den Religionen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 180 S. 8° = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, 26. Kart. EUR 39,95. ISBN 3-579-01842-6.

Rezensent:

Catherina Wenzel

Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Theologie hat 2005 den Sammelband Opfer und Gebet in den Religionen veröffentlicht, der den Arbeitsprozess der Mitglieder der Fachgruppe Religions- und Missionswissenschaft in Bezug auf das gegebene Thema dokumentiert.
Der Band enthält 13 Beiträge, die zwei Teilen zugeordnet worden sind. Eine Stärke des Bandes liegt darin, dass er eine repräsentative Fülle religiöser Traditionen und Arbeitsmethoden bietet. Es sind sowohl die großen Weltreligionen wie Hinduismus (von An­nette Wilke), Islam (von Ursula Spuler-Stegemann; zu den Beson­der­heiten in Indonesien: Olaf Schumann), Judentum (von Karl Hoheisel) und Katholizismus (von Franz Wolfinger) beispielhaft behandelt, afrikanische Religion (von Umar H. D. Danfulani und Afeosemime Adogame) kommt zur Sprache sowie Darstellungen aus der Religionsgeschichte (altägyptische, mandäische und aztekische Religion, je von Carsten Koch, Hans Wißmann und Edmund Hermsen). Dem Vorwort entsprechend wird Wert auf Analyse und Darstellung der religionsgeschichtlichen Daten gelegt und die historisch-kritische und analytische Methode favorisiert.
Die Frage, warum in einem Band Opfer und Gebet zusammen behandelt und aufeinander bezogen sind, wird damit begründet, dass man beides nach Gerardus van der Leeuw und Friedrich Heiler als eine Form der Kommunikation des Menschen mit einer hö­heren Macht verstehen könne. So ganz selbstverständlich scheint mir das jedoch gar nicht zu sein. Während ich das Opfer im Feld Gabe, Tausch, Gewalt verorten würde, würde ich das Gebet stärker im Kontext von Magie und Beschwörung bedenken. Nicht immer überschneiden sich diese Felder, wie Annette Wilke am Beispiel des Opfergebetes im Hinduismus zeigt oder Karl Hoheisel, der sowohl jene Gebete betrachtet, die im Zusammenhang von Opfern stehen, als auch die Übertragung des Opfergedankens auf das Gebet in frührabbinischer Zeit untersucht.
Es wird des Öfteren dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, dass in der Literatur Opfer und Gabe verwechselt werden. Mindes­tens genau so wichtig wäre es gewesen, darauf zu verweisen, dass die deutsche Sprache keine Unterscheidung zwischen victim und sacrifice zulässt. Das wiederum scheint kein Zufall zu sein, da Rainer Flasche in seiner Einleitung keinen Zusammenhang zu ge­genwärtigen Debatten zum Opfer herstellt. Alle religionswissenschaftlichen Publikationen, die er dort zitiert, sind älteren Datums: van der Leeuw, Heiler, Anwanders Wörterbuch der Religion von 1948, Goldammers Formenwelt des Religiösen von 1960. In einer Einführung über Opfer und Gebet in der Religionswissenschaft kann man schlechterdings nicht nur über Religionsphänomenologie handeln! Da es gerade in den letzten Jahren zum Opfer wirklich lebendige Diskussionen gab, vermisst man doch sehr die Kenntnisnahme einschlägiger Studien wie Walter Burkerts Homo Necans von 1972, René Girards Das Heilige und die Gewalt (Paris 1972/Zü­rich 1987) oder auch den bei Suhrkamp 2000 erschienenen Band Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte. Irritierend finde ich auch den in der Einleitung verwendeten Begriff Religionenwissenschaft statt Religionswissenschaft. Solche Unwörter tragen ge­mein­hin nicht zum besseren Verständnis der Sache bei. Die Einleitung nimmt die Lust am Weiterlesen, was nicht gerechtfertigt ist:
Der Beitrag von Ulrich Berner über die analytische Religionsphilosophie (Dewi Z. Phillips; Ian T. Ramsey; Vincent Brümmer) führt vor Augen, wie sich die Methoden (seit der Religionsphänomenologie) weiter entwickelt haben und was sie zu leisten vermögen, wobei er ganz zu Recht die dort vorgenommenen Abwertungen bezüglich Aberglauben oder Magie für die religionswissenschaftliche Begriffsbildung zurückweist. Umar H. D. Danfulani untersucht an den Chadic-Sprechern der Ngas, Mupun und Mwa­gha­vul in Nigeria den Zusammenhang zwischen Leid (besonders Krankheiten), Opfer und Versöhnung. Es gelingt ihm, die Verknüpfung und die Wechselwirkung zwischen der Stammesgesellschaft, ihren religiösen Vorstellungen und Begriffen, individueller Erfahrung sowie der Praxis der Chadic-Sprecher vorzuführen. Für Franz Wolfinger sind das Fürbittengebet und die Messe als Opfer typisch für die katholische Konfession. Ursula Spuler-Stegemann bietet unter der Prämisse, dass der Islam eine Religion mit nur sehr wenigen Riten ist, weitreichende Ausführungen zum islamischen Opferverständnis sowie zum Gebet. Was hier im Band leider fehlt, ist der vergleichende Blick. Denn wenn man z. B. das islamische und das christliche Gebet vergleichen würde, so fiele doch auch auf, dass wir es mit zwei verschiedenen Raumordnungen zu tun haben: Alle Muslime verneigen sich zu den festgelegten Gebetszeiten in Richtung Mekka. Nach christlichem Verständnis ist der Bezugspunkt hinsichtlich des Gebetes ein transzendenter. Beim gemeinsamen Gebet während des Gottesdienstes wendet man sich nach Osten, dorthin, wo die Sonne aufgeht und von wo die Wiederkunft des Auferstandenen erwartet wird.
Eine Auseinandersetzung mit der Dimension von Opfer, Gewalt und dem Heiligen liegt im Beitrag von Hans Wißmann über die Religion der Azteken vor. Sie glaubten u. a., dass das Blut der Menschen die Sonne in göttlicher Gestalt ernähre, damit sie aufgehe und ihrerseits Leben schenke. Gedanken vom sterbenden Gott, der durch seinen Tod alle ernährt, erinnern an den altägyptischen Osiris, der nach und nach mit dem Sonnengott Re verschmolzen ist. Leider nimmt Edmund Hermsen diesen Gedanken nicht auf, viel mehr beschreibt er die Praxis der kultischen Opfer und Gebete, wobei er sich bemüht, Beispiele vom Alten Reich bis zu den Isis­mys­terien aufzugreifen. Es ist manchmal schade, dass zwischen den Beiträgen keine Beziehungen geknüpft wurden, und bei allem Lob für das Projekt bleibt zu wünschen, dass es mehr Austausch zwischen den einzelnen Autoren gibt oder dass Veröffentlichungen solche Prozesse besser widerspiegeln.