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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

35 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Shadid, W. A. R., and P. S. van Koningsveld [Eds.]

Titel/Untertitel:

Muslims in the Margin. Political Responses to the Presence of Islam in Western Europe.

Verlag:

Kampen: Pharos 1996. VII, 288 S. gr.8°. Kart. hfl. 69,90. ISBN 90-390-0520-6.

Rezensent:

Olaf Schumann

Das vorliegende Buch gehört zu den wenigen sowohl sinnvollen als auch kritisch verantwortbaren Publikationen zu diesem Thema. Es handelt sich, wie die Herausgeber im Vorwort mitteilen, um den ersten von zwei Bänden einer Sammlung von Vorträgen, die auf einem im September 1995 in Leiden, Niederlande, veranstalteten Kongreß über "Islam, Hinduismus und Politik in West-Europa" gehalten wurden; in diesem Band geht es, dem Titel entsprechend, vorwiegend um den Islam. An Problemfeldern werden hauptsächlich behandelt: die politischen Auswirkungen der dominierenden Vertretungen des Islam, in west-europäischen politischen Parteien vertretene Ansichten über den Islam, sowie Verhandlungen zwischen Muslimen und Regierungsstellen auf der nationalen oder lokalen Ebene über eine rechtliche Sicherstellung und die Anerkennung ihrer kulturellen und religiösen Identität.

Als prägender Eindruck nach der Lektüre dieses Buches bleibt haften, daß es eine auf keinen einheitlichen Nenner zu bringende Vielfalt der rechtlichen, kulturellen, politischen und ökonomischen Situationen der in großen Wellen seit den sechziger Jahren nach West-Europa migrierten Muslime gibt, daß aber auch die Situation der schon länger hier ansässigen muslimischen Migranten und selbst die der jeweils der einheimischen Bevölkerung entstammenden Muslime sehr unterschiedlich ist. Mal wird ihre Präsenz zuerst unter religiös-kulturellen, dann wieder unter ethnisch-rassischen Gesichtspunkten wahrgenommen und bewertet. Dann geht es wieder um das Problem "repräsentativer" Vertretungen der hinsichtlich ihrer nationalen Herkunft und/oder der Zugehörigkeit zu verschiedenen religiösen Richtungen im Islam in sich keineswegs homogenen muslimischen Gemeinschaften gegenüber staatlichen Stellen, die ihrerseits in einer breiten Spannbreite von kooperativ bis schikanös reagieren. Bemerkenswert ist, daß sich das Verhältnis zu den Kirchen zumeist recht kooperativ entwickelt. Das jeweils unterschiedlich bestimmte Verhältnis von "Religion (Kirche) und Staat" wirkt sich ebenfalls auf die Position aus, die den Muslimen in den west-europäischen Gesellschaften als religiösen oder ethnischen Minderheiten gewährt wird, auch hinsichtlich etwa des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen bzw. der Möglichkeit, eigene Schulen zu errichten. Dies nur als einige Beispiele der genannten Vielfalt der Situationen.

Angesichts dieser Sachlage ist es verdienstvoll, daß es in den meisten Beiträgen um die Darstellung der Situation in jeweils einem bestimmten Land bzw. Staat geht und Vergleiche zu anderen Staaten nur dort gezogen werden, wo sie sinnvoll sind. In den insgesamt fünfzehn Beiträgen werden die Situationen in den Niederlanden, Frankreich, Spanien, der Schweiz, Belgien, Italien und Dänemark beleuchtet. Grundsätzliche thematische Artikel steuern Roger Ballard (Manchester, "Islam and the Construction of Europe") und David Herbert (London, "Habermas, MacIntire and the Representation of Religious Minorities") bei, während Bassam Tibi (Göttingen) über Indien als warnendes Beispiel eines Landes berichtet, das die in seiner Verfassung verankerten Grundsätze einer säkularen, egalitären Gesellschaft im Interesse tagespolitischer und gruppenorientierter Kompromisse verwässert und damit entstehendem Fundamentalismus und Extremismus einen fruchtbaren Nährboden bereitet.

Eine umfangreiche Bibliographie beschließt diesen informativen Band mit seinen solide recherchierten Darstellungen und Analysen, den durchzuarbeiten jedem empfohlen ist, der oder die sich Sorgen machen um die künftige gesellschaftliche Entwicklung in West-Europa und insbesondere um das Problem, wie hier mit Minderheiten, die nicht aus West-Europa stammen, aber hier bleiben werden, umgegangen wird bzw. umzugehen ist.

Leider fehlt Deutschland in der Reihe der Länderanalysen (Großbritannien wird wenigstens im Themenfeld "Establishment of Islamic Schools" erwähnt). An der hier behandelten Thematik Interessierte seien deshalb auf die 5. Auflage des von der VELKD und EKD herausgegebenen Informationsbandes Was jeder vom Islam wissen muß, Gütersloh, 5. Aufl. 1996 (=GTB Sachbuch 786) verwiesen (bes. S. 124-143, mit einem Anschriftenverzeichnis 233 ff. und ebenfalls mit Literaturangaben).