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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

36–38

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brown, John Pairman

Titel/Untertitel:

Israel and Hellas.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1995. XXII, 407 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 231. Lw. DM 178,-. ISBN 3-11-014233-3.

Rezensent:

Reinhard Gregor Kratz

Anzuzeigen ist "the very first book to compare at length classical Hebrew and Greek Texts ­ and sometimes Latin as well", wie das Vorwort (VII) mit Dank an Otto Kaiser, der noch ein zweites Vorwort beisteuerte (XI f.), und die "superlative typography" des Verlags verkündet. Mit ihm soll der Nachweis erbracht werden "that the two literatures of Israel and Hellas ... are in fact comparable". Von der Vergleichbarkeit der Literaturen handelt indes nur das erste Kapitel "Hebrew and Greek Texts" (1-61), eine eigens für diesen Band gesammelter Aufsätze aus den Jahren 1968-1981 verfaßte "systematic introduction".

Nach einer Einführung in die Probleme des Verhältnisses von "Hebraism and Hellenism" (1-9) werden in lockerer Folge einige Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten aufgezählt. Das meiste betrifft ­ zum Teil archäologisch nachgewiesene ­ historische und kulturelle Beziehungen in vorhellenistischer Zeit, die Israel nicht mehr und nicht weniger als andere syrisch-palästinische Stadt- oder Flächenstaaten von den benachbarten altorientalischen Großreichskulturen im Osten und Süden unterscheiden und mit Kleinasien und Griechenland verbinden. Für die Literatur besagt das nicht allzu viel. Ihre gemeinsame Verwurzelung im mediterranen Lebensraum ist weder dominant noch signifikant genug, um ein für die ganze Region repräsentatives oder auch spezifisches Verhältnis behaupten zu können. Im Gegenteil, die hebräische Bibel ist ihrer ganzen Art nach das denkbar schlechteste Zeugnis für den allgemeinen griechisch-kanaanäischen Kulturkontakt und keineswegs geeignet "to fill the gap" (8).

Das einzige wirklich signifikante Phänomen ist die Ausbildung, kontinuierliche Tradierung und bis heute anhaltende Wirkungsgeschichte eines Kanons autoritativer bzw. klassischer, in vielem auch origineller Texte (10 f.13 f.). Auch der Anlaß, der Zusammenbruch alter Ordnungen (vgl. 161), mag ein ähnlicher gewesen sein, die tieferen Gründe liegen jedoch im dunkeln. Andere, die zur selben Zeit in derselben Region dasselbe Schicksal erlitten, hinterließen keine Überlieferung. Vergleichbar ist allerdings nicht die Literatur selbst, sondern allein ihr Ansehen und die Art ihrer Pflege in Israel und Hellas.

Die folgenden acht Kapitel, fünf Exkurse und ein Appendix vergleichen den Wortschatz, das "common vocabulary", in dem B. die wichtigste Stütze für seine These findet (VIII u. ö.). Sieben der acht Kapitel (2-7 u. 9) gehen auf frühere Arbeiten zurück, der Rest wurde nachgetragen, neun weitere Aufsätze listet S. 9 auf.

Die Kapitel im Buch stehen ziemlich unverbunden nebeneinander, sind aber alle nach demselben Muster gestrickt. Sie untersuchen die etymologische Verwandtschaft gleich oder ähnlich lautender Einzelwörter (Kap. 2) oder ganzer Wortfelder zu bestimmten Themen (Kap. 3-9) und tragen fleißig das einschlägige lexikographische Material aus dem Griechischen und Hebräischen unter Berücksichtigung anderer semitischer Sprachen zusammen. Darüber hinaus wird eine Unmenge von Textstellen zitiert, an denen die fraglichen Begriffe oder ihnen nahestehende Aussagen vorkommen, um auch anhand des Sprachgebrauchs im Kontext die im "common vocabulary" vermutete Gemeinsamkeit von Kultur und Literatur zu bestätigen (vgl. bes. 62-64). Begriffe, Stellen und Gegenstände lassen sich leicht über die ersten drei der fünf Indices am Schluß des Buches überblicken, die außerdem ein Verzeichnis moderner Autoren und ein generelles Sachregister bieten. Die Sekundärliteratur ist demgegenüber nur unzureichend in drei Auswahlbibliographien erfaßt (XVII-XXII sowie 287-289.327).

Über die Richtigkeit der sprachgeschichtlichen Kombinationen müssen Fachleute urteilen, die in beiden Philologien zu Hause sind. Vieles ist seit langem bekannt, wie der Vergleich des griechischen Wortindex (347 ff.) mit der Liste von H. Lewy (Semitische Fremdwörter) zeigt. Soweit es sich um Namen, Bezeichnungen von Tieren und Pflanzen oder verbreitete Kulturgüter handelt, leuchtet die Übereinstimmung auch sofort ein.

Niemand wird bestreiten, daß yawan die Wiedergabe von Iaon(Jonien) und Palaistine die Wiedergabe von pelæsæt u. ä. (Palästina) ist, daß oinos bzw. vinum (Wein) mit yayin, taurosbzw. taurus (Stier) mit sor bzw. tor und chrysos (Gold) mit hasur identisch sind. Anderes ist weniger sicher. Man kann es sich zum Teil aus älteren Nachschlagewerken wie dem Thesaurus von Gesenius zusammenlesen, in neueren ist es oft wieder verschwunden oder wird, wie Stichproben bei H. Frisk (Etymologisches Wörterbuch) u. a. ergeben, unterschiedlich gesehen. B. kann auf solche Fälle nicht verzichten, um ein Wortensemble voll zu machen, vgl. z. B. misgo, misceo = msk (den Wein) "mischen" (142 f.); sphazo (Stamm sphag) = zbh. (einen Stier) "schlachten" (199-201); basanizo = bhn (Gold) "prüfen" (19.306 f.). Immerhin geht er nicht so weit wie J. Jahuda in seinem Buch "Hebrew is Greek" aus dem Jahr 1982, zu dem Saul Levin ein freundliches Vorwort schrieb, der seinerseits mit komparatistischen Studien zu indo-europäischen und semitischen Sprachen hervorgetreten ist und dem wiederum das vorliegende Buch gewidmet ist.

Die zitierten Texte tragen für die etymologische Diskussion kaum etwas aus. Sie zeigen nur, daß die lexikalischen Übereinstimmungen hier wie dort ganz selbstverständlich zum Wortschatz gehören, wann und wo und wie auch immer sie entstanden sind. B. leistet keine historische Gesamtinterpretation der vorgeführten Befunde und rechnet mit allen möglichen Varianten der Vermittlung (18). Das ist sehr klug, da man auf diesem Feld ohnehin nur spekulieren kann. Aber gerade weil das so ist und sowohl das "common vocabulary" als auch die zitierten Textpassagen eine mediterrane Kultur belegen, die Griechenland und den gesamten nordwestsemitischen Raum umfaßt und sich historisch nicht fixieren läßt, kann man daraus weder auf ein besonderes Verhältnis von Israel und Hellas noch auf die Vergleichbarkeit der Literaturen schließen. Zahlenmäßig hält sich der gemeinsame Wortschatz auch nach dem Buch von B. in Grenzen. Nimmt man ihn als Maßstab für "similar views of the moral, emotional and divine worlds in Israel and Hellas" (64) und will danach das Selbstverständnis der Gesellschaften definieren und sogar in einzelne Epochen einteilen (223), wird er grenzenlos überschätzt. Nachhaltige Wirkung zeitigte der griechisch-palästinische Kulturaustausch erst im Zeitalter des Hellenismus, dem man sich mit der hebräischen Bibel und ihrer Kanonisierung widersetzte.