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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

33 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Knitter, Paul F.

Titel/Untertitel:

Horizonte der Befreiung. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Theologie der Religionen. Hrsg. von B. Jaspert.

Verlag:

Frankfurt/M.: Lembeck; Paderborn: Bonifatius 1997. 423 S. gr.8°. Kart. DM 98,­. ISBN 3-87476-313-7 u. 3-87088-887-3.

Rezensent:

Michael Bergunder

Das Programm einer pluralistischen Theologie der Religionen wird in der englischen Sprachwelt nun schon seit über zwei Jahrzehnten viel diskutiert. Mit Beginn der neunziger Jahre erfährt es auch in Deutschland eine immer größere Beachtung. Daran hatte die Übersetzung eines Werks von K. (Ein Gott ­ viele Religionen, München 1988) erheblichen Anteil. Daher ist es zu begrüßen, daß jetzt ein neues Buch des katholischen Theologen auf deutsch vorliegt. In ihm wurden 22 Aufsätze aus den Jahren 1965-1995 vereinigt, die einen sehr umfassenden Einblick in das theologische Schaffen des Autors ermöglichen.

Einen besonderen Akzent erhält das Buch dadurch, daß die einzelnen Artikel, von denen die meisten erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen, nach den Schaffensperioden K.s geordnet sind. Lediglich vier Aufsätze am Schluß, die als "Beispiele für einen pluralistischen Dialog" dienen, unterliegen nicht dieser Gliederung. In dem eigens für diesen Band verfaßten autobiographischen Vorwort hebt der Autor hervor, daß durch die Anordnung der Aufsätze der Entwicklungsweg seiner theologischen Bemühungen um einen interreligiösen Dialog sichtbar werden soll.

Seinen theologischen Werdegang, von ihm auch als "dialogische Odyssee" bezeichnet, versteht K. zunächst als ein Fortschreiten "vom Exklusivismus zum Inklusivismus" und schließlich "vom Inklusivismus zum Pluralismus". Erst mit einer pluralistischen Theologie der Religionen, die das Vorhandensein letzter Normen und absoluter Offenbarungen im Christentum und allen anderen Religionen kritisch hinterfragt, sieht K. die Voraussetzung für einen wirklichen Dialog geschaffen: "Wenn Christinnen und Christen die letztgültige Norm zu haben meinen, dann sind sie nicht fähig, Wahrheiten oder Werte in anderen Religionen, die genuin verschieden von ihren eigenen sind, anzuerkennen ... Solch eine Haltung scheint mir dem Wesen und den Erfordernissen des Dialogs genau entgegengesetzt zu sein" (291).

K.s Hinwendung zum Pluralismus geschah zunächst in enger Anlehnung an das theozentrische Modell von John Hick, das in den Religionen unterschiedliche Erfahrungen der gleichen göttlichen Wirklichkeit annimmt. Später gab K. die theozentrische Fundierung auf und trat für einen "Zugang zu einem interreligiösen Verstehen ein", der "um Befreiung zentriert" ist. Seine Abkehr vom Theozentrismus erfolgte in Auseinandersetzung mit Gegnern sogenannter "Letztbegründungsansätze", wie z. B. George Lindbeck. Er akzeptierte deren Kritik, daß theozentrische Pluralisten "in Wirklichkeit ein nicht existierendes Zentrum für den Dialog erfinden oder die Zentren ihres eigenen Glaubens anderen aufdrängen" (206).

Deshalb versuchte K. durch die Einbeziehung eines befreiungstheologischen Ansatzes neue Wege zu gehen. Er vertrat nun einen "soteriozentrischen Dialog", der postuliert, daß alle Religionen "von einem ’Übel’ oder einem heillosen Zustand ausgehen" und es unter den "verschiedenen Religionen einen wohl unterschiedlich gefärbten, aber doch klar auszumachenden Konsens über die Diagnose und die Behebung des Übels" gebe (210). Am Anfang eines derartigen Dialogs stehe die "gemeinsame befreiende Praxis", die "mit ihren Höhen und Tiefen" zum "Nährboden ­ und Imperativ ­ für die dialogische Reflexion" werde: "Nachdem sie gemeinsam gehandelt haben, reflektieren und reden Buddhisten, Christen und Muslime nun zusammen über ihre religiösen Überzeugungen und Motivationen. Hier nun können die Dialogpartner in ihre Schriften und Lehren eindringen und nicht nur sich selbst, sondern auch anderen erklären, was sie in ihrer befreienden Praxis inspiriert, leitet und erhält" (225).

Damit ist der Kerngedanke des von K. vertretenen Soteriozentrismus markiert, der in den Aufsätzen jüngeren Datums deutlich ausgeführt ist, den er allerdings in seinen beiden neusten Büchern (One Earth ­ Many Religions, 1995; Jesus and the Other Names, 1996) noch um eine dezidiert ökologische Perspektive erweitert hat. Das vorliegende Buch ist eine gelungene Einführung in das Gesamtwerk von K. und bis zu einem gewissen Grade auch in die pluralistische Religionstheologie überhaupt. Ausgezeichnete und präzise Register geben dem Buch zusätzlichen Wert.

K. überzeugt voll und ganz in seinem Appell, daß die christliche Theologie einer radikalen kritischen Selbstreflexion bedarf, um glaubhaft in den interreligiösen Dialog einzutreten. Schonungslos führt er die Schwächen einer nur inklusivistischen Sichtweise vor Augen. Hervorzuheben ist auch die faire Art und Weise, mit der er auf die Einwände von Kritikern eingeht.

Dennoch muß nach Meinung des Rez. nüchtern konstatiert werden, daß K.s soteriozentrischer Dialogansatz seinerseits nicht überzeugen kann. Der Hauptkritikpunkt ist wohl darin zu suchen, daß Christentum und andere Religionen de facto danach beurteilt werden, inwieweit sie für die (innerweltliche) Befreiung der Menschen förderlich sind. Wenn K. eine bestimmte Praxis zum Wahrheitskriterium für den Religionsvergleich erhebt, huldigt er aber einem philosophischen Pragmatismus. In der Konsequenz werden Religionen auf Ideologien reduziert, die Zwecken dienlich sind. Glaubensinhalte werden dadurch sekundär, und K. neigt zugleich einem Primat der Ethik zu. Er bezeichnet die "gemeinsame Praxis des Widerstandes" als einen "gemeinsamen ethischen Imperativ" (267). Die im theozentrischen Ansatz postulierte gemeinsame göttliche Wirklichkeit wird so gleichsam durch eine moralische Universalie ersetzt und die Religion der Ethik untergeordnet. Eine solche aufklärerische Verkürzung ist aber wohl kaum geeignet, der christlichen Theologie eine tragende Grundlage für den interreligiösen Dialog zu verschaffen. Auch bleibt abzuwarten, ob der Ansatz K.s nennenswerte Zustimmung unter den Vertretern anderer Religionen finden wird. Ernsthafte Zweifel scheinen hier angebracht.

Diese Kritik entkräftet nicht die Forderung K.s, daß der interreligiöse Dialog "Orthopraxis" und "Orthodoxie" zugleich zum Gegenstand haben muß. Nur ist der "Weg zu einer pluralistischen Theologie der Religionen" noch lang.