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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

38–40

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Alexander Achilles

Titel/Untertitel:

Skepsis oder Furcht Gottes? Studien zur Komposition und Theologie des Buches Kohelet.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. X, 289 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 247. ISBN 3-11-015458-7.

Rezensent:

Thomas Krüger

Mit dieser 1995 abgeschlossenen und 1996 in Marburg als Dissertation angenommenen Arbeit greift F. "die bis heute in der Auslegung unterschiedlich beantwortete Grundfrage auf, ob Kohelet ein skeptischer Philosoph oder ein jüdischer Weiser gewesen sei, und setzt zugleich ein Fragezeichen hinter diese Alternative" (1). Um von der "ipsissima vox" Kohelets ausgehen zu können, unterzieht F. das Koheletbuch zunächst einer knappen kompositions- und redaktionskritischen Analyse (Kap. I).

Sie führt zu dem Ergebnis, daß neben einer jüngsten "Bearbeitung", die an zentralen Stellen theologische Korrekturen einträgt (Koh 3,17; 6,10; [8,8b;] 9,3b; 11,9b; 12,12-14), und einer ihr bereits vorliegenden "Glossierung" in 1,1aßb und 12,11b, die Kohelet mit Salomo identifizierte, noch eine ältere "Redaktion" greifbar wird, die dem Buch im wesentlichen seine jetzt vorliegende Gestalt gegeben und neben der Überschrift 1,1* ("die Worte Kohelets") und dem Epilog 12,9-11 sowie dem Leitwort 1,2 und 12,8 eine Reihe von Überleitungen formuliert hat (u. a. 4,16b; 6,9b.11 f.; 7,23 f.; 8,16 f.; 10,14). Von Kohelet lagen dieser Redaktion neben dem "Traktat" 1,3-3,15 noch themengebundene "Kompositionen" (5,9-6,9; 9,1-12; 11,1-12,7), aus der Spruchüberlieferung zusammengestellte und glossierte "Schultexte" (4,17-5,6; 7,1-22; 9,13-10,13) sowie eine Reihe von Einzeltexten vor, welche sie in 3,16-4,16; 7,25-8,15 und 10,15-20 zusammenstellte. Kohelet selbst hat neben zahlreichen Einzelsprüchen z. B. in 1,4-8; 3,1-8; 9,7-10 und 12,3-5 auch umfangreichere Textstücke aufgenommen und in seinem Sinne bearbeitet.

In Kap. II interpretiert F. sodann exemplarisch einige der von ihm rekonstruierten "ursprünglichen Kompositionen" Kohelets (5,9-6,9; 7,1-22; 9,1-12 und 11,1-12,7), um im Anschluß daran den "Traktat des Kohelet" (hier: 1,3-3,9) genauer in den Blick zu nehmen (Kap. III). 3,10-15 als "Summe der Lehre Kohelets" bildet schließlich die Grundlage für die abschließende Beantwortung der Frage, ob "Skepsis oder Furcht Gottes" für (den historischen) Kohelet charakteristisch seien (Kap. IV). Sie läßt sich mit F.s eigenen Worten folgendermaßen zusammenfassen:

Kohelets Lehren "zeichnen sich dadurch aus, daß sie in der weisheitlichen Tradition verwurzelt und zugleich an eine theologische Grundposition gebunden sind, die wir mit der praktischen Anerkennung der Majestät Gottes angemessen [!] beschrieben haben. Dabei gründet seine skeptische Begrenzung der Weisheit in der gewonnenen Überzeugung, daß Gottes umfassendes Welthandeln dem Menschen schlechthin verborgen ist [vgl. 3,11]. Zugleich erweist sich Gott in seiner Allmacht über alles Geschehen erhaben, so daß sich ihm gegenüber die Furcht Gottes als einzig mögliche Haltung empfiehlt [vgl. 3,14 f.]. Der damit verbundene fundamentale Abstand zwischen Gott und Mensch wird schließlich durch das carpe diem als Erweis seiner Güte ertragen [vgl. 3,12 f.]. Obwohl Kohelet mit seiner Betonung der majestas dei in der spätbiblischen Weisheit nicht isoliert dasteht, sind seine Lehren ihr gegenüber insofern einzigartig, als sie nicht nur die Furcht Gottes anmahnen, sondern auch das carpe diem und damit Gott als den Geber allen Glücks in die Mitte rücken." Für die praktische Lebensführung ergibt sich aus diesen Lehren: "Einerseits soll der Mensch mit vollem Einsatz seinen Geschäften nachgehen und es nicht an praktischer Klugheit fehlen lassen ... Andererseits soll er ebenso vorsichtig wie besonnen handeln ... nicht das Risiko suchen, sondern auch den Eventualfall einberechnen ... Schließlich und vor allem soll er es nicht versäumen, sein Glück zu genießen, wann immer es sich bietet ..." (248).

Wesentlich anderes wäre zum jetzt vorliegenden Koheletbuch wahrscheinlich auch nicht zu sagen gewesen (und ähnliches ist dazu bereits mehrfach gesagt worden). Bedauerlicherweise zeichnet F. seine Sicht der Rezeption Kohelets durch die verschiedenen von ihm angenommenen Bearbeitungen nicht ausführlicher redaktionsgeschichtlich nach. Dabei wäre u. a. auch interessant gewesen, ob bei diesem Rezeptionsprozeß auch der (bis zur Bildung der "Megillot" bestehende) enge literarische Zusammenhang der "salomonischen" Schriften Prov-Koh-Cant eine Rolle spielte. (Wurde Koh vielleicht von Anfang an als Ergänzung zu Prov verfaßt?)

So bedenkenswert eine Reihe der von F. entwickelten bzw. wieder aufgegriffenen Hypothesen erscheint ­ seine Argumentation weist leider mehr Schwächen und Lücken auf, als das recht selbstbewußte Auftreten des Autors ("wir"!) suggeriert, der nicht selten "mit Fug und Recht" behaupten zu können meint, ein Text sei "so und nicht anders" zu interpretieren, seine eigene Deutung sei "eindeutig", "einzig richtig" und "hinreichend bewiesen", alle anderen Hypothesen dagegen "als erledigt zu betrachten".

Seine redaktionsgeschichtliche Analyse von Koh 1,1-2 und 12,8-14 "begründet" F. ausschließlich mit Verweisen auf Sekundärliteratur (3 f.), seine Abgrenzung der jüngsten Bearbeitung überhaupt nicht (20, Anm.76 ­ hier noch ohne 8,8b, der dann S.160, Anm.558 hinzukommt). Sämtliche Versuche, einen planvollen Aufbau des Koheletbuchs nachzuweisen, werden in einer Fußnote ­ ohne jede sachliche Auseinandersetzung ­ als "vergeblich" abgetan (S.6, Anm.14). F.s eigene Analyse der Komposition von Koh 1,12-2,26 krankt daran, daß sich die (i.w. von Lohfink übernommene) Annahme, die Themen von 1,13-15. 16-18 und 2,1 f. würden in 2,3-11.12-17 und 18-21 in umgekehrter Reihenfolge wieder aufgenommen, am Text nicht verifizieren läßt (2,3-11 z. B. kombiniert alle drei Themen von 1,13-2,2). Schwer verständliche Aussagen des Textes werden von F. vielfach grammatikalisch und lexikalisch fragwürdig gedeutet oder einfach textkritisch "bereinigt" (z. B. 3,11; 5,19; 7,7; 9,1 f.; 11,1 f.).

Daß "das methodologische Problem, wie zwischen Kompositionstechnik des Verfassers und redaktioneller Tätigkeit eines Späteren sachgerecht differenziert werden kann", für die alttestamentliche Weisheitsliteratur "noch nicht grundsätzlich ... entwickelt" ist, merkt F. selbst an (7). Sein "Leitsatz..., daß sich ein Verfasser bei der Auswahl und Zusammenstellung seiner Texte stärker von thematischen Überlegungen leiten lassen kann, während sich die kompositionellen Möglichkeiten eines Redaktors nach den vorgefundenen, bereits fixierten Texten richten und durch diese begrenzt werden" (ebd.), leuchtet nicht recht ein, kann aber ohnehin seine eigenen Rekonstruktionen nicht tragen. Hier fällt z. B. auf, daß die von F. angenommene (erste) "Redaktion" durch 1,2; 12,8 und die von ihr geschaffenen Überleitungen "in jedem Fall das Verständnis Kohelets als eines uneingeschränkten Skeptikers gegenüber der Weisheit" betont (11), zugleich aber in 12,9-11 Kohelet als "Weisen" bezeichnet haben soll, während dieser selbst "sich wegen seiner weisheitskritischen Einstellung kaum als ein solcher verstanden haben" dürfte (25). Die von F. Kohelet zugeschriebenen Texte weisen in sich nicht weniger sachliche Spannungen auf, als zwischen diesen und den postulierten Redaktionen bestehen. (Sie werden von F. durchaus wahrgenommen, aber "ad bonam partem" unter Voraussetzung einer komplexen, aber kohärenten "Lehre Kohelets" interpretiert.) Die von F. gebrauchten Kategorien "Traktat", "Komposition" und "Schultext" wären formgeschichtlich genauer zu beschreiben. Und schließlich wäre auch die Frage nach dem Genus des Buches für seine Interpretation von Interesse ­ etwa um zu klären, ob die Suche nach einem "historischen Kohelet" und seinen "ipsissima verba" überhaupt sachgemäß ist.

So darf die vorliegende Arbeit als Darstellung einer gegenwärtig möglichen und vertretbaren Gesamtsicht des Koheletbuchs gelten. Da F. die Grundlagen und Voraussetzungen seines Ansatzes mehr präsentiert als diskutiert, sind literarkritisch weniger oder stärker differenzierende Positionen und alternative Interpretationen einstweilen wohl noch nicht "als erledigt zu betrachten".