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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

432–435

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wagner, Falk

Titel/Untertitel:

Religion und Gottesgedanke.

Verlag:

Bern-Berlin-Frankfurt/M.-Wien: Lang 1996. 268 S. gr.8 = Beiträge zur rationalen Theologie, 7. DM 69,-. ISBN 3-631-30565-6.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Die in diesem Band vereinigten Beiträge Falk Wagners zur Religionsphilosophie und philosophischen Theologie sind das Dokument eines Scheiterns - eines Scheiterns auf hohem Niveau.

Wie kaum ein anderer hat W. seit Jahren betont, daß sich theologisches Denken den Herausforderungen der Kritik und Begründung von Religion unter modernen Erkenntnisbedingungen zu stellen habe. Und wie kaum ein anderer hat er diese Herausforderungen und ihre denkerischen Voraussetzungen als sachgemäß akzeptiert und sich konsequent geweigert, Theologie an den von ihm diagnostizierten Erkenntnisproblemen der Moderne vorbei zu betreiben. Das ist auch dann in höchstem Maße anerkennenswert, wenn man seine Problemdiagnose nicht teilt und seinen Therapieversuchen nicht folgt. Wer aber mit W. meint, die erkenntnistheoretische Revolutionierung der göttlichen Dinge (8) in "der Kopernikanischen Wende der Kantischen Kritik" (58) sei und bleibe die nicht mehr in Frage zu stellende Ausgangsbedingung vernünftig vertretbarer Theologie, wer ihm zustimmt, ohne philosophische Begründung beinhalte Religion nur "leere Vermutungen oder wahnhafte Ahnungen" und Theologie sei allenfalls ein Versuch, sich "mit supranaturalen Ansprüchen und unüberprüfbaren Versicherungen [zu] schmücken" (12), und wer mit ihm der Meinung ist, aus den daraus sich ergebenden "Aporien des religiösen Gottesbewußtseins" könne allein eine "der Hegelschen Denkart verpflichtete ... philosophische Theologie" (9) einen Ausweg weisen, der wird in diesem Band reiches Anschauungsmaterial, präzise Analysen und viele bekannte Argumente finden.

Allerdings: Die Fixierung auf die erkenntniskritischen Problemlagen des frühen 19. Jh.s und seine ungebrochene Überzeugung von der rationalen Unerläßlichkeit absoluter Religionsbegründung führt W. nicht nur dazu, der "christliche[n] Religion der Moderne ... eine enttheologisierte Deutung ihrer Gehalte" (12) als unumgänglich anzuempfehlen. Deutlicher als früher wird hier auf die "Grenzen einer ... Theorie des Absoluten" aufmerksam gemacht, die auch W.s Versuche einer philosophischen Theologie als aporetisch erweisen: "Auch ein metakritischer Begründungsversuch des den Einsichten der radikalgenetischen Religionskritik ausgesetzten religiösen Gottesbewußtseins kann den nichtsinnlichen Gehalt des an sich selbst erfaßten Gottesgedankens allein im Modus seines Scheiterns realisieren" (12). Philosophisches und theologisches Scheitern ist denn auch die Grundstimmung der hier vorgelegten Beiträge, und nicht von ungefähr hat nicht mehr die philosophische Theorie Hegels, sondern die historisch-genetische Religionstheorie und -kritik von Günther Dux das letzte Wort.

Der Band vereinigt 9 Beiträge, die zwischen 1987 und 1994 in München und Wien entstanden sind und hier - zum Teil leicht überarbeitet und nicht immer ordentlich redigiert (cf. 59 f. u. ö.) - abgedruckt werden: Der Begriff der Religion in der Religionsphilosophie (1992); Religionsphilosophie und Theorie des Absoluten (1989); Theo-Logik: Ein Beitrag zur theologischen Interpretation von Hegels, ,Wissenschaft der Logik’ (1994); Kritik und Neukonstitution des kosmologischen und ontologischen Gottesbeweises in der Philosophie Hegels (1990); Absolute Notwendigkeit. Ein Beitrag zur Art der Aufhebung der kritizistischen Bestreitung des kosmo-ontologischen Arguments (1994); Zum begrifflichen Aufbau und argumentativen Duktus von Hegels ,Vorlesungen über die Philosophie der Religion’ (1990); Wolfgang Cramers Theorie des Absoluten und der christliche Gottesgedanke (1990); Zur vernünftigen Begründung und Mitteilbarkeit des Glaubens (1988); Christentum und Moderne (1990).

Was diesen Band exemplarisch lehrreich macht, ist die Konsequenz, mit der W. den Weg einer absoluten Begründung von Religion im kritischen Anschluß an Hegel in der Ausarbeitung eines "begriffs- bzw. subjektivitätslogische[n] Modell[s] des Absoluten" (85) zu Ende geht: Vernünftig denken läßt sich ihm zufolge Gott allein so, daß das "Selbstsein der absoluten Subjektivität" gemäß der begriffslogischen "Struktur der Subjektivität als Selbstexplikation an der Stelle des Andersseins" als "symmetrische Verhältnisweise gleichgültig Selbständiger" und darin "manifeste Einheit von Selbst- und Anderssein" gedacht wird (84). Lehrreich ist das nicht allein deshalb, weil hier exemplarisch zu studieren ist, wie und welche Probleme entstehen, wenn Begriffskonstrukte an die Stelle lebensweltlicher Sprachvollzüge gesetzt werden. Lehrreich ist das vor allem, weil die Schwächen einer Position dann am deutlichsten werden, wenn man ihre Stärken stark macht. Die aber liegen in der von W. kritisch entfalteten begriffslogischen Theorie des Absoluten vor allem darin, daß Gott hier rigoros gedacht, und zwar nach Maßgabe einer bestimmten logischen Denkfigur gedacht wird: der absoluten Identität von Denken und Denkbarem, Denkvollzug und Denkinhalt, die als Einheit von Selbst- und Anderssein entfaltet wird.

An diese Denkfigur ist mit W. die Frage zu stellen, ob und wie sie die Eigenständigkeit des Anderen wahren kann. Wird Andersheit hier nicht zum Moment im Selbstverwirklichungsprozeß Gottes verharmlost? Doch dieser ethische Einwand läßt den logischen Grund des Problems, die Orientierung an der Logik absoluter Identität, unbefragt. Er kann deshalb immer dadurch aufgefangen werden, daß man diese Konsequenz durch eine Depotenzierung oder - wie W. sagt - "Revolutionierung des Gottesgedankens" zu vermeiden sucht. Ausgehend von Hegels Prämissen plädiert W. so für eine "Logik der Anerkennung", "die sich dem Kriterium der symmetrischen Korrespondenz von selbständigem Selbstsein und selbständigem Anderssein verpflichtet weiß" (11). Dieser Vorschlag ist nichts anderes als die zur "symmetrischen Korrespondenz" depotenzierte Identitätslogik, die das Differente nicht mehr in einer umfassenden Einheit aufgehen läßt, sondern durch ein "symmetrisch-egalitäres Verhältnis der Korrespondenz von selbständigem Selbstsein und selbständigem Anderssein ersetzt" (11). Damit bleibt genau das offen, was Hegel zu denken suchte: Gott ist in allem Selbst- und Anderssein unabweisbar impliziert, weil und insofern alles Selbst- und Anderssein unabweisbar in Gott impliziert ist. W. denkt dieses Impliziertsein nicht (mehr) als dialektischen Bestimmungs- und Wahrheitsprozeß im Horizont des Absoluten, sondern als "symmetrische Verhältnisweise gleichgültiger Selbständiger" (84) und damit als ein freies Anerkennungsverhältnis zwischen unaufhebbar Selbständigen. Da dieses nicht mehr auf ein Drittes, eben Gott, bezogen werden kann und damit ein undurchsichtig Gesetztes bleibt, fällt dieser Vorschlag ersichtlich hinter das zurück, was er angesichts der ethischen Kritik zu verteidigen sucht. W. plädiert denn auch konsequent für ein Gott-Denken, das konsequent nicht mehr Gott denkt, sondern sich für "eine enttheologisierte Deutung [der] Gehalte" des Gottesgedankens (12) einsetzt: Entsprechend "der Logik der Korrespondenz von selbständigem Selbstsein und selbständigem Anderssein" solle religionsphilosophisches Denken sich ausschließlich "auf Realisierung von Freiheitsverhältnissen konzentrieren, die dem Kriterium der vermittelten Selbstbestimmung verpflichtet sind" (12).

W.s Therapie setzt den Tod des Patienten voraus und sucht den Therapeuten angesichts des Todes Gottes durch eine - nicht einmal intersubjektivitätstheoretisch präzisierte, sondern nur heroische - Freiheitstheorie zu therapieren. Doch grundlegender als die ethische Frage ist die logische, mit welchem Recht man sich gerade am identitätslogischen Modell für das Denken Gottes orientieren und die pragmatisch selbstwidersprüchliche Forderung nach absoluter Gewißheitsbegründung religionsphilosophisch weiter verfolgen soll, nachdem sie philosophisch mannigfach als aporetisch und theologisch als unglücklich scheiternd erwiesen wurde. Alles Begründen ist ein Begründen von etwas in bestimmter Hinsicht für jemanden und als solches darauf angewiesen, im Vollzug Nichtbegründetes und Nichtbegründbares in Anspruch zu nehmen, also an Faktizitäten und ihre Horizonte gebunden zu bleiben. Und alles Denken ist eine interpretative Zeichenoperation, in der etwas durch etwas als etwas für jemanden im Blick auf etwas bestimmt wird, und auch das kann es nur im faktischen Vollzug in bestimmten Horizonten und nicht als absolutes Zusammenfallen von Vollzug und Inhalt, Denken und Gedachten geben. Denkend und begründend ist man an konkrete Lebensvollzüge und geschichtliche Prozesse verwiesen, aus denen sich kein Begründungsdenken verabschieden kann, ohne pointenlos zu werden. Nicht absolute Religionsbegründung, sondern nur situationsbezogene Erhellung von Möglichkeiten und Nichtmöglichkeiten gelebter Religion kann deshalb religionsphilosophische Aufgabe sein. Und auch Gott kann aufgrund der semiotischen Struktur unseres Denkens nur gedacht werden, insofern etwas durch etwas als Gott gedacht wird. In jedem Gottesgedanken steckt so ein rekonstruierbarer kontingent-geschichtlicher Prozeß, in dem etwas als Gott und Gott als etwas gedacht wird. An der kritischen Kraft der Erhellung dieser Prozesse bemißt sich die Valenz einer Gotteskonzeption, nicht aber daran, das religiöse Reden von und zu Gott begriffslogisch begründen zu können.

Nimmt man diese lebensweltlichen Kontingenzen gelebter Religion ernst und mißversteht sie nicht als begrifflich zu behebende Mängel, dann stellen sich nicht nur die erkenntniskritischen Probleme anders als W. sie präsentiert. Es ergeben sich auch theologische Möglichkeiten, die sich nicht auf die von ihm propagierte Alternative verrechnen lassen, Theologie müsse sich entweder als "eine metakritische philosophische Theologie" entwerfen oder sie unterscheide sich durch nichts von den subjektiven "Versicherungen eines supranaturalistischen Fundamentalismus" (9). W.s Einsicht in das Scheitern der ersten scheint nur die zweite Option offen zu lassen. Aber tertium datur, wie W. mit Verweis auf Schleiermacher selbst andeutet. Man muß nur aufhören, den Traum einer absoluten Begründung von Religion als Vorbedingung aller rational vertretbaren Theologie zu träumen. Wer begründen will, was keiner Begründung fähig ist; wer nur das als Grund akzeptiert, was für alle immer und überall in derselben Weise akzeptabel ist; wer Begründungen an die Stelle des Begründeten setzen zu müssen meint, weil sich gewiß nur vertreten lasse, was absolut begründet ist; wer Lebensgewißheit mit Denksicherheit verwechselt; wer mit der abstrakten Alternative operiert, entweder gäbe es eine allgemeingültige und neutrale Begründung des Glaubens oder dieser sei Schall und Rauch; wer sich auf einen von diesen verschiedenen Irrwegen einläßt, der reduziert nicht nur Glaube und Religion auf ein epistemologisches Problem und verfehlt so ihre lebensweltliche Pointe, sondern der wird mit dem Zusammenbruch seiner Begründungsversuche gar nichts mehr zurückbehalten.