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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

40 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Harland, Peter J.

Titel/Untertitel:

The Value of Human Life. A Study of the Story of the Flood (Genesis 6-9).

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XIII, 245 S. gr. 8° = Supplements to Vetus Testamentum, 64. Lw. hfl. 150.­. ISBN 90-04-10534-4.

Rezensent:

Markus Witte

Bei dem anzuzeigenden Werk handelt es sich um eine von R. W. L. Moberly betreute und 1992 an der Universität Durham angenommene Dissertation, die für den Druck durchgesehen wurde. Im Mittelpunkt der Studie steht die These, daß das menschliche Leben, so wie es in Gen 6-9 geschildert werde, nicht an sich unantastbar sei, sondern allein Wert erhalte aus seiner Bezogenheit auf Gott, den Schöpfer, den souveränen Herrn über Leben und Tod und den gerechten und barmherzigen Richter. Am deutlichsten zeige sich der aus der Relation zu Gott erhebbare Wert des Menschen in der Gottesebenbildlichkeit als der zum Wesen des Menschen gehörenden, sich im dominium terrae verwirklichenden Repräsentation Gottes auf Erden.

Der Vf. zeichnet detailliert nach, wie der Wert des menschlichen Lebens in den hypothetisch bestimmbaren literarischen Quellen der Fluterzählung definiert wird und wie sich durch die redaktionelle Verbindung der Quellen auf der Ebene der Endgestalt des Textes eine neue Perspektive für die Frage nach der Würde des Lebens ergeben hat. Methodisch bemüht sich der Vf. um die in der bisherigen Forschung zu wenig geleistete Vermittlung zwischen einer diachronen Analyse, die die Fluterzählung getrennt nach ihren literarischen Quellen auslegt, und einer holistischen Exegese, die sich ausschließlich auf die Endgestalt des Textes konzentriert.

Die Studie ist klar gegliedert und behandelt nach einer Einführung zu methodologischen und terminologischen Voraussetzungen jeweils in einem eigenen Kapitel sieben zentrale Themen der Fluterzählung (1. Die Ursachen der Flut; 2. Die Gerechtigkeit Noahs; 3. Gottes Reue; 4. Schöpfung ­ Vernichtung ["uncreation"] ­ Neuschöpfun; 5. Wiederherstellung; 6. Genesis 9,1-7; 7. Die Imago Dei).

Dabei interpretiert der Vf. die Gesamtkomposition der Fluterzählung, die er auf Gen 6,5-9,29 abgrenzt, als ein Paradigma von Sünde, Gericht und Gnade. In literarkritischer Hinsicht schließt sich der Verfasser der klassischen Urkundenhypothese an: So entfalle auf die "Priesterschrift" Gen. 6,9-22; 7,6.11.13-16a.17a.18-21.24; 8,1-2a.3b-5.13a.14-19; 9,1-17.28-29. Der Rest gehe auf den "Jahwisten" zurück. Dem Redaktor von "P" und "J" werden keine eigenen Texte zugewiesen, eine Einordnung des Redaktors in die alttestamentliche Literaturgeschichte erfolgt nicht. Obgleich der Redaktor in der Fluterzählung quantitativ "P" das Übergewicht zugestehe, habe die Endgestalt von Gen 6-9 kein einseitig "priester(schrift)liches" Profil.

Jedes Kapitel der Monographie bietet neben Begriffsuntersuchungen, etymologischen Erwägungen und ausgewählten inner-alttestamentlichen Textvergleichen zunächst eine Interpretation der theologischen Schwerpunkte der Quellen, sodann eine Darstellung, wie sich die spezifisch "priesterschriftlichen" und "jahwistischen" Vorstellungen auf der Ebene des Endtextes gegenseitig auslegen, ergänzen, korrigieren und verstärken. Die einzelnen Kapitel schließen jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung, die eine schnelle Orientierung über die erzielten Ergebnisse erlaubt.

Die Arbeit besitzt eine dezidiert theologische Ausrichtung, die immer wieder das Gespräch mit Entwürfen einer Theologie des Alten Testaments sucht. Im einzelnen liefert die Studie zahlreiche interessante Beobachtungen sowohl zur Komposition der Endgestalt von Gen 6-9 als auch zur Anthropologie und zur Theologie der Fluterzählung.

Leider hat der Vf. aber neuere Arbeiten, die in ähnlicher Weise die durch die Quellenkombination entstandene Überlieferungsgestalt kompositionell und theologisch würdigen, nicht berücksichtigt. So vermißt der Rez. vor allem den Dialog mit der Monographie von E.-J. Waschke, Untersuchungen zum Menschenbild der Urgeschichte, ThA 43, Berlin 1984. Die in der Einleitung gebotene Definition des Begriffs Mythos vernachlässigt einschlägige Positionen der neueren nichtenglischsprachigen Forschung. Die vom Vf. referierte Pentateuchdiskussion entspricht nicht dem gegenwärtigen Forschungsstand.

Beigegeben sind dem lesenswerten Buch eine Bibliographie, die allerdings bei deutschsprachigen Titeln überdurchschnittlich viele Druckfehler enthält, ein Index moderner Autoren und ein ausführliches Bibelstellenregister.